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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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civilisirten Ländern zurückgeblieben, insbesondere hinter England, Nordamerika,
Frankreich, Holland und Belgien. Der Grund ist einfach in der Erschlaffung
seiner politischen Organisation zu suchen. Nachdem diese nun einer kraftvollen
Verjüngung gewichen ist, beginnt die öffentliche Meinung mit wachsender Be¬
stimmtheit und Gewalt den Bau von Canälen und die Correction oder Cana-
lisirung schiffbarer Flüsse zu fordern. Aber inzwischen ist freilich in den Eisen¬
bahnen ein mächtiges concurrirendes Interesse erstanden, das da, wo es sich
concentrirt und Einfluß auf die Staatsleitung übt, wie vor allem im preu¬
ßischen Handelsministerium, dem Canalbau zähe und oft leidenschaftlich wider¬
strebt. Da wir nicht vor dem Eisenbahnnetz schon ein ausgedehntes Canal-
netz erhalten haben, soll es hierfür nun überhaupt zu spät geworden sein. Die
überlegene Mitbewerbung der Eisenbahnen um den zu hebenden Verkehr, wird
behauptet, lasse den Canälen zur Verzinsung ihres Anlagecapitals und zur
fortdauernden Erhaltung nicht genug übrig. Zur Erläuterung dieses Aus¬
spruches wird warnend auf Frankreich hingewiesen, wo angeblich colossale
Summen in den Canälen stecken und eine äußerst geringe Rente abwerfen.

Ein derartiger Beleg ist in seiner Allgemeinheit schon nicht gerade sehr
beweisend. Die Eisenbahnen geben in einem Lande von so ungeheuerem Ver¬
kehr, wie England, eine sehr niedrige Durchschnitts-Dividende, was die unsrigen
jedoch nicht abhält, sich sehr gut zu verzinsen, und weder hier noch dort, noch
irgendwo von der schwunghaftesten Ausbildung dieser Verkehrsstraßen-Art ab¬
schreckt. Genauer angesehen aber verliert der Hinweis auf Frankreich vollends
alle Kraft, wie wir, gestützt auf die technischen und statistischen Angaben,
welche in der "Zeitschrift für Bauwesen" unlängst durch den Wasserbau-In-
spector Heß veröffentlicht worden sind -- den Urheber des neuen Weser-Elb-
Canal-Projects und muthmaßlichen Erbauer des Rostock-Berliner Canals --,
hier in Kürze darthun wollen.

Die französischen Canäle sind allerdings größtenteils vor der Eisenbahn-
Aera angelegt worden. Aber gerade deswegen passen sie in das Zeitalter der
Eisenbahnen so schlecht hinein und liefern so unbefriedigende Erträge. Wäh¬
rend auf der Eisenbahn die Güter durch ganz Frankreich ohne Umladung
fahren, sind die Canalschiffer auf die kürzesten Strecken beschränkt, theils durch
die Menge und theils durch die so außerordentlich verschiedenartige Beschaffen¬
heit der in den Canälen angebrachten Schleußen. Die lichte Breite der
Schleufzen wechselt von 8--9 bis zu 20--21 Fuß, die nützliche Länge von
82 bis zu 144 Fuß. die Wassertiefe von 3 bis zu 7 Fuß. Sobald ein Schiff
also in einer dieser drei Dimensionen das Minimum übersteigt, muß es vor
der nächsten besten Schleuße umkehren, falls dieselbe in einer derselben sich
dem Minimum nähert. Auf 482 Meilen Länge ferner haben die bedeuten¬
deren französischen Schissfahrtscanäle nicht weniger als 1640 Schleußen, auf


civilisirten Ländern zurückgeblieben, insbesondere hinter England, Nordamerika,
Frankreich, Holland und Belgien. Der Grund ist einfach in der Erschlaffung
seiner politischen Organisation zu suchen. Nachdem diese nun einer kraftvollen
Verjüngung gewichen ist, beginnt die öffentliche Meinung mit wachsender Be¬
stimmtheit und Gewalt den Bau von Canälen und die Correction oder Cana-
lisirung schiffbarer Flüsse zu fordern. Aber inzwischen ist freilich in den Eisen¬
bahnen ein mächtiges concurrirendes Interesse erstanden, das da, wo es sich
concentrirt und Einfluß auf die Staatsleitung übt, wie vor allem im preu¬
ßischen Handelsministerium, dem Canalbau zähe und oft leidenschaftlich wider¬
strebt. Da wir nicht vor dem Eisenbahnnetz schon ein ausgedehntes Canal-
netz erhalten haben, soll es hierfür nun überhaupt zu spät geworden sein. Die
überlegene Mitbewerbung der Eisenbahnen um den zu hebenden Verkehr, wird
behauptet, lasse den Canälen zur Verzinsung ihres Anlagecapitals und zur
fortdauernden Erhaltung nicht genug übrig. Zur Erläuterung dieses Aus¬
spruches wird warnend auf Frankreich hingewiesen, wo angeblich colossale
Summen in den Canälen stecken und eine äußerst geringe Rente abwerfen.

Ein derartiger Beleg ist in seiner Allgemeinheit schon nicht gerade sehr
beweisend. Die Eisenbahnen geben in einem Lande von so ungeheuerem Ver¬
kehr, wie England, eine sehr niedrige Durchschnitts-Dividende, was die unsrigen
jedoch nicht abhält, sich sehr gut zu verzinsen, und weder hier noch dort, noch
irgendwo von der schwunghaftesten Ausbildung dieser Verkehrsstraßen-Art ab¬
schreckt. Genauer angesehen aber verliert der Hinweis auf Frankreich vollends
alle Kraft, wie wir, gestützt auf die technischen und statistischen Angaben,
welche in der „Zeitschrift für Bauwesen" unlängst durch den Wasserbau-In-
spector Heß veröffentlicht worden sind — den Urheber des neuen Weser-Elb-
Canal-Projects und muthmaßlichen Erbauer des Rostock-Berliner Canals —,
hier in Kürze darthun wollen.

Die französischen Canäle sind allerdings größtenteils vor der Eisenbahn-
Aera angelegt worden. Aber gerade deswegen passen sie in das Zeitalter der
Eisenbahnen so schlecht hinein und liefern so unbefriedigende Erträge. Wäh¬
rend auf der Eisenbahn die Güter durch ganz Frankreich ohne Umladung
fahren, sind die Canalschiffer auf die kürzesten Strecken beschränkt, theils durch
die Menge und theils durch die so außerordentlich verschiedenartige Beschaffen¬
heit der in den Canälen angebrachten Schleußen. Die lichte Breite der
Schleufzen wechselt von 8—9 bis zu 20—21 Fuß, die nützliche Länge von
82 bis zu 144 Fuß. die Wassertiefe von 3 bis zu 7 Fuß. Sobald ein Schiff
also in einer dieser drei Dimensionen das Minimum übersteigt, muß es vor
der nächsten besten Schleuße umkehren, falls dieselbe in einer derselben sich
dem Minimum nähert. Auf 482 Meilen Länge ferner haben die bedeuten¬
deren französischen Schissfahrtscanäle nicht weniger als 1640 Schleußen, auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/15>, abgerufen am 19.05.2024.