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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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sant, als daß sie auf das Publicum der "Landtagömittheilungen" beschränkt
bleiben dürfte. Sie lautet: "daß Sachsen sich allenthalben dem deutschen
Reiche in politischer Beziehung angeschlossen habe, darüber könne kein Zweifel
eristiren, doch sei in Bezug auf die Herstellung eines gemeinsamen deutschen
Civilrechts Sachsen der Ansicht, sich gegen diese Maßregel zu erklären.
Sachsen wolle sich nicht auf den Aussterbeetat setzen lassen und
könne daher dem immerwährenden Drängen aus Neichscompetenzerweiterung
nur dann nachgeben, wenn wirklich ein allgemeines Reichsbedürfniß vorhanden
sei; dies erkenne er bei dieser Materie nicht an; denn Sachsen habe kein
Bedürfniß, indem ein bürgerliches Gesetzbuch existire, welches
das Land befriedige. In Bayern sei das Bedürfniß viel dringender,
doch werde auch dieses einem Antrage auf gemeinsame deutsche Civilgesetz¬
gebung nicht beitreten."

In dem Gefühl der mißmuthigen, ungläubigen Ueberraschung, diese
Erklärung 'aus dem Munde des nationalsten sächsischen Ministers zu hören,
standen wir glücklicherweise nicht allein. Der Abg. Pfeiffer, der brave natio¬
nale Lausitzer, verlieh diesem Zweifel Ausdruck/') Aber der Herr Staats-
minister von Friesen beseitigte sofort jeden Zweifel**), indem er die Worte
von dem Aussterbeetat als "den von ihm in der Deputation gebrauchten
Ausdruck" bezeichnete und den Inhalt der Aeußerungen der Regierung im
Protokoll der Deputation im Ganzen richtig wiedergegeben fand. Wenn der
Herr Minister an derselben Stelle noch sagte: "daß das Angeführte nicht dem
Wortlaut (seiner Erklärung) entspreche und ohne den Zusammenhang wieder¬
gegeben sei", so hat er zur Unzeit vermieden, sowohl den "Wortlaut", als
den "Zusammenhang" herzustellen, und wir sind daher sicherlich berechtigt,
die den Quellen einverleibte Erklärung des Herrn Ministers als "im Ganzen
richtig wiedergegeben" zu erachten. Wir haben um so weniger Bedenken hier¬
bei, als die Phrase vom Aussterbeetat und der "-fortwährenden" Erweiterung
der Reichscompetenz fast wortgetreu schon einmal zuvor im norddeutschen
Reichstag dem Zaun der ZHHne des Herrn Ministers entfloh. Damals in
Berlin handelte es sich um den Antrag Lasters auf Einsetzung verantwort¬
licher Bundesresfortminister. Auch damals hatte Herr v. Friesen die von den
nationalen angeblich geplante politische Vernichtung der Grenzsteine zwischen
Bund und Gliedern mit einem peremtorischen: "Bis hierher und nicht weiter"
bekämpft, während Bismarck am Ende der erregten Debatte das köstliche
Wort zu Laster sprach: "Wir sind vielleicht über viele Dinge einverstanden, ohne
daß wir es für den Augenblick wissen." Aber trotz dieser Reminiscenz waren




') L,-Mittheil,, zweite Kammer, 1872. Ur. 4l. S. I13V. Sy. 2.
") Edda. S. N40. Sy. 2.

sant, als daß sie auf das Publicum der „Landtagömittheilungen" beschränkt
bleiben dürfte. Sie lautet: „daß Sachsen sich allenthalben dem deutschen
Reiche in politischer Beziehung angeschlossen habe, darüber könne kein Zweifel
eristiren, doch sei in Bezug auf die Herstellung eines gemeinsamen deutschen
Civilrechts Sachsen der Ansicht, sich gegen diese Maßregel zu erklären.
Sachsen wolle sich nicht auf den Aussterbeetat setzen lassen und
könne daher dem immerwährenden Drängen aus Neichscompetenzerweiterung
nur dann nachgeben, wenn wirklich ein allgemeines Reichsbedürfniß vorhanden
sei; dies erkenne er bei dieser Materie nicht an; denn Sachsen habe kein
Bedürfniß, indem ein bürgerliches Gesetzbuch existire, welches
das Land befriedige. In Bayern sei das Bedürfniß viel dringender,
doch werde auch dieses einem Antrage auf gemeinsame deutsche Civilgesetz¬
gebung nicht beitreten."

In dem Gefühl der mißmuthigen, ungläubigen Ueberraschung, diese
Erklärung 'aus dem Munde des nationalsten sächsischen Ministers zu hören,
standen wir glücklicherweise nicht allein. Der Abg. Pfeiffer, der brave natio¬
nale Lausitzer, verlieh diesem Zweifel Ausdruck/') Aber der Herr Staats-
minister von Friesen beseitigte sofort jeden Zweifel**), indem er die Worte
von dem Aussterbeetat als „den von ihm in der Deputation gebrauchten
Ausdruck" bezeichnete und den Inhalt der Aeußerungen der Regierung im
Protokoll der Deputation im Ganzen richtig wiedergegeben fand. Wenn der
Herr Minister an derselben Stelle noch sagte: „daß das Angeführte nicht dem
Wortlaut (seiner Erklärung) entspreche und ohne den Zusammenhang wieder¬
gegeben sei", so hat er zur Unzeit vermieden, sowohl den „Wortlaut", als
den „Zusammenhang" herzustellen, und wir sind daher sicherlich berechtigt,
die den Quellen einverleibte Erklärung des Herrn Ministers als „im Ganzen
richtig wiedergegeben" zu erachten. Wir haben um so weniger Bedenken hier¬
bei, als die Phrase vom Aussterbeetat und der „-fortwährenden" Erweiterung
der Reichscompetenz fast wortgetreu schon einmal zuvor im norddeutschen
Reichstag dem Zaun der ZHHne des Herrn Ministers entfloh. Damals in
Berlin handelte es sich um den Antrag Lasters auf Einsetzung verantwort¬
licher Bundesresfortminister. Auch damals hatte Herr v. Friesen die von den
nationalen angeblich geplante politische Vernichtung der Grenzsteine zwischen
Bund und Gliedern mit einem peremtorischen: „Bis hierher und nicht weiter"
bekämpft, während Bismarck am Ende der erregten Debatte das köstliche
Wort zu Laster sprach: „Wir sind vielleicht über viele Dinge einverstanden, ohne
daß wir es für den Augenblick wissen." Aber trotz dieser Reminiscenz waren




') L,-Mittheil,, zweite Kammer, 1872. Ur. 4l. S. I13V. Sy. 2.
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[0486] sant, als daß sie auf das Publicum der „Landtagömittheilungen" beschränkt bleiben dürfte. Sie lautet: „daß Sachsen sich allenthalben dem deutschen Reiche in politischer Beziehung angeschlossen habe, darüber könne kein Zweifel eristiren, doch sei in Bezug auf die Herstellung eines gemeinsamen deutschen Civilrechts Sachsen der Ansicht, sich gegen diese Maßregel zu erklären. Sachsen wolle sich nicht auf den Aussterbeetat setzen lassen und könne daher dem immerwährenden Drängen aus Neichscompetenzerweiterung nur dann nachgeben, wenn wirklich ein allgemeines Reichsbedürfniß vorhanden sei; dies erkenne er bei dieser Materie nicht an; denn Sachsen habe kein Bedürfniß, indem ein bürgerliches Gesetzbuch existire, welches das Land befriedige. In Bayern sei das Bedürfniß viel dringender, doch werde auch dieses einem Antrage auf gemeinsame deutsche Civilgesetz¬ gebung nicht beitreten." In dem Gefühl der mißmuthigen, ungläubigen Ueberraschung, diese Erklärung 'aus dem Munde des nationalsten sächsischen Ministers zu hören, standen wir glücklicherweise nicht allein. Der Abg. Pfeiffer, der brave natio¬ nale Lausitzer, verlieh diesem Zweifel Ausdruck/') Aber der Herr Staats- minister von Friesen beseitigte sofort jeden Zweifel**), indem er die Worte von dem Aussterbeetat als „den von ihm in der Deputation gebrauchten Ausdruck" bezeichnete und den Inhalt der Aeußerungen der Regierung im Protokoll der Deputation im Ganzen richtig wiedergegeben fand. Wenn der Herr Minister an derselben Stelle noch sagte: „daß das Angeführte nicht dem Wortlaut (seiner Erklärung) entspreche und ohne den Zusammenhang wieder¬ gegeben sei", so hat er zur Unzeit vermieden, sowohl den „Wortlaut", als den „Zusammenhang" herzustellen, und wir sind daher sicherlich berechtigt, die den Quellen einverleibte Erklärung des Herrn Ministers als „im Ganzen richtig wiedergegeben" zu erachten. Wir haben um so weniger Bedenken hier¬ bei, als die Phrase vom Aussterbeetat und der „-fortwährenden" Erweiterung der Reichscompetenz fast wortgetreu schon einmal zuvor im norddeutschen Reichstag dem Zaun der ZHHne des Herrn Ministers entfloh. Damals in Berlin handelte es sich um den Antrag Lasters auf Einsetzung verantwort¬ licher Bundesresfortminister. Auch damals hatte Herr v. Friesen die von den nationalen angeblich geplante politische Vernichtung der Grenzsteine zwischen Bund und Gliedern mit einem peremtorischen: „Bis hierher und nicht weiter" bekämpft, während Bismarck am Ende der erregten Debatte das köstliche Wort zu Laster sprach: „Wir sind vielleicht über viele Dinge einverstanden, ohne daß wir es für den Augenblick wissen." Aber trotz dieser Reminiscenz waren ') L,-Mittheil,, zweite Kammer, 1872. Ur. 4l. S. I13V. Sy. 2. ") Edda. S. N40. Sy. 2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/486>, abgerufen am 10.06.2024.