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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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Behauptung" auf, indem er sagt: "Man muß die Realschulen den preußischen
Oberrealschulen vollständig gleichstellen; denn ich bestreite, daß das jetzt der
Fall ist, obgleich ich weiß, daß dies von Seiten des hohen Ministeriums be¬
hauptet wird. Ich mache darauf aufmerksam: wenn die preußische Realschule
die Schüler bis zum 18. Lebensjahr behält in einem 9jährigen Cursus und
die sächsische Realschule dieselben nur bis zum 17. Lebensjahre in einem
7jährigen Cursus, so ist von selbst klar, daß die sächsische der preußischen
nachsteht. Die preußischen Schulen haben eben nach oben zu ein weiteres
Schuljahr, das läßt sich nicht bestreiten. Wenn man sagt: ja, auf den
sächsischen Realschulen werden die Schüler 18 und 19 Jahre alt, so läßt sich
andererseits behaupten: auf den preußischen aber auch 20 bis 21 Jahre. Das
sind aber, hier wie dort, Ausnahmen, und wenn man sich an die Regel, an
die Organisation der Schulen hält, so muß man sagen: die preußischen Real¬
schulen gehen einen Schritt weiter, als die sächsischen, sie haben ein Schuljahr
nach obenhin mehr. Ich glaube, das ist auch das Richtige und Zweckmäßige.
Denn wenn der ganze wissenschaftliche Stoff, den man den Realschulen zuge¬
wiesen hat, überwältigt werden soll, so muß man auch den Schülern Zeit zu
einer gewissen natürlichen, geistigen Reife lassen, und da ist es nothwendig,
daß die Schulzeit noch um ein Jahr ausgedehnt wird. Eine gewisse geistige
Reife ist vor einem gewissen Alter einmal nicht zu erreichen und man soll die
geistige Entwickelung nicht überstürzen, sondern ihr gemessene Zeit lassen."

Mit Recht fragt er weiter, warum nicht den sächsischen Realschulen I. 0.,
die nach der Meinung des Ministeriums den preußischen völlig gleich sein
sollen, dieselbe Berechtigung eingeräumt werde, wie den preußischen in Bezug
auf die Zulassung zu Universitätsstudien?

Indem er sodann auf die Verwendung der "Pädagogen" zu sprechen
kommt, wünscht er mit uns, dieselben auf die Bürgerschulen und höheren
Volksschulen beschränkt zu sehen. "Wenn man aber, fährt er fort, diese Kan¬
didaten des höheren Schulamtes, die schon nach zweijährigen Studien auf der
Universität die Candidatur erlangen können, berechtigt, Lehrerstellen
an der Realschule I. 0. zu bekleiden, so glaube ich, schädigt man den wissen¬
schaftlichen Charakter dieser Schulen. Ich halte allerdings dafür, daß mit
eigentlichem wissenschaftlichen Erfolge ohne sprachliche Vorbildung auf der
Universität Studien nicht getrieben werden können; ferner, daß Derjenige,
welcher als Lehrer an der Realschule I. 0. angestellt sein will, vor allen
Dingen eine wissenschaftliche Borbildung auf einer höheren Schule erhalten
haben muß, und daß die ganze Einrichtung der Seminare zur Zeit nicht der¬
artig ist, daß man sagen könnte, die Seminaristen haben bei ihrem Abgange
eiye wissenschaftliche Bildung erreicht. Davon kann weder in sprachlicher, noch
in naturwissenschaftlicher, noch in mathematischer Beziehung die Rede sein; sie


Grenzbcten I. 1872. 66

Behauptung" auf, indem er sagt: „Man muß die Realschulen den preußischen
Oberrealschulen vollständig gleichstellen; denn ich bestreite, daß das jetzt der
Fall ist, obgleich ich weiß, daß dies von Seiten des hohen Ministeriums be¬
hauptet wird. Ich mache darauf aufmerksam: wenn die preußische Realschule
die Schüler bis zum 18. Lebensjahr behält in einem 9jährigen Cursus und
die sächsische Realschule dieselben nur bis zum 17. Lebensjahre in einem
7jährigen Cursus, so ist von selbst klar, daß die sächsische der preußischen
nachsteht. Die preußischen Schulen haben eben nach oben zu ein weiteres
Schuljahr, das läßt sich nicht bestreiten. Wenn man sagt: ja, auf den
sächsischen Realschulen werden die Schüler 18 und 19 Jahre alt, so läßt sich
andererseits behaupten: auf den preußischen aber auch 20 bis 21 Jahre. Das
sind aber, hier wie dort, Ausnahmen, und wenn man sich an die Regel, an
die Organisation der Schulen hält, so muß man sagen: die preußischen Real¬
schulen gehen einen Schritt weiter, als die sächsischen, sie haben ein Schuljahr
nach obenhin mehr. Ich glaube, das ist auch das Richtige und Zweckmäßige.
Denn wenn der ganze wissenschaftliche Stoff, den man den Realschulen zuge¬
wiesen hat, überwältigt werden soll, so muß man auch den Schülern Zeit zu
einer gewissen natürlichen, geistigen Reife lassen, und da ist es nothwendig,
daß die Schulzeit noch um ein Jahr ausgedehnt wird. Eine gewisse geistige
Reife ist vor einem gewissen Alter einmal nicht zu erreichen und man soll die
geistige Entwickelung nicht überstürzen, sondern ihr gemessene Zeit lassen."

Mit Recht fragt er weiter, warum nicht den sächsischen Realschulen I. 0.,
die nach der Meinung des Ministeriums den preußischen völlig gleich sein
sollen, dieselbe Berechtigung eingeräumt werde, wie den preußischen in Bezug
auf die Zulassung zu Universitätsstudien?

Indem er sodann auf die Verwendung der „Pädagogen" zu sprechen
kommt, wünscht er mit uns, dieselben auf die Bürgerschulen und höheren
Volksschulen beschränkt zu sehen. „Wenn man aber, fährt er fort, diese Kan¬
didaten des höheren Schulamtes, die schon nach zweijährigen Studien auf der
Universität die Candidatur erlangen können, berechtigt, Lehrerstellen
an der Realschule I. 0. zu bekleiden, so glaube ich, schädigt man den wissen¬
schaftlichen Charakter dieser Schulen. Ich halte allerdings dafür, daß mit
eigentlichem wissenschaftlichen Erfolge ohne sprachliche Vorbildung auf der
Universität Studien nicht getrieben werden können; ferner, daß Derjenige,
welcher als Lehrer an der Realschule I. 0. angestellt sein will, vor allen
Dingen eine wissenschaftliche Borbildung auf einer höheren Schule erhalten
haben muß, und daß die ganze Einrichtung der Seminare zur Zeit nicht der¬
artig ist, daß man sagen könnte, die Seminaristen haben bei ihrem Abgange
eiye wissenschaftliche Bildung erreicht. Davon kann weder in sprachlicher, noch
in naturwissenschaftlicher, noch in mathematischer Beziehung die Rede sein; sie


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[0529] Behauptung" auf, indem er sagt: „Man muß die Realschulen den preußischen Oberrealschulen vollständig gleichstellen; denn ich bestreite, daß das jetzt der Fall ist, obgleich ich weiß, daß dies von Seiten des hohen Ministeriums be¬ hauptet wird. Ich mache darauf aufmerksam: wenn die preußische Realschule die Schüler bis zum 18. Lebensjahr behält in einem 9jährigen Cursus und die sächsische Realschule dieselben nur bis zum 17. Lebensjahre in einem 7jährigen Cursus, so ist von selbst klar, daß die sächsische der preußischen nachsteht. Die preußischen Schulen haben eben nach oben zu ein weiteres Schuljahr, das läßt sich nicht bestreiten. Wenn man sagt: ja, auf den sächsischen Realschulen werden die Schüler 18 und 19 Jahre alt, so läßt sich andererseits behaupten: auf den preußischen aber auch 20 bis 21 Jahre. Das sind aber, hier wie dort, Ausnahmen, und wenn man sich an die Regel, an die Organisation der Schulen hält, so muß man sagen: die preußischen Real¬ schulen gehen einen Schritt weiter, als die sächsischen, sie haben ein Schuljahr nach obenhin mehr. Ich glaube, das ist auch das Richtige und Zweckmäßige. Denn wenn der ganze wissenschaftliche Stoff, den man den Realschulen zuge¬ wiesen hat, überwältigt werden soll, so muß man auch den Schülern Zeit zu einer gewissen natürlichen, geistigen Reife lassen, und da ist es nothwendig, daß die Schulzeit noch um ein Jahr ausgedehnt wird. Eine gewisse geistige Reife ist vor einem gewissen Alter einmal nicht zu erreichen und man soll die geistige Entwickelung nicht überstürzen, sondern ihr gemessene Zeit lassen." Mit Recht fragt er weiter, warum nicht den sächsischen Realschulen I. 0., die nach der Meinung des Ministeriums den preußischen völlig gleich sein sollen, dieselbe Berechtigung eingeräumt werde, wie den preußischen in Bezug auf die Zulassung zu Universitätsstudien? Indem er sodann auf die Verwendung der „Pädagogen" zu sprechen kommt, wünscht er mit uns, dieselben auf die Bürgerschulen und höheren Volksschulen beschränkt zu sehen. „Wenn man aber, fährt er fort, diese Kan¬ didaten des höheren Schulamtes, die schon nach zweijährigen Studien auf der Universität die Candidatur erlangen können, berechtigt, Lehrerstellen an der Realschule I. 0. zu bekleiden, so glaube ich, schädigt man den wissen¬ schaftlichen Charakter dieser Schulen. Ich halte allerdings dafür, daß mit eigentlichem wissenschaftlichen Erfolge ohne sprachliche Vorbildung auf der Universität Studien nicht getrieben werden können; ferner, daß Derjenige, welcher als Lehrer an der Realschule I. 0. angestellt sein will, vor allen Dingen eine wissenschaftliche Borbildung auf einer höheren Schule erhalten haben muß, und daß die ganze Einrichtung der Seminare zur Zeit nicht der¬ artig ist, daß man sagen könnte, die Seminaristen haben bei ihrem Abgange eiye wissenschaftliche Bildung erreicht. Davon kann weder in sprachlicher, noch in naturwissenschaftlicher, noch in mathematischer Beziehung die Rede sein; sie Grenzbcten I. 1872. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/529>, abgerufen am 19.05.2024.