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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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rührten. Die Narodny listy brachten zuerst die Nachricht, das hiesige von
sächsischen katholischen Theologen besuchte wendische Seminar solle auf Wunsch
der preußischen Regierung von hier nach Breslau oder Sachsen verlegt werden
u. s. w.

Wenn Preußen, im Zusammenhange mit dem Vorgehen des Reichs
gegen die Ultramontanen, wirklich dieses Verlangen gestellt hat, so begeht
es nur einen Akt der Nothwehr und entzieht der zukünftigen katholischen
Geistlichkeit Sachsens den deutschfeindlichen Boden, auf dem sie bisher aus¬
gebrütet wird. Unser ultramontaner, mit den Tschechen gehender und das
deutsche Reich verabscheuender Fürsterzbischof Schwarzenberg, der oberste
Leiter aller unserer geistlichen Angelegenheiten, sorgt schon dafür, daß die
jungen Seminaristen aus Sachsen hier mit dem einzig wahren tschechisch-ultra¬
montanen Glauben durchtränkt werden und heimgekehrt in die Lausitz, im
Besitze der fetten Pfründen bei den "Klosterbauern" um Marienstern und
Kamenz herum, sorgen sie ihrerseits dafür unter ihren Wenden die gleichen
Gesinnungen zu verbreiten. Ein hiesiges Blatt wies darauf hin, daß gerade
in jener Gegend Sachsens die katholischen Casinos wucherten, daß dort eifrig
die Siege der Franzosen gewünscht wurden!

Wie kommt es denn, daß die wendischen katholischen Theologen hier in
Prag ausgebildet werden? Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts stifteten
zwei Brüder Simon aus der Bautzner Gegend auf der hiesigen Kleinseite das
wendische Seminar, das für die Erhaltung des slavischen Geistes unter den
Wenden von Bedeutung werden sollte. Prag war ja die Sonne, der alle
slavischen Geister sich zuwandten, dort war der Gegensatz zum deutschen
Genius vorhanden, dort herrschte die gut katholische und auch slavische Atmos¬
phäre, die den abgelegenen, von Deutschen und Protestanten umringten katho¬
lischen Wenden -- übrigens nur 6000 an der Zahl -- frische Kräftigung
bringen konnte; dort konnte man sich neben den theologischen Studien mit
slavischem Geiste imprägniren. Wie bei den Tschechen die national-politi¬
sche und kirchliche Thätigkeit Hand in Hand gehen ist bekannt, und der
Einfluß auf die jungen wendischen Seminaristen aus der Lausitz, die das
Wiedererwachen des Tschechenthums unter ihren Augen vor sich gehen sahen,
konnte nicht ausbleiben. Slavisten wie Dobrowski und Hanka waren Lehrer
am Seminar und auch die heutigen Professoren zeichnen sich durch j,echt
slavische" Gesinnung aus. Kann es da Wunder nehmen, daß mit jedem
katholischen Geistlichen, der in der wendischen Lausitz angestellt wird, auch ein
Feind des deutschen Reiches dort Stellung erlangt?

Trotzdem die Tschechen auf dem politischen Gebiete fort und fort Nieder¬
lagen erlitten und das Großtschechische Reich aä oaleiMK ZraevAs verschoben
scheint, macht^man hier doch immer noch in großer Diplomatie und unser


rührten. Die Narodny listy brachten zuerst die Nachricht, das hiesige von
sächsischen katholischen Theologen besuchte wendische Seminar solle auf Wunsch
der preußischen Regierung von hier nach Breslau oder Sachsen verlegt werden
u. s. w.

Wenn Preußen, im Zusammenhange mit dem Vorgehen des Reichs
gegen die Ultramontanen, wirklich dieses Verlangen gestellt hat, so begeht
es nur einen Akt der Nothwehr und entzieht der zukünftigen katholischen
Geistlichkeit Sachsens den deutschfeindlichen Boden, auf dem sie bisher aus¬
gebrütet wird. Unser ultramontaner, mit den Tschechen gehender und das
deutsche Reich verabscheuender Fürsterzbischof Schwarzenberg, der oberste
Leiter aller unserer geistlichen Angelegenheiten, sorgt schon dafür, daß die
jungen Seminaristen aus Sachsen hier mit dem einzig wahren tschechisch-ultra¬
montanen Glauben durchtränkt werden und heimgekehrt in die Lausitz, im
Besitze der fetten Pfründen bei den „Klosterbauern" um Marienstern und
Kamenz herum, sorgen sie ihrerseits dafür unter ihren Wenden die gleichen
Gesinnungen zu verbreiten. Ein hiesiges Blatt wies darauf hin, daß gerade
in jener Gegend Sachsens die katholischen Casinos wucherten, daß dort eifrig
die Siege der Franzosen gewünscht wurden!

Wie kommt es denn, daß die wendischen katholischen Theologen hier in
Prag ausgebildet werden? Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts stifteten
zwei Brüder Simon aus der Bautzner Gegend auf der hiesigen Kleinseite das
wendische Seminar, das für die Erhaltung des slavischen Geistes unter den
Wenden von Bedeutung werden sollte. Prag war ja die Sonne, der alle
slavischen Geister sich zuwandten, dort war der Gegensatz zum deutschen
Genius vorhanden, dort herrschte die gut katholische und auch slavische Atmos¬
phäre, die den abgelegenen, von Deutschen und Protestanten umringten katho¬
lischen Wenden — übrigens nur 6000 an der Zahl — frische Kräftigung
bringen konnte; dort konnte man sich neben den theologischen Studien mit
slavischem Geiste imprägniren. Wie bei den Tschechen die national-politi¬
sche und kirchliche Thätigkeit Hand in Hand gehen ist bekannt, und der
Einfluß auf die jungen wendischen Seminaristen aus der Lausitz, die das
Wiedererwachen des Tschechenthums unter ihren Augen vor sich gehen sahen,
konnte nicht ausbleiben. Slavisten wie Dobrowski und Hanka waren Lehrer
am Seminar und auch die heutigen Professoren zeichnen sich durch j,echt
slavische" Gesinnung aus. Kann es da Wunder nehmen, daß mit jedem
katholischen Geistlichen, der in der wendischen Lausitz angestellt wird, auch ein
Feind des deutschen Reiches dort Stellung erlangt?

Trotzdem die Tschechen auf dem politischen Gebiete fort und fort Nieder¬
lagen erlitten und das Großtschechische Reich aä oaleiMK ZraevAs verschoben
scheint, macht^man hier doch immer noch in großer Diplomatie und unser


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[0230] rührten. Die Narodny listy brachten zuerst die Nachricht, das hiesige von sächsischen katholischen Theologen besuchte wendische Seminar solle auf Wunsch der preußischen Regierung von hier nach Breslau oder Sachsen verlegt werden u. s. w. Wenn Preußen, im Zusammenhange mit dem Vorgehen des Reichs gegen die Ultramontanen, wirklich dieses Verlangen gestellt hat, so begeht es nur einen Akt der Nothwehr und entzieht der zukünftigen katholischen Geistlichkeit Sachsens den deutschfeindlichen Boden, auf dem sie bisher aus¬ gebrütet wird. Unser ultramontaner, mit den Tschechen gehender und das deutsche Reich verabscheuender Fürsterzbischof Schwarzenberg, der oberste Leiter aller unserer geistlichen Angelegenheiten, sorgt schon dafür, daß die jungen Seminaristen aus Sachsen hier mit dem einzig wahren tschechisch-ultra¬ montanen Glauben durchtränkt werden und heimgekehrt in die Lausitz, im Besitze der fetten Pfründen bei den „Klosterbauern" um Marienstern und Kamenz herum, sorgen sie ihrerseits dafür unter ihren Wenden die gleichen Gesinnungen zu verbreiten. Ein hiesiges Blatt wies darauf hin, daß gerade in jener Gegend Sachsens die katholischen Casinos wucherten, daß dort eifrig die Siege der Franzosen gewünscht wurden! Wie kommt es denn, daß die wendischen katholischen Theologen hier in Prag ausgebildet werden? Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts stifteten zwei Brüder Simon aus der Bautzner Gegend auf der hiesigen Kleinseite das wendische Seminar, das für die Erhaltung des slavischen Geistes unter den Wenden von Bedeutung werden sollte. Prag war ja die Sonne, der alle slavischen Geister sich zuwandten, dort war der Gegensatz zum deutschen Genius vorhanden, dort herrschte die gut katholische und auch slavische Atmos¬ phäre, die den abgelegenen, von Deutschen und Protestanten umringten katho¬ lischen Wenden — übrigens nur 6000 an der Zahl — frische Kräftigung bringen konnte; dort konnte man sich neben den theologischen Studien mit slavischem Geiste imprägniren. Wie bei den Tschechen die national-politi¬ sche und kirchliche Thätigkeit Hand in Hand gehen ist bekannt, und der Einfluß auf die jungen wendischen Seminaristen aus der Lausitz, die das Wiedererwachen des Tschechenthums unter ihren Augen vor sich gehen sahen, konnte nicht ausbleiben. Slavisten wie Dobrowski und Hanka waren Lehrer am Seminar und auch die heutigen Professoren zeichnen sich durch j,echt slavische" Gesinnung aus. Kann es da Wunder nehmen, daß mit jedem katholischen Geistlichen, der in der wendischen Lausitz angestellt wird, auch ein Feind des deutschen Reiches dort Stellung erlangt? Trotzdem die Tschechen auf dem politischen Gebiete fort und fort Nieder¬ lagen erlitten und das Großtschechische Reich aä oaleiMK ZraevAs verschoben scheint, macht^man hier doch immer noch in großer Diplomatie und unser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/230>, abgerufen am 21.05.2024.