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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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wendigen Rechte des Königthums gegenüber der Kirche, vornehmlich die Mit¬
wirkung bei den Bischofswahlen, hielt er fest; die geistlichen Herrschaftsgelüste
dagegen lehnte er in bestimmtester Weise ab. Für die Sicherung der Nach¬
folge trug er Sorge: zur Umbiegung der Königswahl ins Erbrecht that
er den ersten Schritt. Seinem Sohne Otto I. war die Möglichkeit gegeben,
auf der Bahn des Vaters zu folgen und die Reichsinstitutionen in wahrhaft
segensreicher Richtung zu entwickeln.

Und zunächst hat König Otto I. sich dies Verdienst erworben. In der
Beschränkung der Herzoge, in der Eindämmung des Particularismus ist er
ein gutes Stück vorwärts gekommen. Wenn sein strammeres Regiment, sein
Versuch, die unter Heinrich I. weit lockerer gehaltenen Zügel energischer an¬
zuziehen, auf Widerspruch stieß, wenn seine scheinbar willkürliche Verfügung
über die Herzogthümer, seine herrische Durchkreuzung provinzieller Interessen
die Verletzten zu Aufständen hintrieb, -- er hatte die Macht die Rebellen zu
Paaren zu treiben: zweimal, 939 und 953 hat er sogar gewaltige, beide
Male durch allerlei Umstände noch begünstigte Erhebungen weiter Reichstheile
mit kräftigen Hieben zerschmettert. Und gewaltig erhob sich darnach seine
königliche Macht. Nicht Frankreich oder Italien oder England lassen sich
mit der deutschen Machtfülle vergleichen: einheitlicher, staatlicher erscheinen im
10. Jahrhundert die Zustände in Deutschland als in den anderen Cultur¬
ländern Europas.

Aber Otto's hochfliegender Ehrgeiz begnügte sich nicht mit diesen Resul¬
taten. Auf Eroberungen, auf Beherrschung der Nachbaren, auf das Kaiser¬
tum Karls des Großen richtete sich sein Gedanke. Und nach langem Ringen,
durch das Aufgebot diplomatischer und militärischer Mittel, nach wiederholtem
Anlauf erreichte er 962 endlich sein Ziel: der deutsche König trug die Kaiser¬
krone, er war der erste Herrscher der Welt, der Monarch der abendländischen
Christenheit.

Hier eben erhebt sich nun die Frage, in deren Beantwortung die Mei¬
nungen der Historiker so weit auseinander gehen. War die Erneuerung der
Kaiserkrone, die Wiederaufnahme der Politik Karls des Großen eine Noth¬
wendigkeit oder ein Vortheil für das deutsche Reich oder die deutsche Nation?
Lagen in den Verhältnissen selbst zwingende oder schwerwiegende Gründe,
welche zu einer Überschreitung der deutschen Grenzen den Herrscher Deutsch¬
lands bewogen und von der Mäßigung Heinrichs I. abzugehen ihm wünschens¬
wert!) machten? nöthigten ihn zu der Erneuerung der geistlichen und kirch¬
lichen Tendenzen Karls des Großen die Bedürfnisse seines Reiches oder allein
die persönliche Devotion und geistliche Anlage seines Charakters?

Wenn ich auf diese schon oft behandelte und doch immer wieder aufge¬
worfene Frage noch einmal eingehe und dabei den Wunsch nicht verberge, zu


wendigen Rechte des Königthums gegenüber der Kirche, vornehmlich die Mit¬
wirkung bei den Bischofswahlen, hielt er fest; die geistlichen Herrschaftsgelüste
dagegen lehnte er in bestimmtester Weise ab. Für die Sicherung der Nach¬
folge trug er Sorge: zur Umbiegung der Königswahl ins Erbrecht that
er den ersten Schritt. Seinem Sohne Otto I. war die Möglichkeit gegeben,
auf der Bahn des Vaters zu folgen und die Reichsinstitutionen in wahrhaft
segensreicher Richtung zu entwickeln.

Und zunächst hat König Otto I. sich dies Verdienst erworben. In der
Beschränkung der Herzoge, in der Eindämmung des Particularismus ist er
ein gutes Stück vorwärts gekommen. Wenn sein strammeres Regiment, sein
Versuch, die unter Heinrich I. weit lockerer gehaltenen Zügel energischer an¬
zuziehen, auf Widerspruch stieß, wenn seine scheinbar willkürliche Verfügung
über die Herzogthümer, seine herrische Durchkreuzung provinzieller Interessen
die Verletzten zu Aufständen hintrieb, — er hatte die Macht die Rebellen zu
Paaren zu treiben: zweimal, 939 und 953 hat er sogar gewaltige, beide
Male durch allerlei Umstände noch begünstigte Erhebungen weiter Reichstheile
mit kräftigen Hieben zerschmettert. Und gewaltig erhob sich darnach seine
königliche Macht. Nicht Frankreich oder Italien oder England lassen sich
mit der deutschen Machtfülle vergleichen: einheitlicher, staatlicher erscheinen im
10. Jahrhundert die Zustände in Deutschland als in den anderen Cultur¬
ländern Europas.

Aber Otto's hochfliegender Ehrgeiz begnügte sich nicht mit diesen Resul¬
taten. Auf Eroberungen, auf Beherrschung der Nachbaren, auf das Kaiser¬
tum Karls des Großen richtete sich sein Gedanke. Und nach langem Ringen,
durch das Aufgebot diplomatischer und militärischer Mittel, nach wiederholtem
Anlauf erreichte er 962 endlich sein Ziel: der deutsche König trug die Kaiser¬
krone, er war der erste Herrscher der Welt, der Monarch der abendländischen
Christenheit.

Hier eben erhebt sich nun die Frage, in deren Beantwortung die Mei¬
nungen der Historiker so weit auseinander gehen. War die Erneuerung der
Kaiserkrone, die Wiederaufnahme der Politik Karls des Großen eine Noth¬
wendigkeit oder ein Vortheil für das deutsche Reich oder die deutsche Nation?
Lagen in den Verhältnissen selbst zwingende oder schwerwiegende Gründe,
welche zu einer Überschreitung der deutschen Grenzen den Herrscher Deutsch¬
lands bewogen und von der Mäßigung Heinrichs I. abzugehen ihm wünschens¬
wert!) machten? nöthigten ihn zu der Erneuerung der geistlichen und kirch¬
lichen Tendenzen Karls des Großen die Bedürfnisse seines Reiches oder allein
die persönliche Devotion und geistliche Anlage seines Charakters?

Wenn ich auf diese schon oft behandelte und doch immer wieder aufge¬
worfene Frage noch einmal eingehe und dabei den Wunsch nicht verberge, zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/95>, abgerufen am 13.06.2024.