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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Studien im Gebiete unserer eigenen Vergangenheit gelten. Derartige streng
wissenschaftliche Werke pflegen ja sonst auf dem deutschen Büchermarkt kaum
eine Auflage kümmerlich abzusetzen, weil die Zahl der eigentlichen Zunftge¬
nossen in den meisten Fächern doch nur immer eine geringe ist und außerdem
sich Niemand damit zu befassen und noch weniger Geld dafür auszugeben ge¬
wöhnt ist. In unserm Falle aber muß sich beides in günstiger Weise ver¬
ändert haben, weil eines allein nicht zur Erklärung des Erfolges hinreicht.
Denn so zahlreich auch die Jünger der jetzigen historischen Schule an den
Universitäten und anderen gelehrten Anstalten gedacht werden mögen, sie
allein erschöpfen noch keine Auflage, auch wenn jeder sich in den Besitz des
Buches gesetzt hätte. Es müssen also auch nichtzünftige Leute als Käufer
und dann nach unserer ebenso ehrenwerthen, wie für den buchhändlerischen
Verkehr nicht ganz praktischen Gewohnheit als Leser angenommen werden
und dies wird jeder etwas Weiterblickende als ein Symptom einer sehr er¬
freulichen Stimmung der Geister in der deutschen Nation würdigen. Wer
die deutsche Geschichtschreibung des Mittelalters über die Zeitgrenze des Wat-
tenbachischen Buches hinaus, also über die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts
hinaus ähnlich behandeln will, würde begreiflich eine schwerere, aber keines¬
wegs eine undankbarere Aufgabe vor sich sehen. Schwerer schon darum, weil
ihm dabei jene unübertreffliche Grundlage der UvnumentÄ größtentheils
fehlte, denn wenn sich auch nach ihrem Plane keine ganz feste chronologische
Grenze für die einzelnen Bände, wie sie nacheinander folgen, ziehen läßt, na¬
mentlich wo sie aus triftigen innern Gründen hauptsächlich das dem Orte
nach zusammengehörige, das landsmannschastlich verwandte Material zusam¬
menstellen, so reicht doch im allgemeinen das, was sie bisher gebracht haben,
nicht über das Ende des 13. Jahrhunderts hinüber und nur sehr vereinzelt
ins 14. hinein. Wattenback genoß den doppelten Vortheil, einmal den bet
weitem größten Theil seines Materials so bequem vor sich liegen zu haben,
wie man es eben nur innerhalb des bisher von den Monumenten umspann¬
ten, wenn auch noch nicht vollständig ausgefüllten Zeilbereiches finden kann,
und dann auch, gerade an der Stelle, wo diese Vorarbeit abbrach, selbst ab¬
brechen zu dürfen. Denn daß in der Mitte des 13. Jahrhunderts der bis
dahin so weit verzweigte Hauptast der deutschen Geschichtschreibung, dessen
erste Sprößlinge mit der ersten Anpflanzung gelehrter Thätigkeit auf deutschem
Boden gleichalterig sind, verdorrte, ist leicht zu sehen und war auch schon
lange, ehe die moderne Wissenschaft sich mit der systematischen Erforschung
unserer deutschen Geschichtsquellen beschäftigte, allgemein bekannt. Freilich
hat es auch hier, wie meist auch in der Natur, mit dem Verdorren seine
eigne Bewandniß: das Leben hört nicht auf einmal und auch nicht in allen
Markzellen zugleich auf. Die süße Gewohnheit des Daseins gilt nicht blos


Studien im Gebiete unserer eigenen Vergangenheit gelten. Derartige streng
wissenschaftliche Werke pflegen ja sonst auf dem deutschen Büchermarkt kaum
eine Auflage kümmerlich abzusetzen, weil die Zahl der eigentlichen Zunftge¬
nossen in den meisten Fächern doch nur immer eine geringe ist und außerdem
sich Niemand damit zu befassen und noch weniger Geld dafür auszugeben ge¬
wöhnt ist. In unserm Falle aber muß sich beides in günstiger Weise ver¬
ändert haben, weil eines allein nicht zur Erklärung des Erfolges hinreicht.
Denn so zahlreich auch die Jünger der jetzigen historischen Schule an den
Universitäten und anderen gelehrten Anstalten gedacht werden mögen, sie
allein erschöpfen noch keine Auflage, auch wenn jeder sich in den Besitz des
Buches gesetzt hätte. Es müssen also auch nichtzünftige Leute als Käufer
und dann nach unserer ebenso ehrenwerthen, wie für den buchhändlerischen
Verkehr nicht ganz praktischen Gewohnheit als Leser angenommen werden
und dies wird jeder etwas Weiterblickende als ein Symptom einer sehr er¬
freulichen Stimmung der Geister in der deutschen Nation würdigen. Wer
die deutsche Geschichtschreibung des Mittelalters über die Zeitgrenze des Wat-
tenbachischen Buches hinaus, also über die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts
hinaus ähnlich behandeln will, würde begreiflich eine schwerere, aber keines¬
wegs eine undankbarere Aufgabe vor sich sehen. Schwerer schon darum, weil
ihm dabei jene unübertreffliche Grundlage der UvnumentÄ größtentheils
fehlte, denn wenn sich auch nach ihrem Plane keine ganz feste chronologische
Grenze für die einzelnen Bände, wie sie nacheinander folgen, ziehen läßt, na¬
mentlich wo sie aus triftigen innern Gründen hauptsächlich das dem Orte
nach zusammengehörige, das landsmannschastlich verwandte Material zusam¬
menstellen, so reicht doch im allgemeinen das, was sie bisher gebracht haben,
nicht über das Ende des 13. Jahrhunderts hinüber und nur sehr vereinzelt
ins 14. hinein. Wattenback genoß den doppelten Vortheil, einmal den bet
weitem größten Theil seines Materials so bequem vor sich liegen zu haben,
wie man es eben nur innerhalb des bisher von den Monumenten umspann¬
ten, wenn auch noch nicht vollständig ausgefüllten Zeilbereiches finden kann,
und dann auch, gerade an der Stelle, wo diese Vorarbeit abbrach, selbst ab¬
brechen zu dürfen. Denn daß in der Mitte des 13. Jahrhunderts der bis
dahin so weit verzweigte Hauptast der deutschen Geschichtschreibung, dessen
erste Sprößlinge mit der ersten Anpflanzung gelehrter Thätigkeit auf deutschem
Boden gleichalterig sind, verdorrte, ist leicht zu sehen und war auch schon
lange, ehe die moderne Wissenschaft sich mit der systematischen Erforschung
unserer deutschen Geschichtsquellen beschäftigte, allgemein bekannt. Freilich
hat es auch hier, wie meist auch in der Natur, mit dem Verdorren seine
eigne Bewandniß: das Leben hört nicht auf einmal und auch nicht in allen
Markzellen zugleich auf. Die süße Gewohnheit des Daseins gilt nicht blos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/371>, abgerufen am 05.06.2024.