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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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dies ist ein Charakterzug, der dem ganzen Mittelalter eignet. Und wer in
derjenigen Periode, von der wir hier reden, Deutschland mit den anderen
Ländern vergleichen wollte -- ich muß das vorhin Gesagte wiederholen --
der würde die verhältnißmäßig günstigere, gehobenere Stellung des König¬
thums in Deutschland antreffen.'

Dies sind Bestrebungen der deutschen Könige, welche innerlich in keinem
Zusammenhange mit ihrer Kaiserwürde stehen, Ausflüsse der überlieferten
Königspolitik, und nicht heilsame Früchte der kaiserlichen Tendenzen, denen
jene deutschen Könige seit Otto I., wenn auch in verschiedenem Grade und
mit verschiedener Begabung, alle sich Hingaben. Weit entfernt, daß die
Kaiserpolitik dieser königlichen Arbeit geholfen; nein, gerade das Gegentheil
trifft zu: die Ideen des Kaisertums haben von jener nüchternen und förder¬
lichen Thätigkeit die Regenten immer wieder abgezogen. Die Nachfolger
Ottos I. -- ich schließe mich hier Gieseb recht, dem Geschichtsschreiber
der deutschen Kaiserzeit an -- "haben über dem Fernen meist das Nächste
versäumt," mit anderen Worten, von einer beharrlichen Verfolgung der
inneren Aufgaben, von einer folgerichtigen Erweiterung und Stärkung der
königlichen Gewalt auf den schon gelegten Grundlagen, von diesen nächsten
Zielen deutscher Politik haben sich die deutschen Könige, geblendet durch den
glänzenden Schimmer der Kaiserkrone, abgewendet: was sie als deutsche
Könige geleistet, geschah nur stoßweise, mit Unterbrechungen: das Kaiserthum
hielt mehr und mehr ihren Sinn in Banden und lenkte in immer steigendem
Maße ihren Arm.

Was ist es, das wir mit diesen kaiserlichen Gedanken bezeichnen? Was
ist der wesentliche Unterschied der Kaiserpolitik gegenüber jenen erwähnten
Aeußerungen und Handlungen des deutschen Königthums?

Ich meine, genau dieselben Merkmale, welche wir für Karls des Großen
Kaiserthum als die charakteristischen bezeichnet, auch von der Politik Ottos I.
und seiner kaiserlichen Nachfolger lassen sie sich aussagen. Die Tendenz
universaler Eroberung und die Vermischung kirchlicher Herrschaftsgelüste mit
der Stellung des weltlichen Fürsten, -- in diesen beiden Punkten ist die spezifische
Kaiserpolitik enthalten; nach diesen beiden Richtungen äußert sich die Tendenz
des christlichen Universalreiches.

Es wird nicht ernstlich bestritten werden können, daß in der That die
Kaiser als Herren der ganzen Erde sich betrachten") und ihre Macht oder ihren
Einfluß überallhin zu tragen gewillt waren. Den Anspruch auf Herrschaft
oder doch Oberherrschaft haben sie erhoben und durchzuführen unternommen,



Vgl. Kampschultc: Die Kaisern'önung Karls des Großen und das christliche Nniver
salreich des Mittelalters. (Akademische Festrede, in Bonn am 22. Mnrz 1864 gehalten.)
Grenzboten l. 1871. 78

dies ist ein Charakterzug, der dem ganzen Mittelalter eignet. Und wer in
derjenigen Periode, von der wir hier reden, Deutschland mit den anderen
Ländern vergleichen wollte — ich muß das vorhin Gesagte wiederholen —
der würde die verhältnißmäßig günstigere, gehobenere Stellung des König¬
thums in Deutschland antreffen.'

Dies sind Bestrebungen der deutschen Könige, welche innerlich in keinem
Zusammenhange mit ihrer Kaiserwürde stehen, Ausflüsse der überlieferten
Königspolitik, und nicht heilsame Früchte der kaiserlichen Tendenzen, denen
jene deutschen Könige seit Otto I., wenn auch in verschiedenem Grade und
mit verschiedener Begabung, alle sich Hingaben. Weit entfernt, daß die
Kaiserpolitik dieser königlichen Arbeit geholfen; nein, gerade das Gegentheil
trifft zu: die Ideen des Kaisertums haben von jener nüchternen und förder¬
lichen Thätigkeit die Regenten immer wieder abgezogen. Die Nachfolger
Ottos I. — ich schließe mich hier Gieseb recht, dem Geschichtsschreiber
der deutschen Kaiserzeit an — „haben über dem Fernen meist das Nächste
versäumt," mit anderen Worten, von einer beharrlichen Verfolgung der
inneren Aufgaben, von einer folgerichtigen Erweiterung und Stärkung der
königlichen Gewalt auf den schon gelegten Grundlagen, von diesen nächsten
Zielen deutscher Politik haben sich die deutschen Könige, geblendet durch den
glänzenden Schimmer der Kaiserkrone, abgewendet: was sie als deutsche
Könige geleistet, geschah nur stoßweise, mit Unterbrechungen: das Kaiserthum
hielt mehr und mehr ihren Sinn in Banden und lenkte in immer steigendem
Maße ihren Arm.

Was ist es, das wir mit diesen kaiserlichen Gedanken bezeichnen? Was
ist der wesentliche Unterschied der Kaiserpolitik gegenüber jenen erwähnten
Aeußerungen und Handlungen des deutschen Königthums?

Ich meine, genau dieselben Merkmale, welche wir für Karls des Großen
Kaiserthum als die charakteristischen bezeichnet, auch von der Politik Ottos I.
und seiner kaiserlichen Nachfolger lassen sie sich aussagen. Die Tendenz
universaler Eroberung und die Vermischung kirchlicher Herrschaftsgelüste mit
der Stellung des weltlichen Fürsten, — in diesen beiden Punkten ist die spezifische
Kaiserpolitik enthalten; nach diesen beiden Richtungen äußert sich die Tendenz
des christlichen Universalreiches.

Es wird nicht ernstlich bestritten werden können, daß in der That die
Kaiser als Herren der ganzen Erde sich betrachten") und ihre Macht oder ihren
Einfluß überallhin zu tragen gewillt waren. Den Anspruch auf Herrschaft
oder doch Oberherrschaft haben sie erhoben und durchzuführen unternommen,



Vgl. Kampschultc: Die Kaisern'önung Karls des Großen und das christliche Nniver
salreich des Mittelalters. (Akademische Festrede, in Bonn am 22. Mnrz 1864 gehalten.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/97>, abgerufen am 06.06.2024.