Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer Lösung einen weiteren Beitrag zu liefern, so ist unbedingt noth¬
wendig, daß wir an einem Satze festhalten und daß wir thatsächlich inein¬
ander verflochtene Verhältnisse in der Discussion auseinanderhalten und unter¬
scheiden. Viele Zweifel und Bedenken werden dadurch beseitigt.

Seit Ottos I. Tagen sind in dem deutschen Reiche des Mittelalters
Kaiserthum und Königthum miteinander verbunden. Die Könige von Deutsch¬
land sind zugleich die Kaiser der Christenheit. Die königlichen Rechte in
Deutschland werden ausgeübt von demselben Fürsten, der als Kaiser über
Italien und die Kirche schaltet und waltet. Man hat bei den deutschen
Herrschern diese beiden Seiten zu betrachten, die eng mit einander verbunden,
auf einander wechselseitig einwirken, die aber doch an und für sich verschiedener
Natur und verschiedenen Ursprungs sind und verschiedenen Tendenzen dienen.

In jenem Jahrhundert unserer Geschichte, in welchem Glanz und Be¬
deutung der deutschen Kaiser ihren Höhepunkt erreicht, -- etwa von 960
bis 1060 -- erfreut sich das deutsche Königthum blühender Macht und
kräftigen Lebens.*) Die Regierungsrechte des Königs erstreckten sich über
das ganze Reich; Herzoge und Grafen hingen von ihm ab; er setzte sie ein
und entfernte sie nach seinem Willen; Versuche der Auflehnung, die vorkamen,
wurden stets unterdrückt und strenger Strafe unterzogen. Im Bewußtsein
der Menschen legte mehr und mehr der Schwerpunkt sich in das gemeinsam
Deutsche. Der Particularismus wurde noch in Schranken gehalten und noch
überwucherte Trotz und Unbotmäßigkeit der Theile nicht den Zusammenhang
des Reichsganzen. In einer Reihe einzelner Maßregeln und einzelner Hand¬
lungen der deutschen Herrscher begrüßen wir gern und mit aufrichtiger Zu¬
stimmung die Fortsetzung jener königlichen Politik Heinrichs I., die anfangs
auch Ottos I. Thaten überwiegend bestimmt hatte. So haben auch Otto
und seine Nachfolger, an Heinrichs I. Vorgang sich anlehnend, die Succession
in ihrem Hause zu sichern unternommen: Otto I., Otto II. ließen so früh
wie möglich ihre Söhne schon krönen; und die neue Dynastie der Salier trat
sofort in diese Fußstapfen ein. So haben sich die Versuche, die Selbständigkeit
der Herzogthümer zu brechen, fortwährend erneuert: wiederholt ist die Absicht
einer bayrischen Sonderpolitik abgewehrt; erfolgreich ist die Erblichkeit der
Herzoge verhindert; ja Conrad II. meinte die Herzoge ganz zu beseitigen, und
Heinrich III. fesselte durch ein Otto I. nachgeahmtes Verfahren die beschränkte
Macht der willkürlich durch ihn eingesetzten Herzoge an seinen königlichen
Willen. Allerdings, die staatsgefährliche Natur, die staatsauflösende Wirkung
des Feudalismus ist nicht erkannt und nicht ausgerottet worden -- jedoch



Rudolf Usinger hat in einer akademischen Festrede in Kiel am 22. März 1870 in
trefflichster Weise über das "Königthum der Ottonen und Salier" gehandelt (Kiel, 1870), auf
die hinzuweisen mir gestattet sein mag.

ihrer Lösung einen weiteren Beitrag zu liefern, so ist unbedingt noth¬
wendig, daß wir an einem Satze festhalten und daß wir thatsächlich inein¬
ander verflochtene Verhältnisse in der Discussion auseinanderhalten und unter¬
scheiden. Viele Zweifel und Bedenken werden dadurch beseitigt.

Seit Ottos I. Tagen sind in dem deutschen Reiche des Mittelalters
Kaiserthum und Königthum miteinander verbunden. Die Könige von Deutsch¬
land sind zugleich die Kaiser der Christenheit. Die königlichen Rechte in
Deutschland werden ausgeübt von demselben Fürsten, der als Kaiser über
Italien und die Kirche schaltet und waltet. Man hat bei den deutschen
Herrschern diese beiden Seiten zu betrachten, die eng mit einander verbunden,
auf einander wechselseitig einwirken, die aber doch an und für sich verschiedener
Natur und verschiedenen Ursprungs sind und verschiedenen Tendenzen dienen.

In jenem Jahrhundert unserer Geschichte, in welchem Glanz und Be¬
deutung der deutschen Kaiser ihren Höhepunkt erreicht, — etwa von 960
bis 1060 — erfreut sich das deutsche Königthum blühender Macht und
kräftigen Lebens.*) Die Regierungsrechte des Königs erstreckten sich über
das ganze Reich; Herzoge und Grafen hingen von ihm ab; er setzte sie ein
und entfernte sie nach seinem Willen; Versuche der Auflehnung, die vorkamen,
wurden stets unterdrückt und strenger Strafe unterzogen. Im Bewußtsein
der Menschen legte mehr und mehr der Schwerpunkt sich in das gemeinsam
Deutsche. Der Particularismus wurde noch in Schranken gehalten und noch
überwucherte Trotz und Unbotmäßigkeit der Theile nicht den Zusammenhang
des Reichsganzen. In einer Reihe einzelner Maßregeln und einzelner Hand¬
lungen der deutschen Herrscher begrüßen wir gern und mit aufrichtiger Zu¬
stimmung die Fortsetzung jener königlichen Politik Heinrichs I., die anfangs
auch Ottos I. Thaten überwiegend bestimmt hatte. So haben auch Otto
und seine Nachfolger, an Heinrichs I. Vorgang sich anlehnend, die Succession
in ihrem Hause zu sichern unternommen: Otto I., Otto II. ließen so früh
wie möglich ihre Söhne schon krönen; und die neue Dynastie der Salier trat
sofort in diese Fußstapfen ein. So haben sich die Versuche, die Selbständigkeit
der Herzogthümer zu brechen, fortwährend erneuert: wiederholt ist die Absicht
einer bayrischen Sonderpolitik abgewehrt; erfolgreich ist die Erblichkeit der
Herzoge verhindert; ja Conrad II. meinte die Herzoge ganz zu beseitigen, und
Heinrich III. fesselte durch ein Otto I. nachgeahmtes Verfahren die beschränkte
Macht der willkürlich durch ihn eingesetzten Herzoge an seinen königlichen
Willen. Allerdings, die staatsgefährliche Natur, die staatsauflösende Wirkung
des Feudalismus ist nicht erkannt und nicht ausgerottet worden — jedoch



Rudolf Usinger hat in einer akademischen Festrede in Kiel am 22. März 1870 in
trefflichster Weise über das „Königthum der Ottonen und Salier" gehandelt (Kiel, 1870), auf
die hinzuweisen mir gestattet sein mag.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125878"/>
          <p xml:id="ID_286" prev="#ID_285"> ihrer Lösung einen weiteren Beitrag zu liefern, so ist unbedingt noth¬<lb/>
wendig, daß wir an einem Satze festhalten und daß wir thatsächlich inein¬<lb/>
ander verflochtene Verhältnisse in der Discussion auseinanderhalten und unter¬<lb/>
scheiden. Viele Zweifel und Bedenken werden dadurch beseitigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_287"> Seit Ottos I. Tagen sind in dem deutschen Reiche des Mittelalters<lb/>
Kaiserthum und Königthum miteinander verbunden. Die Könige von Deutsch¬<lb/>
land sind zugleich die Kaiser der Christenheit. Die königlichen Rechte in<lb/>
Deutschland werden ausgeübt von demselben Fürsten, der als Kaiser über<lb/>
Italien und die Kirche schaltet und waltet. Man hat bei den deutschen<lb/>
Herrschern diese beiden Seiten zu betrachten, die eng mit einander verbunden,<lb/>
auf einander wechselseitig einwirken, die aber doch an und für sich verschiedener<lb/>
Natur und verschiedenen Ursprungs sind und verschiedenen Tendenzen dienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_288" next="#ID_289"> In jenem Jahrhundert unserer Geschichte, in welchem Glanz und Be¬<lb/>
deutung der deutschen Kaiser ihren Höhepunkt erreicht, &#x2014; etwa von 960<lb/>
bis 1060 &#x2014; erfreut sich das deutsche Königthum blühender Macht und<lb/>
kräftigen Lebens.*) Die Regierungsrechte des Königs erstreckten sich über<lb/>
das ganze Reich; Herzoge und Grafen hingen von ihm ab; er setzte sie ein<lb/>
und entfernte sie nach seinem Willen; Versuche der Auflehnung, die vorkamen,<lb/>
wurden stets unterdrückt und strenger Strafe unterzogen. Im Bewußtsein<lb/>
der Menschen legte mehr und mehr der Schwerpunkt sich in das gemeinsam<lb/>
Deutsche. Der Particularismus wurde noch in Schranken gehalten und noch<lb/>
überwucherte Trotz und Unbotmäßigkeit der Theile nicht den Zusammenhang<lb/>
des Reichsganzen. In einer Reihe einzelner Maßregeln und einzelner Hand¬<lb/>
lungen der deutschen Herrscher begrüßen wir gern und mit aufrichtiger Zu¬<lb/>
stimmung die Fortsetzung jener königlichen Politik Heinrichs I., die anfangs<lb/>
auch Ottos I. Thaten überwiegend bestimmt hatte. So haben auch Otto<lb/>
und seine Nachfolger, an Heinrichs I. Vorgang sich anlehnend, die Succession<lb/>
in ihrem Hause zu sichern unternommen: Otto I., Otto II. ließen so früh<lb/>
wie möglich ihre Söhne schon krönen; und die neue Dynastie der Salier trat<lb/>
sofort in diese Fußstapfen ein. So haben sich die Versuche, die Selbständigkeit<lb/>
der Herzogthümer zu brechen, fortwährend erneuert: wiederholt ist die Absicht<lb/>
einer bayrischen Sonderpolitik abgewehrt; erfolgreich ist die Erblichkeit der<lb/>
Herzoge verhindert; ja Conrad II. meinte die Herzoge ganz zu beseitigen, und<lb/>
Heinrich III. fesselte durch ein Otto I. nachgeahmtes Verfahren die beschränkte<lb/>
Macht der willkürlich durch ihn eingesetzten Herzoge an seinen königlichen<lb/>
Willen. Allerdings, die staatsgefährliche Natur, die staatsauflösende Wirkung<lb/>
des Feudalismus ist nicht erkannt und nicht ausgerottet worden &#x2014; jedoch</p><lb/>
          <note xml:id="FID_35" place="foot"> Rudolf Usinger hat in einer akademischen Festrede in Kiel am 22. März 1870 in<lb/>
trefflichster Weise über das &#x201E;Königthum der Ottonen und Salier" gehandelt (Kiel, 1870), auf<lb/>
die hinzuweisen mir gestattet sein mag.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] ihrer Lösung einen weiteren Beitrag zu liefern, so ist unbedingt noth¬ wendig, daß wir an einem Satze festhalten und daß wir thatsächlich inein¬ ander verflochtene Verhältnisse in der Discussion auseinanderhalten und unter¬ scheiden. Viele Zweifel und Bedenken werden dadurch beseitigt. Seit Ottos I. Tagen sind in dem deutschen Reiche des Mittelalters Kaiserthum und Königthum miteinander verbunden. Die Könige von Deutsch¬ land sind zugleich die Kaiser der Christenheit. Die königlichen Rechte in Deutschland werden ausgeübt von demselben Fürsten, der als Kaiser über Italien und die Kirche schaltet und waltet. Man hat bei den deutschen Herrschern diese beiden Seiten zu betrachten, die eng mit einander verbunden, auf einander wechselseitig einwirken, die aber doch an und für sich verschiedener Natur und verschiedenen Ursprungs sind und verschiedenen Tendenzen dienen. In jenem Jahrhundert unserer Geschichte, in welchem Glanz und Be¬ deutung der deutschen Kaiser ihren Höhepunkt erreicht, — etwa von 960 bis 1060 — erfreut sich das deutsche Königthum blühender Macht und kräftigen Lebens.*) Die Regierungsrechte des Königs erstreckten sich über das ganze Reich; Herzoge und Grafen hingen von ihm ab; er setzte sie ein und entfernte sie nach seinem Willen; Versuche der Auflehnung, die vorkamen, wurden stets unterdrückt und strenger Strafe unterzogen. Im Bewußtsein der Menschen legte mehr und mehr der Schwerpunkt sich in das gemeinsam Deutsche. Der Particularismus wurde noch in Schranken gehalten und noch überwucherte Trotz und Unbotmäßigkeit der Theile nicht den Zusammenhang des Reichsganzen. In einer Reihe einzelner Maßregeln und einzelner Hand¬ lungen der deutschen Herrscher begrüßen wir gern und mit aufrichtiger Zu¬ stimmung die Fortsetzung jener königlichen Politik Heinrichs I., die anfangs auch Ottos I. Thaten überwiegend bestimmt hatte. So haben auch Otto und seine Nachfolger, an Heinrichs I. Vorgang sich anlehnend, die Succession in ihrem Hause zu sichern unternommen: Otto I., Otto II. ließen so früh wie möglich ihre Söhne schon krönen; und die neue Dynastie der Salier trat sofort in diese Fußstapfen ein. So haben sich die Versuche, die Selbständigkeit der Herzogthümer zu brechen, fortwährend erneuert: wiederholt ist die Absicht einer bayrischen Sonderpolitik abgewehrt; erfolgreich ist die Erblichkeit der Herzoge verhindert; ja Conrad II. meinte die Herzoge ganz zu beseitigen, und Heinrich III. fesselte durch ein Otto I. nachgeahmtes Verfahren die beschränkte Macht der willkürlich durch ihn eingesetzten Herzoge an seinen königlichen Willen. Allerdings, die staatsgefährliche Natur, die staatsauflösende Wirkung des Feudalismus ist nicht erkannt und nicht ausgerottet worden — jedoch Rudolf Usinger hat in einer akademischen Festrede in Kiel am 22. März 1870 in trefflichster Weise über das „Königthum der Ottonen und Salier" gehandelt (Kiel, 1870), auf die hinzuweisen mir gestattet sein mag.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/96>, abgerufen am 06.06.2024.