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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Trost sein, wenn er weiß, daß der Boden, auf dem er sich bewegt, Sumpf¬
boden ist. Die naive Unbefangenheit einer früheren Periode, wo man schlecht¬
weg mit einem Texte des großen Muratori sich begnügte und gewiß kein Arg
darin fand, wenn der Ausdruck oder der Inhalt desselben schon dem gesunden
Menschenverstand, nicht blos den Zähnen der geschulten Kritik allerlei herbe
Nüsse darbot, mochte ohne Zweifel bequemer gewesen sein, aber sie läßt sich
nickt mehr zurückführen, auch nicht einmal zurückwünschen. Dabei aber sei
doch nicht vergessen, was häufig vergessen wird, daß solche unbehagliche Mit¬
telzustände zwischen einem unbrauchbaren Alten und einem noch unerreichten
Neuen eben auch in der Wissenschaft natürlich sind und am allerwenigsten
durch bloßes schmalen und Achselzucken über die unbegreifliche Verzögerung
der wichtigsten Aufgaben gehoben werden könnte. Denn eins ist im Grunde
der Wissenschaft so wichtig wie das andere und das wichtigste immer nur das,
was gerade dem einzelnen, wenn er es braucht, so erscheint. Wer auch nur
einen Blick auf die stattliche Reihe der bisher erschienenen Bände unserer
Uonumentg. wirft, begreift, daß wenn sie heute noch nicht alles enthalten,
was dereinst darin stehen soll und was wir lieber heute als morgen darin
stehen sähen, daran doch nicht Trägheit oder saumselige Pedanterie die
Schuld hat.

Auf der Basis der Nonumenla lassen sich begreiflich ganz andere Gebäude der
Forschung und Darstellung im Bereich unserer älteren Geschichte aufführen,
als noch vor einem Menschenalter möglich war. Es ist nicht zu viel gesagt,
wenn man alles frühere, gleichviel von welchen Kräften es geleistet ist, jetzt
antiquirt nennt. Man thut damit der Tüchtigkeit unserer Vorgänger kein
Unrecht, wenn man sie als eine relative anerkennt und wenn man, wie in
diesem Falle, die Ursache davon in einem Mangel an grundlegenden Hülfs¬
mitteln, den sie selbst nicht verschuldet hatten und nicht beseitigen konnten,
findet.

Doch hier handelt es sich nicht um die große Umwälzung in der
Erkenntniß und Darstellung unserer mittelalterlichen Geschichte, sondern nur
um einen kleinen Ausschnitt aus dem großen Gesammtbilde, um die literar¬
historische Darstellung dieser Geschichrsquellen, aus denen unsere moderne Ge¬
schichtschreibung schöpft. Auch hier fehlen nicht ältere Versuche, aber erst
Wattenbach war vorbehalten, die Resultate seiner Vorgänger zusammen¬
fassend und durch eigene Forschungen ergänzend in seinem epochemachenden
Buche "Deutschlands Geschichtsquellen während des Mittelalters bis zur
Mitte des 13. Jahrhunderts. 1858" ein der jetzigen Wissenschaft genügendes
Bild davon zu entwerfen. Daß ein solches Buch schon 1866 in zweirer, na¬
türlich sehr verbesserter Auflage erscheinen konnte, darf ebensosehr als Beweis
für seine Gediegenheit, wie für die überraschende Ausbreitung der geschichtlichen


Trost sein, wenn er weiß, daß der Boden, auf dem er sich bewegt, Sumpf¬
boden ist. Die naive Unbefangenheit einer früheren Periode, wo man schlecht¬
weg mit einem Texte des großen Muratori sich begnügte und gewiß kein Arg
darin fand, wenn der Ausdruck oder der Inhalt desselben schon dem gesunden
Menschenverstand, nicht blos den Zähnen der geschulten Kritik allerlei herbe
Nüsse darbot, mochte ohne Zweifel bequemer gewesen sein, aber sie läßt sich
nickt mehr zurückführen, auch nicht einmal zurückwünschen. Dabei aber sei
doch nicht vergessen, was häufig vergessen wird, daß solche unbehagliche Mit¬
telzustände zwischen einem unbrauchbaren Alten und einem noch unerreichten
Neuen eben auch in der Wissenschaft natürlich sind und am allerwenigsten
durch bloßes schmalen und Achselzucken über die unbegreifliche Verzögerung
der wichtigsten Aufgaben gehoben werden könnte. Denn eins ist im Grunde
der Wissenschaft so wichtig wie das andere und das wichtigste immer nur das,
was gerade dem einzelnen, wenn er es braucht, so erscheint. Wer auch nur
einen Blick auf die stattliche Reihe der bisher erschienenen Bände unserer
Uonumentg. wirft, begreift, daß wenn sie heute noch nicht alles enthalten,
was dereinst darin stehen soll und was wir lieber heute als morgen darin
stehen sähen, daran doch nicht Trägheit oder saumselige Pedanterie die
Schuld hat.

Auf der Basis der Nonumenla lassen sich begreiflich ganz andere Gebäude der
Forschung und Darstellung im Bereich unserer älteren Geschichte aufführen,
als noch vor einem Menschenalter möglich war. Es ist nicht zu viel gesagt,
wenn man alles frühere, gleichviel von welchen Kräften es geleistet ist, jetzt
antiquirt nennt. Man thut damit der Tüchtigkeit unserer Vorgänger kein
Unrecht, wenn man sie als eine relative anerkennt und wenn man, wie in
diesem Falle, die Ursache davon in einem Mangel an grundlegenden Hülfs¬
mitteln, den sie selbst nicht verschuldet hatten und nicht beseitigen konnten,
findet.

Doch hier handelt es sich nicht um die große Umwälzung in der
Erkenntniß und Darstellung unserer mittelalterlichen Geschichte, sondern nur
um einen kleinen Ausschnitt aus dem großen Gesammtbilde, um die literar¬
historische Darstellung dieser Geschichrsquellen, aus denen unsere moderne Ge¬
schichtschreibung schöpft. Auch hier fehlen nicht ältere Versuche, aber erst
Wattenbach war vorbehalten, die Resultate seiner Vorgänger zusammen¬
fassend und durch eigene Forschungen ergänzend in seinem epochemachenden
Buche „Deutschlands Geschichtsquellen während des Mittelalters bis zur
Mitte des 13. Jahrhunderts. 1858" ein der jetzigen Wissenschaft genügendes
Bild davon zu entwerfen. Daß ein solches Buch schon 1866 in zweirer, na¬
türlich sehr verbesserter Auflage erscheinen konnte, darf ebensosehr als Beweis
für seine Gediegenheit, wie für die überraschende Ausbreitung der geschichtlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/370>, abgerufen am 16.05.2024.