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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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aller seien; von Neuem bricht der Jüngling in Klagen über das menschliche
Schicksal aus und läßt sich sofort nach Hause fahren, weil er nach solchem An¬
blick nicht weiter an Freude und Vergnügen Gefallen finden könnte. , Und als
er zum dritten Male nach dem Lustgarten fuhr, erblickte er eine Leiche auf
der Bahre, und sah die Freunde ringsum, wie sie jammerten und ihr Haupt
mit Asche bestreuten. Von Neuem beklagte hier der Prinz, als ihn der
Wagenlenker über dies Schauspiel aufklärte, das irdische Elend und ließ um¬
kehren, indem er noch die bedeutsamen Worte zufügte: "Ich muß daran denken,
Rettung zu schaffen." Und als er nun später einmal einen Bettler erblickte,
der ruhig sein Loos ertrug und bei aller Armuth doch die Würde an den
Tag legte, und erfuhr, daß dies ein Bhikshu sei, ein Mann, der auf alle
äußeren Güter verzichtet, um ein beschauliches Leben zu führen, da war auch
sein Plan gefaßt; auch er entflieht den Vergnügungen der Welt, er verläßt
Nachts seinen Pallast, seine Schätze, um sich in der Einsamkeit frommen Be¬
trachtungen hinzugeben. Ganz ähnlich ist diese Schilderung in der christlichen
Legende; auch hier begegnet Josaphat auf einer Spazierfahrt einem blinden
und lahmen Manne und auf die Frage, was dies für Menschen seien, erfährt
er, daß sie mit Krankheiten behaftet seien; zugleich hört er hier, daß Krank¬
heiten das gemeinsame Schicksal aller Menschen seien. Bei einer zweiten Aus¬
fahrt begegnet er einem schwachen Greise und vernimmt hier, daß Niemand
dem Alter entgehen könne und daß schließlich alle Menschen sterben müssen.
Diese Aufschlüsse stimmen ihn traurig; er kehrt nach Hause zurück und denkt
über den Tod nach; da erlangt ein Einsiedler, der hier die Rolle des bud-
distischen Bhikshu vertritt, Zutritt bei ihm und weist ihn auf das beschau¬
liche Leben hin.

Bemerken wir nun noch, daß hier wie dort die Väter bekehrt werden,
daß die Söhne wegen ihrer fortdauernden Kämpfe gegen die fleischliche Ver¬
suchung schon bei ihren Lebzeiten vom Volke als Heilige verehrt werden, fügen
wir noch hinzu, daß auch die in der christlichen Legende eingeflochtenen Pa¬
rabeln größtenteils im Werke des Lalita zu finden sind, ja daß selbst in
geringfügigen Nebenumständen, sogar in der Wahl der Epitheta eine wunder¬
bare Uebereinstimmung herrscht, so kann kein Leser sich gegen die Thatsache
verschließen, daß wir in der Geschichte des Johannes eine fast wortgetreue
Nacherzählung der im Werke des Lalita enthaltenen Buddhasage zu erblicken
haben.

So hat denn die Geschichte, öfters wunderbar in ihren Fügungen,
gewollt, daß der Stifter derjenigen Religion, die, wenn eine, werth ist, in
ihrer Moral mit der christlichen verglichen zu werden, durch die Feder eines
christlichen Mönches zu der sonderbaren Ehre gelangt ist, unter die Heiligen
der katholischen Kirche gerechnet zu werden. Merkwürdig ist allerdings dies


aller seien; von Neuem bricht der Jüngling in Klagen über das menschliche
Schicksal aus und läßt sich sofort nach Hause fahren, weil er nach solchem An¬
blick nicht weiter an Freude und Vergnügen Gefallen finden könnte. , Und als
er zum dritten Male nach dem Lustgarten fuhr, erblickte er eine Leiche auf
der Bahre, und sah die Freunde ringsum, wie sie jammerten und ihr Haupt
mit Asche bestreuten. Von Neuem beklagte hier der Prinz, als ihn der
Wagenlenker über dies Schauspiel aufklärte, das irdische Elend und ließ um¬
kehren, indem er noch die bedeutsamen Worte zufügte: „Ich muß daran denken,
Rettung zu schaffen." Und als er nun später einmal einen Bettler erblickte,
der ruhig sein Loos ertrug und bei aller Armuth doch die Würde an den
Tag legte, und erfuhr, daß dies ein Bhikshu sei, ein Mann, der auf alle
äußeren Güter verzichtet, um ein beschauliches Leben zu führen, da war auch
sein Plan gefaßt; auch er entflieht den Vergnügungen der Welt, er verläßt
Nachts seinen Pallast, seine Schätze, um sich in der Einsamkeit frommen Be¬
trachtungen hinzugeben. Ganz ähnlich ist diese Schilderung in der christlichen
Legende; auch hier begegnet Josaphat auf einer Spazierfahrt einem blinden
und lahmen Manne und auf die Frage, was dies für Menschen seien, erfährt
er, daß sie mit Krankheiten behaftet seien; zugleich hört er hier, daß Krank¬
heiten das gemeinsame Schicksal aller Menschen seien. Bei einer zweiten Aus¬
fahrt begegnet er einem schwachen Greise und vernimmt hier, daß Niemand
dem Alter entgehen könne und daß schließlich alle Menschen sterben müssen.
Diese Aufschlüsse stimmen ihn traurig; er kehrt nach Hause zurück und denkt
über den Tod nach; da erlangt ein Einsiedler, der hier die Rolle des bud-
distischen Bhikshu vertritt, Zutritt bei ihm und weist ihn auf das beschau¬
liche Leben hin.

Bemerken wir nun noch, daß hier wie dort die Väter bekehrt werden,
daß die Söhne wegen ihrer fortdauernden Kämpfe gegen die fleischliche Ver¬
suchung schon bei ihren Lebzeiten vom Volke als Heilige verehrt werden, fügen
wir noch hinzu, daß auch die in der christlichen Legende eingeflochtenen Pa¬
rabeln größtenteils im Werke des Lalita zu finden sind, ja daß selbst in
geringfügigen Nebenumständen, sogar in der Wahl der Epitheta eine wunder¬
bare Uebereinstimmung herrscht, so kann kein Leser sich gegen die Thatsache
verschließen, daß wir in der Geschichte des Johannes eine fast wortgetreue
Nacherzählung der im Werke des Lalita enthaltenen Buddhasage zu erblicken
haben.

So hat denn die Geschichte, öfters wunderbar in ihren Fügungen,
gewollt, daß der Stifter derjenigen Religion, die, wenn eine, werth ist, in
ihrer Moral mit der christlichen verglichen zu werden, durch die Feder eines
christlichen Mönches zu der sonderbaren Ehre gelangt ist, unter die Heiligen
der katholischen Kirche gerechnet zu werden. Merkwürdig ist allerdings dies


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[0317] aller seien; von Neuem bricht der Jüngling in Klagen über das menschliche Schicksal aus und läßt sich sofort nach Hause fahren, weil er nach solchem An¬ blick nicht weiter an Freude und Vergnügen Gefallen finden könnte. , Und als er zum dritten Male nach dem Lustgarten fuhr, erblickte er eine Leiche auf der Bahre, und sah die Freunde ringsum, wie sie jammerten und ihr Haupt mit Asche bestreuten. Von Neuem beklagte hier der Prinz, als ihn der Wagenlenker über dies Schauspiel aufklärte, das irdische Elend und ließ um¬ kehren, indem er noch die bedeutsamen Worte zufügte: „Ich muß daran denken, Rettung zu schaffen." Und als er nun später einmal einen Bettler erblickte, der ruhig sein Loos ertrug und bei aller Armuth doch die Würde an den Tag legte, und erfuhr, daß dies ein Bhikshu sei, ein Mann, der auf alle äußeren Güter verzichtet, um ein beschauliches Leben zu führen, da war auch sein Plan gefaßt; auch er entflieht den Vergnügungen der Welt, er verläßt Nachts seinen Pallast, seine Schätze, um sich in der Einsamkeit frommen Be¬ trachtungen hinzugeben. Ganz ähnlich ist diese Schilderung in der christlichen Legende; auch hier begegnet Josaphat auf einer Spazierfahrt einem blinden und lahmen Manne und auf die Frage, was dies für Menschen seien, erfährt er, daß sie mit Krankheiten behaftet seien; zugleich hört er hier, daß Krank¬ heiten das gemeinsame Schicksal aller Menschen seien. Bei einer zweiten Aus¬ fahrt begegnet er einem schwachen Greise und vernimmt hier, daß Niemand dem Alter entgehen könne und daß schließlich alle Menschen sterben müssen. Diese Aufschlüsse stimmen ihn traurig; er kehrt nach Hause zurück und denkt über den Tod nach; da erlangt ein Einsiedler, der hier die Rolle des bud- distischen Bhikshu vertritt, Zutritt bei ihm und weist ihn auf das beschau¬ liche Leben hin. Bemerken wir nun noch, daß hier wie dort die Väter bekehrt werden, daß die Söhne wegen ihrer fortdauernden Kämpfe gegen die fleischliche Ver¬ suchung schon bei ihren Lebzeiten vom Volke als Heilige verehrt werden, fügen wir noch hinzu, daß auch die in der christlichen Legende eingeflochtenen Pa¬ rabeln größtenteils im Werke des Lalita zu finden sind, ja daß selbst in geringfügigen Nebenumständen, sogar in der Wahl der Epitheta eine wunder¬ bare Uebereinstimmung herrscht, so kann kein Leser sich gegen die Thatsache verschließen, daß wir in der Geschichte des Johannes eine fast wortgetreue Nacherzählung der im Werke des Lalita enthaltenen Buddhasage zu erblicken haben. So hat denn die Geschichte, öfters wunderbar in ihren Fügungen, gewollt, daß der Stifter derjenigen Religion, die, wenn eine, werth ist, in ihrer Moral mit der christlichen verglichen zu werden, durch die Feder eines christlichen Mönches zu der sonderbaren Ehre gelangt ist, unter die Heiligen der katholischen Kirche gerechnet zu werden. Merkwürdig ist allerdings dies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/317>, abgerufen am 24.05.2024.