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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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der Ebene angelegt wurden. Die primitivste Form ist ein herumgeführter
Erdwall, auf dem eine Brustwehr aus Planken errichtet war. Mit dem drei¬
zehnten, vierzehnten Jahrhundert entstehen statt dessen steinerne Ringmauern,
die man durch halbkreisförmig vortretende Thürme verstärkte; und somit war
man wieder auf dem Standpunkte angelangt, den die römische Festungsbau¬
kunst eingenommen hatte. Der Zweck dieser Thürme war ein doppelter; ein¬
mal vermochte man durch seitwärts in ihnen angebrachte Schießscharten den
todten Winkel zu beherrschen, das heißt denjenigen Theil des Terrains un¬
mittelbar vor der Mauer, der von oben nicht mehr zu beschießen war; sodann
wollte man selbstständige Vertheidigungspunkte schaffen, die sich noch halten
konnten, wenn bereits die Mauer erstiegen war. Man unterbrach also den
Wallgang neben den Thürmen. In manchen kleineren Städten fehlte er
gänzlich und die Vertheidigung beschränkte sich auf die Thürme allein. Der
todte Winkel unter letzteren wurde durch erkerartig heraustretende Vorbaue,
die nach unten geöffnet waren, oder durch Pallisaden und Verhaue möglichst
unschädlich gemacht.

Dies ist die Form, die wir heute noch bei vielen alten Städten beob¬
achten, nur daß meist der Zwinger (Wallgraben) in Promenaden umgewan¬
delt ist, und die auch zur Zeit Dürers die allgemeine war. Sie reichte na¬
türlich den bisherigen Angriffsmitteln gegenüber aus, war aber gegen Feuer¬
geschütz viel zu schwach. Es wird sich zeigen, daß sich Dürer an dieses System
unmittelbar anlehnt; nur daß er es durch eine Reihe genialer Erfindungen
der Neuzeit anpaßt. Dürer zeigt, wie seine Zeitgenossen, überhaupt ein reges
Interesse an der neu entstehenden Kriegskunst. Dies ist schon an der großen
Anzahl derjeniger seiner Blätter zu ersehen, welche Landsknechte, Fahnen¬
träger, Kanonen und Kämpfer aller Art vorstellen. Die nähere Veranlassung
zur Herausgabe seines Buches im Jahre 1527 bildet die Anlegung mehrerer
festen Plätze durch Ferdinand, dem auch das Werk gewidmet ist.*)

Dürers Befestigungen bestehen aus starkem Mauerwerk. "An etlichen
Orten", sagt er, "da die Leut nit bei Geld sind oder die Eil und Noth das
erheischt, machen sie große Schütten (Erdwälle), verschränken und vergraben
die, und wehren sich kecklich daraus, das ist fast gut. Davon will ich aber
hie nit schreiben, denn die Kriegsleut wissen solchs wohl zu machen; wan
man aber solcher Gebäu nit mehr bedarf, läßt man sie gewöhnlich zerreitern...
Damit nun eine treffliche Stadt oder achtbares Schloß wehrhaft bleiben möge,
muß man Mauerwerk haben. Zunächst soll die äußere Grabenwand "ge-



") Bei Gelegenheit der vorjährigen Dürerfeier ist eine vorzügliche autographische Nach¬
bildung der Dürer'schen Zeichnungen von G. v. Jmhof (Nördlingen, Weck) erschienen. Dem
Werke sind 5" Seiten Tezt, der allerdings auf Fachkcnucr berechnet ist, beigegeben.
Grenzboten II. 1872. 19

der Ebene angelegt wurden. Die primitivste Form ist ein herumgeführter
Erdwall, auf dem eine Brustwehr aus Planken errichtet war. Mit dem drei¬
zehnten, vierzehnten Jahrhundert entstehen statt dessen steinerne Ringmauern,
die man durch halbkreisförmig vortretende Thürme verstärkte; und somit war
man wieder auf dem Standpunkte angelangt, den die römische Festungsbau¬
kunst eingenommen hatte. Der Zweck dieser Thürme war ein doppelter; ein¬
mal vermochte man durch seitwärts in ihnen angebrachte Schießscharten den
todten Winkel zu beherrschen, das heißt denjenigen Theil des Terrains un¬
mittelbar vor der Mauer, der von oben nicht mehr zu beschießen war; sodann
wollte man selbstständige Vertheidigungspunkte schaffen, die sich noch halten
konnten, wenn bereits die Mauer erstiegen war. Man unterbrach also den
Wallgang neben den Thürmen. In manchen kleineren Städten fehlte er
gänzlich und die Vertheidigung beschränkte sich auf die Thürme allein. Der
todte Winkel unter letzteren wurde durch erkerartig heraustretende Vorbaue,
die nach unten geöffnet waren, oder durch Pallisaden und Verhaue möglichst
unschädlich gemacht.

Dies ist die Form, die wir heute noch bei vielen alten Städten beob¬
achten, nur daß meist der Zwinger (Wallgraben) in Promenaden umgewan¬
delt ist, und die auch zur Zeit Dürers die allgemeine war. Sie reichte na¬
türlich den bisherigen Angriffsmitteln gegenüber aus, war aber gegen Feuer¬
geschütz viel zu schwach. Es wird sich zeigen, daß sich Dürer an dieses System
unmittelbar anlehnt; nur daß er es durch eine Reihe genialer Erfindungen
der Neuzeit anpaßt. Dürer zeigt, wie seine Zeitgenossen, überhaupt ein reges
Interesse an der neu entstehenden Kriegskunst. Dies ist schon an der großen
Anzahl derjeniger seiner Blätter zu ersehen, welche Landsknechte, Fahnen¬
träger, Kanonen und Kämpfer aller Art vorstellen. Die nähere Veranlassung
zur Herausgabe seines Buches im Jahre 1527 bildet die Anlegung mehrerer
festen Plätze durch Ferdinand, dem auch das Werk gewidmet ist.*)

Dürers Befestigungen bestehen aus starkem Mauerwerk. „An etlichen
Orten", sagt er, „da die Leut nit bei Geld sind oder die Eil und Noth das
erheischt, machen sie große Schütten (Erdwälle), verschränken und vergraben
die, und wehren sich kecklich daraus, das ist fast gut. Davon will ich aber
hie nit schreiben, denn die Kriegsleut wissen solchs wohl zu machen; wan
man aber solcher Gebäu nit mehr bedarf, läßt man sie gewöhnlich zerreitern...
Damit nun eine treffliche Stadt oder achtbares Schloß wehrhaft bleiben möge,
muß man Mauerwerk haben. Zunächst soll die äußere Grabenwand „ge-



") Bei Gelegenheit der vorjährigen Dürerfeier ist eine vorzügliche autographische Nach¬
bildung der Dürer'schen Zeichnungen von G. v. Jmhof (Nördlingen, Weck) erschienen. Dem
Werke sind 5» Seiten Tezt, der allerdings auf Fachkcnucr berechnet ist, beigegeben.
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[0153] der Ebene angelegt wurden. Die primitivste Form ist ein herumgeführter Erdwall, auf dem eine Brustwehr aus Planken errichtet war. Mit dem drei¬ zehnten, vierzehnten Jahrhundert entstehen statt dessen steinerne Ringmauern, die man durch halbkreisförmig vortretende Thürme verstärkte; und somit war man wieder auf dem Standpunkte angelangt, den die römische Festungsbau¬ kunst eingenommen hatte. Der Zweck dieser Thürme war ein doppelter; ein¬ mal vermochte man durch seitwärts in ihnen angebrachte Schießscharten den todten Winkel zu beherrschen, das heißt denjenigen Theil des Terrains un¬ mittelbar vor der Mauer, der von oben nicht mehr zu beschießen war; sodann wollte man selbstständige Vertheidigungspunkte schaffen, die sich noch halten konnten, wenn bereits die Mauer erstiegen war. Man unterbrach also den Wallgang neben den Thürmen. In manchen kleineren Städten fehlte er gänzlich und die Vertheidigung beschränkte sich auf die Thürme allein. Der todte Winkel unter letzteren wurde durch erkerartig heraustretende Vorbaue, die nach unten geöffnet waren, oder durch Pallisaden und Verhaue möglichst unschädlich gemacht. Dies ist die Form, die wir heute noch bei vielen alten Städten beob¬ achten, nur daß meist der Zwinger (Wallgraben) in Promenaden umgewan¬ delt ist, und die auch zur Zeit Dürers die allgemeine war. Sie reichte na¬ türlich den bisherigen Angriffsmitteln gegenüber aus, war aber gegen Feuer¬ geschütz viel zu schwach. Es wird sich zeigen, daß sich Dürer an dieses System unmittelbar anlehnt; nur daß er es durch eine Reihe genialer Erfindungen der Neuzeit anpaßt. Dürer zeigt, wie seine Zeitgenossen, überhaupt ein reges Interesse an der neu entstehenden Kriegskunst. Dies ist schon an der großen Anzahl derjeniger seiner Blätter zu ersehen, welche Landsknechte, Fahnen¬ träger, Kanonen und Kämpfer aller Art vorstellen. Die nähere Veranlassung zur Herausgabe seines Buches im Jahre 1527 bildet die Anlegung mehrerer festen Plätze durch Ferdinand, dem auch das Werk gewidmet ist.*) Dürers Befestigungen bestehen aus starkem Mauerwerk. „An etlichen Orten", sagt er, „da die Leut nit bei Geld sind oder die Eil und Noth das erheischt, machen sie große Schütten (Erdwälle), verschränken und vergraben die, und wehren sich kecklich daraus, das ist fast gut. Davon will ich aber hie nit schreiben, denn die Kriegsleut wissen solchs wohl zu machen; wan man aber solcher Gebäu nit mehr bedarf, läßt man sie gewöhnlich zerreitern... Damit nun eine treffliche Stadt oder achtbares Schloß wehrhaft bleiben möge, muß man Mauerwerk haben. Zunächst soll die äußere Grabenwand „ge- ") Bei Gelegenheit der vorjährigen Dürerfeier ist eine vorzügliche autographische Nach¬ bildung der Dürer'schen Zeichnungen von G. v. Jmhof (Nördlingen, Weck) erschienen. Dem Werke sind 5» Seiten Tezt, der allerdings auf Fachkcnucr berechnet ist, beigegeben. Grenzboten II. 1872. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/153>, abgerufen am 16.06.2024.