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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Phantast Rieger, sowie all die anderen Tschechengenerale tragen sich mit hoch-
fliegenden Planen. Was speziell die Lausitz betrifft, so hofft man sie noch
einmal mit der Körung, össka,, der böhmischen Krone, vereinigen zu können,
man spricht von "Revindieation", von den bedrückten slavischen Bauern an
der Spree und allen Ernstes meinte mir gegenüber ein eifriger Tscheche: So
gut wie Elsaß-Lothringen wieder nach Jahrhunderten ans deutsche Reich ge¬
kommen sei, werde die Lausitz wieder an Böhmen kommen, dem sie von Rechts¬
wegen noch gehöre. Die Leute übersehen nur, daß die Lausitz, abgesehen von
100.000 wendischen Bauern, ein ganz deutsches Land mit deutschen Städten,
deutscher Industrie ist.

So etwas hindert unsere Tschechen aber nicht, sich staatsrechtlich mit dem
Verhältniß der "Krone Böhmen" zur Markgrafschaft Lausitz zu befassen.
Hören wir die tschechischen Ansprüche und möge sich das deutsche Reich ge¬
fälligst danach richten. Kaiser Ferdinand II. verpfändete beide Lausitzer an
Churfürst Johann Georg II. von Sachsen für die Subventionen, welche ihm
letzterer im böhmischen Aufstande geleistet; später, im Jahre 1623 vergrößerte
er dieses Pfand noch mehr. Im Prager Frieden vom 30. Mai I63S trat er
die beiden böhmischen Mannslehen, die Ober- und Unterlausitz, förmlich und
vererblich in der Art und Weise ab, daß, wenn das churfürstliche Haus in
männlicher Linie ausstürbe, die Familie der (bereits im Jahre 1672 ausge¬
storbenen) Herzoge von Sachsen-Lauenburg und nach dieser die Töchter des
Churfürsten Johann Georg und deren männliche Nachkommen succediren
sollten. Es soll aber -- und hierauf legen die Tschechen Gewicht -- in die¬
sem Falle den Königen von Böhmen als Oberlehensherren das Recht zu¬
stehen, diese Provinzen zu Handen der böhmischen Krone gegen Rückzahlung
der Summe von 72 Tonnen Goldes (2,700,000 Gulden), für welche sie ver¬
pfändet waren, einzulösen. Dieser Vertrag wurde näher bestimmt durch den
Additionalvertrag oder Traditionsreceß vom 14. April 1636, in welchem aus¬
gemacht wurde, daß die Lausitz nicht getheilt werden dürfe und daß,
wenn die churfürstlichen Töchter in deren Besitz gelangen würden, sie dieselbe
nicht anders als gemeinschaftlich besitzen sollten. Von den drei Töchtern,
welche Johann Georg hinterließ, starb die eine kinderlos, während die zweite
in das Haus Hessen-Darmstadt, die dritte in das Haus Schleswig-Holstein
ehelichte, so daß nur diese beiden Familien Ansprüche auf dieErbfolge in der Lausitz
erheben könnten, falls die königlich sächsische Familie im Mannsstamme aus¬
stürbe. Zu den Nachkommen des zweiten der genannten Häuser, nämlich
Friedrichs III. von Schleswig-Holstein, gehört das Haus Holstein-Gottorp,
das den russischen Thron inne hat. Die Tschechen betonen dieses, um zu
zeigen, daß Rußland die Lausitz holen müsse, wenn die "Krone" Böhmen sie
nicht vorher verschluckt hat.


Phantast Rieger, sowie all die anderen Tschechengenerale tragen sich mit hoch-
fliegenden Planen. Was speziell die Lausitz betrifft, so hofft man sie noch
einmal mit der Körung, össka,, der böhmischen Krone, vereinigen zu können,
man spricht von „Revindieation", von den bedrückten slavischen Bauern an
der Spree und allen Ernstes meinte mir gegenüber ein eifriger Tscheche: So
gut wie Elsaß-Lothringen wieder nach Jahrhunderten ans deutsche Reich ge¬
kommen sei, werde die Lausitz wieder an Böhmen kommen, dem sie von Rechts¬
wegen noch gehöre. Die Leute übersehen nur, daß die Lausitz, abgesehen von
100.000 wendischen Bauern, ein ganz deutsches Land mit deutschen Städten,
deutscher Industrie ist.

So etwas hindert unsere Tschechen aber nicht, sich staatsrechtlich mit dem
Verhältniß der „Krone Böhmen" zur Markgrafschaft Lausitz zu befassen.
Hören wir die tschechischen Ansprüche und möge sich das deutsche Reich ge¬
fälligst danach richten. Kaiser Ferdinand II. verpfändete beide Lausitzer an
Churfürst Johann Georg II. von Sachsen für die Subventionen, welche ihm
letzterer im böhmischen Aufstande geleistet; später, im Jahre 1623 vergrößerte
er dieses Pfand noch mehr. Im Prager Frieden vom 30. Mai I63S trat er
die beiden böhmischen Mannslehen, die Ober- und Unterlausitz, förmlich und
vererblich in der Art und Weise ab, daß, wenn das churfürstliche Haus in
männlicher Linie ausstürbe, die Familie der (bereits im Jahre 1672 ausge¬
storbenen) Herzoge von Sachsen-Lauenburg und nach dieser die Töchter des
Churfürsten Johann Georg und deren männliche Nachkommen succediren
sollten. Es soll aber — und hierauf legen die Tschechen Gewicht — in die¬
sem Falle den Königen von Böhmen als Oberlehensherren das Recht zu¬
stehen, diese Provinzen zu Handen der böhmischen Krone gegen Rückzahlung
der Summe von 72 Tonnen Goldes (2,700,000 Gulden), für welche sie ver¬
pfändet waren, einzulösen. Dieser Vertrag wurde näher bestimmt durch den
Additionalvertrag oder Traditionsreceß vom 14. April 1636, in welchem aus¬
gemacht wurde, daß die Lausitz nicht getheilt werden dürfe und daß,
wenn die churfürstlichen Töchter in deren Besitz gelangen würden, sie dieselbe
nicht anders als gemeinschaftlich besitzen sollten. Von den drei Töchtern,
welche Johann Georg hinterließ, starb die eine kinderlos, während die zweite
in das Haus Hessen-Darmstadt, die dritte in das Haus Schleswig-Holstein
ehelichte, so daß nur diese beiden Familien Ansprüche auf dieErbfolge in der Lausitz
erheben könnten, falls die königlich sächsische Familie im Mannsstamme aus¬
stürbe. Zu den Nachkommen des zweiten der genannten Häuser, nämlich
Friedrichs III. von Schleswig-Holstein, gehört das Haus Holstein-Gottorp,
das den russischen Thron inne hat. Die Tschechen betonen dieses, um zu
zeigen, daß Rußland die Lausitz holen müsse, wenn die „Krone" Böhmen sie
nicht vorher verschluckt hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/231>, abgerufen am 15.06.2024.