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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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Abgeordnetenhause angehörten, jüngst der Gedanke einer Emigration auftauchte,
soll Herr v. Forkenbeck, der natürliche Vormund parlamentarischer Wünsche, keine
Lust gehabt haben, mit dem Grafen Eulenburg oder gar mit dem Fürsten Bismarck
in Verhandlungen zu treten und man kam auf den Gedanken, Herrn v. Dcn-
zin mit der delicaten Mission zu beauftragen. Herr v, Denzin ist bekanntlich
der Conservativste der Conservativen (nur nicht von Stahl-Gerlach'scher Ro¬
mantik und Heuchelei angekränkelt) und daß ihm eine solche Mission zu Theil
wurde, zeigt, wie sehr die alte Parteileidenschaft sich doch schon abgestumpft
hat. Aber selbst Herr v. Denzin war nicht glücklich und in der That mag
es recht viele und gute Gründe geben, welche die Erfüllung des Wunsches
der Abgeordneten widerrathen, aber wem etwas abgeschlagen wird, der "hört
von allem nur das Nein."

Wer ein paar Wochen an die freundlichen, lichten Räume des Reichs¬
tages gewöhnt war, wer die sinnreiche Erleuchtungsmethode dort gesehen hatte,
durch welche in wenig Secunden ein Licht über den Saal verbreitet wurde,
welches das des Tages nicht vermissen ließ, der muß es allerdings in dem
düstern, unbequemen Abgeordnetenhause doppelt unheimlich finden und wenn
die politische Temperatur daselbst weniger angenehm ist, als im Reichstage,
so tragen vielleicht doch auch die äußern Momente etwas dazu bei.

Das Abgeordnetenhaus hat zwar jetzt wieder täglich Sitzungen gehalten,
aber kein Gegenstand war von besonderem Interesse und der erste der gegen
den Cultusminister angekündigten Angriffe wurde mit solcher Taetlosigkeit
geführt, daß seine besten Freunde dem Angegriffenen keinen bessern Dienst
hätten leisten können.

Unterdessen ist man allerdings in den Fractionen thätig, vielleicht sogar
etwas zu sehr, denn gerade solche Verhältnisse, wie sie gegenwärtig für den
preußischen Landtag vorliegen, wo man sich im Grunde gesteht, daß wenig
Aussicht vorhanden ist, ein bedeutendes Resultat zu erreichen, verleiten beson¬
ders zu einer Ueberschätzung der Fractionsarbeiten. Wo hätte ohne solche
alles das "schätzbare Material" aufgehäuft werden sollen, welches in der
Bibliothek des Abgeordnetenhauses so ziemlich am vollständigsten aufgehäuft
ist, ohne daß davon irgend ein Gebrauch gemacht würde.

Vielleicht mag nach Neujahr ein anderer, frischerer Zug in die Verhand¬
lungen des Hauses kommen und den Pessimismus solcher Berechnungen Lügen
strafen, denn zu Allem, was jetzt hindert, kommt ja auch noch für die Abge¬
ordneten die Nähe des Weihnachtsfestes, welches der Politik nicht Freund ist.

So fröhlich wie sich das Fest diesmal anläßt, ist es seit langer, langer Zeit
nicht gefeiert worden. Die Wunden des letzten Krieges sind allerdings noch
nicht alle vernarbt und Trauer wird noch in so mancher Familie sein, aber
diese melancholischen Ausnahmen verschwinden der Masse gegenüber, und diese


Abgeordnetenhause angehörten, jüngst der Gedanke einer Emigration auftauchte,
soll Herr v. Forkenbeck, der natürliche Vormund parlamentarischer Wünsche, keine
Lust gehabt haben, mit dem Grafen Eulenburg oder gar mit dem Fürsten Bismarck
in Verhandlungen zu treten und man kam auf den Gedanken, Herrn v. Dcn-
zin mit der delicaten Mission zu beauftragen. Herr v, Denzin ist bekanntlich
der Conservativste der Conservativen (nur nicht von Stahl-Gerlach'scher Ro¬
mantik und Heuchelei angekränkelt) und daß ihm eine solche Mission zu Theil
wurde, zeigt, wie sehr die alte Parteileidenschaft sich doch schon abgestumpft
hat. Aber selbst Herr v. Denzin war nicht glücklich und in der That mag
es recht viele und gute Gründe geben, welche die Erfüllung des Wunsches
der Abgeordneten widerrathen, aber wem etwas abgeschlagen wird, der „hört
von allem nur das Nein."

Wer ein paar Wochen an die freundlichen, lichten Räume des Reichs¬
tages gewöhnt war, wer die sinnreiche Erleuchtungsmethode dort gesehen hatte,
durch welche in wenig Secunden ein Licht über den Saal verbreitet wurde,
welches das des Tages nicht vermissen ließ, der muß es allerdings in dem
düstern, unbequemen Abgeordnetenhause doppelt unheimlich finden und wenn
die politische Temperatur daselbst weniger angenehm ist, als im Reichstage,
so tragen vielleicht doch auch die äußern Momente etwas dazu bei.

Das Abgeordnetenhaus hat zwar jetzt wieder täglich Sitzungen gehalten,
aber kein Gegenstand war von besonderem Interesse und der erste der gegen
den Cultusminister angekündigten Angriffe wurde mit solcher Taetlosigkeit
geführt, daß seine besten Freunde dem Angegriffenen keinen bessern Dienst
hätten leisten können.

Unterdessen ist man allerdings in den Fractionen thätig, vielleicht sogar
etwas zu sehr, denn gerade solche Verhältnisse, wie sie gegenwärtig für den
preußischen Landtag vorliegen, wo man sich im Grunde gesteht, daß wenig
Aussicht vorhanden ist, ein bedeutendes Resultat zu erreichen, verleiten beson¬
ders zu einer Ueberschätzung der Fractionsarbeiten. Wo hätte ohne solche
alles das „schätzbare Material" aufgehäuft werden sollen, welches in der
Bibliothek des Abgeordnetenhauses so ziemlich am vollständigsten aufgehäuft
ist, ohne daß davon irgend ein Gebrauch gemacht würde.

Vielleicht mag nach Neujahr ein anderer, frischerer Zug in die Verhand¬
lungen des Hauses kommen und den Pessimismus solcher Berechnungen Lügen
strafen, denn zu Allem, was jetzt hindert, kommt ja auch noch für die Abge¬
ordneten die Nähe des Weihnachtsfestes, welches der Politik nicht Freund ist.

So fröhlich wie sich das Fest diesmal anläßt, ist es seit langer, langer Zeit
nicht gefeiert worden. Die Wunden des letzten Krieges sind allerdings noch
nicht alle vernarbt und Trauer wird noch in so mancher Familie sein, aber
diese melancholischen Ausnahmen verschwinden der Masse gegenüber, und diese


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[0037] Abgeordnetenhause angehörten, jüngst der Gedanke einer Emigration auftauchte, soll Herr v. Forkenbeck, der natürliche Vormund parlamentarischer Wünsche, keine Lust gehabt haben, mit dem Grafen Eulenburg oder gar mit dem Fürsten Bismarck in Verhandlungen zu treten und man kam auf den Gedanken, Herrn v. Dcn- zin mit der delicaten Mission zu beauftragen. Herr v, Denzin ist bekanntlich der Conservativste der Conservativen (nur nicht von Stahl-Gerlach'scher Ro¬ mantik und Heuchelei angekränkelt) und daß ihm eine solche Mission zu Theil wurde, zeigt, wie sehr die alte Parteileidenschaft sich doch schon abgestumpft hat. Aber selbst Herr v. Denzin war nicht glücklich und in der That mag es recht viele und gute Gründe geben, welche die Erfüllung des Wunsches der Abgeordneten widerrathen, aber wem etwas abgeschlagen wird, der „hört von allem nur das Nein." Wer ein paar Wochen an die freundlichen, lichten Räume des Reichs¬ tages gewöhnt war, wer die sinnreiche Erleuchtungsmethode dort gesehen hatte, durch welche in wenig Secunden ein Licht über den Saal verbreitet wurde, welches das des Tages nicht vermissen ließ, der muß es allerdings in dem düstern, unbequemen Abgeordnetenhause doppelt unheimlich finden und wenn die politische Temperatur daselbst weniger angenehm ist, als im Reichstage, so tragen vielleicht doch auch die äußern Momente etwas dazu bei. Das Abgeordnetenhaus hat zwar jetzt wieder täglich Sitzungen gehalten, aber kein Gegenstand war von besonderem Interesse und der erste der gegen den Cultusminister angekündigten Angriffe wurde mit solcher Taetlosigkeit geführt, daß seine besten Freunde dem Angegriffenen keinen bessern Dienst hätten leisten können. Unterdessen ist man allerdings in den Fractionen thätig, vielleicht sogar etwas zu sehr, denn gerade solche Verhältnisse, wie sie gegenwärtig für den preußischen Landtag vorliegen, wo man sich im Grunde gesteht, daß wenig Aussicht vorhanden ist, ein bedeutendes Resultat zu erreichen, verleiten beson¬ ders zu einer Ueberschätzung der Fractionsarbeiten. Wo hätte ohne solche alles das „schätzbare Material" aufgehäuft werden sollen, welches in der Bibliothek des Abgeordnetenhauses so ziemlich am vollständigsten aufgehäuft ist, ohne daß davon irgend ein Gebrauch gemacht würde. Vielleicht mag nach Neujahr ein anderer, frischerer Zug in die Verhand¬ lungen des Hauses kommen und den Pessimismus solcher Berechnungen Lügen strafen, denn zu Allem, was jetzt hindert, kommt ja auch noch für die Abge¬ ordneten die Nähe des Weihnachtsfestes, welches der Politik nicht Freund ist. So fröhlich wie sich das Fest diesmal anläßt, ist es seit langer, langer Zeit nicht gefeiert worden. Die Wunden des letzten Krieges sind allerdings noch nicht alle vernarbt und Trauer wird noch in so mancher Familie sein, aber diese melancholischen Ausnahmen verschwinden der Masse gegenüber, und diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/37>, abgerufen am 19.05.2024.