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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Geschichte enthält. Nun gibt es allerdings hier ein derartiges Buch, eine in
vorchristlicher Zeit von einem gewissen Lalita-Vistara abgefaßte sagenhafte
Lebensbeschreibung des Gautama oder Buddha, welche ein merkwürdiges Sei¬
tenstück zu der legendarischen Erzählung von Barlaam und Josaphat bildet.
Alles was dort von der Jugend des Stifters der buddhistischen Religion be¬
richtet wird, stimmt selbst in Kleinigkeiten mit der Geschichte des Johannes
überein und es ist in dieser Hinsicht merkwürdig, daß ungefähr gleichzeitig
und unabhängig von einander ein deutscher, französischer und englischer Ge¬
lehrter darauf kommen konnte, den Nachweis zu liefern, daß Johannes den
Helden seiner Erzählung indirect dem Werke des Lalita-Vistara entlehnt
haben müsse.

Auch der Stifter des Buddhismus ist nach dem Werke des Lalita ein
Königssohn; auch hier ist dem Vater von einem Brahmanen geweissagt wor¬
den, sein Sohn werde dereinst seine Herrschaft und alle seine Reichthümer auf¬
geben und ein Buddha (das ist ein Erleuchteter) werden. Um dies zu ver¬
hüten, läßt auch hier der Vater den Sohn nur zur Freude und zum Ver¬
gnügen erziehen, und verbietet den Dienern auf das Strengste, mit ihm über
Alter, Krankheit oder Tod zu reden, weil diese Dinge ihn zumeist an die
Hinfälligkeit des irdischen Lebens erinnern und den Wunsch, sich in der Ein¬
samkeit einem beschaulichen Leben hinzugeben, in ihm aufkeimen lassen
konnten.

Am deutlichsten zeigt sich aber die Uebereinstimmung in der Schilderung,
wie Buddha und Josaphat über die Dinge, die ihnen verborgen bleiben
sollen, aufgeklärt werden. Bei Lalita macht Buddha jene drei Auffahrten,
die bei den Buddhisten eine so große Berühmtheit erlangt haben. Als er das
erste Mal in Begleitung seines Wagenlenkers Candaka die Stadt Kavilavasta
verläßt, um nach seinem Lustgarten zu fahren, begegnet ihm vor dem Thore
ein zahnloser Greis mit weißen Haaren, runzliger Haut und schlotternden
Beinen, und als der Wagenlenker dem Prinzen auf sein Befragen über dies
Wesen Aufschluß gibt, ihm mittheilt, daß das Alles eine allgemeine Eigen¬
thümlichkeit des menschlichen Lebens sei, da bricht der bestürzte Jüngling in
die Worte aus: "Ach! was sind die Menschen so thöricht, sich von der Ju¬
gend berauschen zu lassen, ohne das Alter zu sehen, das ihrer wartet. Was
mich anbelangt, so begebe ich mich hinweg; was habe ich, die einstige Beute
des Alters, mit dem Vergnügen zu schaffen!" Und er ließ den Wagen
wenden und fuhr nach Hause, ohne den Lustgarten gesehen zu haben. Ein
andermal fährt er wieder aus und begegnet vor dem Thore einem Manne,
der vom Fieber befallen, mit Schmutz bedeckt, kaum im Stande ist, zu athmen.
Auch hier gibt ihm sein Wagenlenker Aufschluß, daß die Krankheiten nicht
nur einzelne, sondern alle Menschen bedrohen, daß sie das gemeinsame Loos


Geschichte enthält. Nun gibt es allerdings hier ein derartiges Buch, eine in
vorchristlicher Zeit von einem gewissen Lalita-Vistara abgefaßte sagenhafte
Lebensbeschreibung des Gautama oder Buddha, welche ein merkwürdiges Sei¬
tenstück zu der legendarischen Erzählung von Barlaam und Josaphat bildet.
Alles was dort von der Jugend des Stifters der buddhistischen Religion be¬
richtet wird, stimmt selbst in Kleinigkeiten mit der Geschichte des Johannes
überein und es ist in dieser Hinsicht merkwürdig, daß ungefähr gleichzeitig
und unabhängig von einander ein deutscher, französischer und englischer Ge¬
lehrter darauf kommen konnte, den Nachweis zu liefern, daß Johannes den
Helden seiner Erzählung indirect dem Werke des Lalita-Vistara entlehnt
haben müsse.

Auch der Stifter des Buddhismus ist nach dem Werke des Lalita ein
Königssohn; auch hier ist dem Vater von einem Brahmanen geweissagt wor¬
den, sein Sohn werde dereinst seine Herrschaft und alle seine Reichthümer auf¬
geben und ein Buddha (das ist ein Erleuchteter) werden. Um dies zu ver¬
hüten, läßt auch hier der Vater den Sohn nur zur Freude und zum Ver¬
gnügen erziehen, und verbietet den Dienern auf das Strengste, mit ihm über
Alter, Krankheit oder Tod zu reden, weil diese Dinge ihn zumeist an die
Hinfälligkeit des irdischen Lebens erinnern und den Wunsch, sich in der Ein¬
samkeit einem beschaulichen Leben hinzugeben, in ihm aufkeimen lassen
konnten.

Am deutlichsten zeigt sich aber die Uebereinstimmung in der Schilderung,
wie Buddha und Josaphat über die Dinge, die ihnen verborgen bleiben
sollen, aufgeklärt werden. Bei Lalita macht Buddha jene drei Auffahrten,
die bei den Buddhisten eine so große Berühmtheit erlangt haben. Als er das
erste Mal in Begleitung seines Wagenlenkers Candaka die Stadt Kavilavasta
verläßt, um nach seinem Lustgarten zu fahren, begegnet ihm vor dem Thore
ein zahnloser Greis mit weißen Haaren, runzliger Haut und schlotternden
Beinen, und als der Wagenlenker dem Prinzen auf sein Befragen über dies
Wesen Aufschluß gibt, ihm mittheilt, daß das Alles eine allgemeine Eigen¬
thümlichkeit des menschlichen Lebens sei, da bricht der bestürzte Jüngling in
die Worte aus: „Ach! was sind die Menschen so thöricht, sich von der Ju¬
gend berauschen zu lassen, ohne das Alter zu sehen, das ihrer wartet. Was
mich anbelangt, so begebe ich mich hinweg; was habe ich, die einstige Beute
des Alters, mit dem Vergnügen zu schaffen!" Und er ließ den Wagen
wenden und fuhr nach Hause, ohne den Lustgarten gesehen zu haben. Ein
andermal fährt er wieder aus und begegnet vor dem Thore einem Manne,
der vom Fieber befallen, mit Schmutz bedeckt, kaum im Stande ist, zu athmen.
Auch hier gibt ihm sein Wagenlenker Aufschluß, daß die Krankheiten nicht
nur einzelne, sondern alle Menschen bedrohen, daß sie das gemeinsame Loos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/316>, abgerufen am 16.06.2024.