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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Beziehungen des Kaiserreiches zu sondern und dadurch theilweise wenigstens
die angegriffenen Gegenstände der Verehrung vor dem Gegner zu retten.
Noch von einer ganzen Reihe von Historikern ist Einsprache erhoben gegen
das Urtheil Sybel's: Manche, die sich sonst mit ihm in ihren Anschauungen
vielfach berühren -- ich nenne Waitz*), Treitschke**), Aegidi***),
Kuglerf) -- haben doch geglaubt Einschränkungen beifügen oder Modifi-
cationen anbringen zu müssen. Es ist nicht gebilligt worden, daß der Historiker
in solcher Weise und solchem Umfange über ganze große Perioden unserer
Geschichte ein verwerfendes Urtheil ausspreche. Man hat stark betont,
daß gerade in jenen, vom Kaiserthum hervorgerufenen italischen Kriegen
die Deutschen zum Bewußtsein ihrer nationalen Gemeinschaft erzogen seien.
Man hat auf die Nothwendigkeit des Kaiserreiches für die abendländische
Kirche, für die Einheit und den Zusammenhang der Christenheit hingewiesen.
Man hat das Streben unserer deutschen Herrscher nach der Kaiserkrone aus
der allgemeinen geistigen Disposition der mittelalterlichen Menschen erklärt
und gerechtfertigt. Man hat auch im Einzelnen nachzuweisen versucht, welche
großen Verdienste um die Einheit der deutschen Nation sich die einzelnen
Kaiser erworben.-f-s-) Alle jene Erwägungen wird man, soweit sie thatsächlich
sich als richtig erweisen lassen, gewiß nicht übersehen wollen; aber sie scheinen
mir die Grundlage der von Sybel geübten Kritik entweder gar nicht zu be¬
rühren oder nicht ernstlich zu gefährden. Es gilt auf der einen Seite noch¬
mals den Charakter des Kaiserthums scharf ins Auge zu fassen und andrer¬
seits das Verhältniß des deutschen Reiches, des deutschen Königthums zu
diesem Kaiserthum zu erwägen.

Rufen wir uns die Thatsachen ins Gedächtniß zurück.

Der erste der mittelalterlichen Kaiser ist Karl der Große. I/Er ist für
Otto I. und seine deutschen Nachfolger unzweifelhaft das Vorb^lVI Und wenn
nun dieser Frankenkönig Karl mit weit ausholender, umsichtig berechneter,
Schritt für Schritt vordringender Thätigkeit endlich im Jahre 800 es dahin
gebracht, sich die Kaiserkrone zu erwerben, so meinte er damit die Stellung







") Recension über die Schuften Sybel's und Ficker's in den Göttinger Gelehrten
Anzeigen. 1,862.
Bundesstaat und Einheitsstaat, in Historische und politische Aufsätze. S. S4K. (1865.)
'
Artikel "Römisches Reich deutscher Nation" in Bluntschlis Staatswörterbuch VIII.
710 ff. (1864.)
'
t) Zur Beurtheilung der deutschen Kaiserzeit. 1867.
et) Mit vielem Scharfsinn hat diesen letzteren Gedanken durchzuführen unternommen die
Dissertation von Loslim HuewkämnSum öd Ottons I. ad Ileinrioi IV. wills ipsum Impe¬
rium unitatem "ationis xermsnieas gü'srsi-it oiusizn" arte" littsrss oomwereium säsuxsrit.
Berlin, 1865, Wie weit ich diesen Erörterungen zustimme, wird sich aus dem Folgenden ergeben.

Beziehungen des Kaiserreiches zu sondern und dadurch theilweise wenigstens
die angegriffenen Gegenstände der Verehrung vor dem Gegner zu retten.
Noch von einer ganzen Reihe von Historikern ist Einsprache erhoben gegen
das Urtheil Sybel's: Manche, die sich sonst mit ihm in ihren Anschauungen
vielfach berühren — ich nenne Waitz*), Treitschke**), Aegidi***),
Kuglerf) — haben doch geglaubt Einschränkungen beifügen oder Modifi-
cationen anbringen zu müssen. Es ist nicht gebilligt worden, daß der Historiker
in solcher Weise und solchem Umfange über ganze große Perioden unserer
Geschichte ein verwerfendes Urtheil ausspreche. Man hat stark betont,
daß gerade in jenen, vom Kaiserthum hervorgerufenen italischen Kriegen
die Deutschen zum Bewußtsein ihrer nationalen Gemeinschaft erzogen seien.
Man hat auf die Nothwendigkeit des Kaiserreiches für die abendländische
Kirche, für die Einheit und den Zusammenhang der Christenheit hingewiesen.
Man hat das Streben unserer deutschen Herrscher nach der Kaiserkrone aus
der allgemeinen geistigen Disposition der mittelalterlichen Menschen erklärt
und gerechtfertigt. Man hat auch im Einzelnen nachzuweisen versucht, welche
großen Verdienste um die Einheit der deutschen Nation sich die einzelnen
Kaiser erworben.-f-s-) Alle jene Erwägungen wird man, soweit sie thatsächlich
sich als richtig erweisen lassen, gewiß nicht übersehen wollen; aber sie scheinen
mir die Grundlage der von Sybel geübten Kritik entweder gar nicht zu be¬
rühren oder nicht ernstlich zu gefährden. Es gilt auf der einen Seite noch¬
mals den Charakter des Kaiserthums scharf ins Auge zu fassen und andrer¬
seits das Verhältniß des deutschen Reiches, des deutschen Königthums zu
diesem Kaiserthum zu erwägen.

Rufen wir uns die Thatsachen ins Gedächtniß zurück.

Der erste der mittelalterlichen Kaiser ist Karl der Große. I/Er ist für
Otto I. und seine deutschen Nachfolger unzweifelhaft das Vorb^lVI Und wenn
nun dieser Frankenkönig Karl mit weit ausholender, umsichtig berechneter,
Schritt für Schritt vordringender Thätigkeit endlich im Jahre 800 es dahin
gebracht, sich die Kaiserkrone zu erwerben, so meinte er damit die Stellung







") Recension über die Schuften Sybel's und Ficker's in den Göttinger Gelehrten
Anzeigen. 1,862.
Bundesstaat und Einheitsstaat, in Historische und politische Aufsätze. S. S4K. (1865.)
'
Artikel „Römisches Reich deutscher Nation" in Bluntschlis Staatswörterbuch VIII.
710 ff. (1864.)
'
t) Zur Beurtheilung der deutschen Kaiserzeit. 1867.
et) Mit vielem Scharfsinn hat diesen letzteren Gedanken durchzuführen unternommen die
Dissertation von Loslim HuewkämnSum öd Ottons I. ad Ileinrioi IV. wills ipsum Impe¬
rium unitatem »ationis xermsnieas gü'srsi-it oiusizn« arte« littsrss oomwereium säsuxsrit.
Berlin, 1865, Wie weit ich diesen Erörterungen zustimme, wird sich aus dem Folgenden ergeben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/93>, abgerufen am 06.06.2024.