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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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wo irgend eine Möglichkeit sich ihnen eröffnet. Wiederholt hat Frankreich
die Einmischung der Deutschen in seine Angelegenheiten zu ertragen gehabt;
selbst Spanien gegenüber ist die ideelle Oberhoheit des Kaisers angemeldet
worden. Gegen die Ungläubigen im Orient sowohl als gegen die heidnischen
Nachbaren im slavischen Osten von Deutschland ist das Schwert deutscher
Kaisermacht gekehrt worden. Eine ganz besondere Anwendung aber hat das
System des kaiserlichen Universalreiches in Beziehung auf Italien gefunden.
Dort in Italien hat man unmittelbar und unausgesetzt die Herrschaft zu be¬
festigen und zu behaupten gesucht: wenn wir von der Verwirklichung der
Kaiserpläne, von der unruhigen Eroberungslust der Kaiser und ihren unheil¬
vollen Folgen reden, so pflegen wir ganz vorzüglich die italienische Politik
des Kaisertums, die italienischen Feldzüge im Sinne zu haben. Jene auf
die Eroberung, Christianisirung und Colonisation des slavischen Ostens ge¬
richtete Absicht, welche auch bei Heinrich I. schon sich vorfindet, war eine nach
allen Seiten hin heilsame Aufgabe der Deutschen: hätten nur unsere Kaiser
nachhaltiger hierhin ihre Aufmerksamkeit gewendet und die slavische Mission
der Deutschen nicht so oft durch die Züge nach Italien gestört!

Daß die durch fast drei Jahrhunderte fortgesetzten Kriegszüge nach Italien
dem nationalen Reiche in Deutschland keinen Nutzen gebracht, daß in diesen
Kriegen gerade die besten Kräfte Deutschlands ohne bleibenden Nutzen für
Deutschland geopfert sind, -- die Wahrheit dieser Sätze möchte vielleicht aus
dem Verlauf unserer Geschichte heute allgemeiner zugegeben werden. Aber
Mancher, dem der Zusammenhang der Thatsachen dies gezeigt hat, glaubt
nichtsdestoweniger an die Nothwendigkeit oder Unvermeidlichkeit der italienischen
Eroberung. Als Otto sich zu derselben anschickte, sei es, so meint man, fast
eine Tradition gewesen, daß die Nachbarstaaten nach Italien übergriffen:
Reminiscenzen alter Gemeinschaft hätten einen fortdauernden Reiz dazu aus¬
geübt; im Interesse der Deutschen hätte es demnach gelegen, einer etwaigen
Occupation Italiens durch andere Mächte zuvorzukommen. Ich meinerseits
leugne durchaus nicht, daß eine große Versuchung für den deutschen König
Otto in allen jenen angeführten Umständen vorhanden war; ich spreche ihn
aber nicht von der Verantwortlichkeit frei dafür, daß er dieser Versuchung
nicht widerstanden. War die italienische Eroberung denn wirklich ein Glaubens¬
satz, dem kein Gleichzeitiger sich entzogen? Nein, ebenso wie zufolge glaub¬
würdiger Ueberlieferung schon im Frankenreiche gegen die langobardische
Eroberungspolitik König Pipins bei vielen Großen heftiger Widerspruch sich
geregt, ebenso finden wir, daß eine ansehnliche Fürstenpartei 952 mit der
Unterwerfung Oberitaliens unter das deutsche Reich unzufrieden war. eine
Unzufriedenheit, aus der dann sogar ein gefährlicher Aufstand in Deutschland


wo irgend eine Möglichkeit sich ihnen eröffnet. Wiederholt hat Frankreich
die Einmischung der Deutschen in seine Angelegenheiten zu ertragen gehabt;
selbst Spanien gegenüber ist die ideelle Oberhoheit des Kaisers angemeldet
worden. Gegen die Ungläubigen im Orient sowohl als gegen die heidnischen
Nachbaren im slavischen Osten von Deutschland ist das Schwert deutscher
Kaisermacht gekehrt worden. Eine ganz besondere Anwendung aber hat das
System des kaiserlichen Universalreiches in Beziehung auf Italien gefunden.
Dort in Italien hat man unmittelbar und unausgesetzt die Herrschaft zu be¬
festigen und zu behaupten gesucht: wenn wir von der Verwirklichung der
Kaiserpläne, von der unruhigen Eroberungslust der Kaiser und ihren unheil¬
vollen Folgen reden, so pflegen wir ganz vorzüglich die italienische Politik
des Kaisertums, die italienischen Feldzüge im Sinne zu haben. Jene auf
die Eroberung, Christianisirung und Colonisation des slavischen Ostens ge¬
richtete Absicht, welche auch bei Heinrich I. schon sich vorfindet, war eine nach
allen Seiten hin heilsame Aufgabe der Deutschen: hätten nur unsere Kaiser
nachhaltiger hierhin ihre Aufmerksamkeit gewendet und die slavische Mission
der Deutschen nicht so oft durch die Züge nach Italien gestört!

Daß die durch fast drei Jahrhunderte fortgesetzten Kriegszüge nach Italien
dem nationalen Reiche in Deutschland keinen Nutzen gebracht, daß in diesen
Kriegen gerade die besten Kräfte Deutschlands ohne bleibenden Nutzen für
Deutschland geopfert sind, — die Wahrheit dieser Sätze möchte vielleicht aus
dem Verlauf unserer Geschichte heute allgemeiner zugegeben werden. Aber
Mancher, dem der Zusammenhang der Thatsachen dies gezeigt hat, glaubt
nichtsdestoweniger an die Nothwendigkeit oder Unvermeidlichkeit der italienischen
Eroberung. Als Otto sich zu derselben anschickte, sei es, so meint man, fast
eine Tradition gewesen, daß die Nachbarstaaten nach Italien übergriffen:
Reminiscenzen alter Gemeinschaft hätten einen fortdauernden Reiz dazu aus¬
geübt; im Interesse der Deutschen hätte es demnach gelegen, einer etwaigen
Occupation Italiens durch andere Mächte zuvorzukommen. Ich meinerseits
leugne durchaus nicht, daß eine große Versuchung für den deutschen König
Otto in allen jenen angeführten Umständen vorhanden war; ich spreche ihn
aber nicht von der Verantwortlichkeit frei dafür, daß er dieser Versuchung
nicht widerstanden. War die italienische Eroberung denn wirklich ein Glaubens¬
satz, dem kein Gleichzeitiger sich entzogen? Nein, ebenso wie zufolge glaub¬
würdiger Ueberlieferung schon im Frankenreiche gegen die langobardische
Eroberungspolitik König Pipins bei vielen Großen heftiger Widerspruch sich
geregt, ebenso finden wir, daß eine ansehnliche Fürstenpartei 952 mit der
Unterwerfung Oberitaliens unter das deutsche Reich unzufrieden war. eine
Unzufriedenheit, aus der dann sogar ein gefährlicher Aufstand in Deutschland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/98>, abgerufen am 13.06.2024.