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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Moritz von Sachsen*)
von
Wilhelm Maurenbrecher.

Vergegenwärtigen wir uns einmal die Entwickelung der deutschen Geschichte
in ihren Grundlinien, so tritt uns ein eigenthümliches Verhältniß zwischen
Nord und Süd entgegen. Der eigentlich staatenbildende Geist ist im Nord¬
deutschen mächtiger ausgeprägt als im Süddeutschen. Die Zeiten des Mittel¬
alters, in denen man von einem wirklichen deutschen Reiche reden kann, sind
gerade diejenigen, in welchen Norddeutschland das Fundament des Ganzen
gebildet. Die Ottonischen Kaiser haben Deutschland regiert. Eine kurze
Frist ist es noch dem rheinischen Geschlecht der Salier gelungen, das Reich
zu erhalten; der Conflict der Salier aber mit den Sachsen warf darauf den
Thron um. Und wenn dann die süddeutschen Staufen noch einmal das
fallende Reich zusammengeleimt haben, nicht für lange Zeit hat dieser süddeutsche
Leim vorgehalten. Das deutsche Reich hat ein Ganzes gebildet, so lange sein
Schwerpunkt im Norden gelegen; wurde er nach Süden verschoben, so trat
die Gefahr der Auflösung ein. Und dies hat seit dem 13. Jahrhundert sich
noch weiter entwickelt. Nord und Süd gingen immer weiter auseinander.
In allen den Fürstentümern und Bisthmnern, Abteien und Städten des
Südens schoß der Particularismus der Deutschen lustig ins Kraut. Der
Norden, der nicht ganz die Höhe der Zersplitterung des Südens erreichte,
lebte meist für sich und seinen eigenen Interessen und Aufgaben.

Es verleiht der Geschichte des 13, Jahrhunderts einen ganz besonderen
Reiz, zu bemerken und zu verfolgen, wie damals in Deutschland eine patriotische
Bewegung erwacht ist, welche eine Erstarkung des Reiches gegenüber den Ter¬
ritorialgewalten, eine Erhebung des Centrums gegenüber der Peripherie laut
und immer lauter forderte. Die Kaiser aus habsburgischen Hause, Maxi¬
milian I. und sein Enkel Karl V. haben sich dieser Stimmung bemächtigt und
den Anlauf gemacht zu einer Erneuerung des untergegangenen Kaiserthums



") Vortrag, gehalten zum Beste" des akademischen Prämiensond in Königsberg am 2V.
November 1872.
Grenzboten 187A. IV. 5et
Moritz von Sachsen*)
von
Wilhelm Maurenbrecher.

Vergegenwärtigen wir uns einmal die Entwickelung der deutschen Geschichte
in ihren Grundlinien, so tritt uns ein eigenthümliches Verhältniß zwischen
Nord und Süd entgegen. Der eigentlich staatenbildende Geist ist im Nord¬
deutschen mächtiger ausgeprägt als im Süddeutschen. Die Zeiten des Mittel¬
alters, in denen man von einem wirklichen deutschen Reiche reden kann, sind
gerade diejenigen, in welchen Norddeutschland das Fundament des Ganzen
gebildet. Die Ottonischen Kaiser haben Deutschland regiert. Eine kurze
Frist ist es noch dem rheinischen Geschlecht der Salier gelungen, das Reich
zu erhalten; der Conflict der Salier aber mit den Sachsen warf darauf den
Thron um. Und wenn dann die süddeutschen Staufen noch einmal das
fallende Reich zusammengeleimt haben, nicht für lange Zeit hat dieser süddeutsche
Leim vorgehalten. Das deutsche Reich hat ein Ganzes gebildet, so lange sein
Schwerpunkt im Norden gelegen; wurde er nach Süden verschoben, so trat
die Gefahr der Auflösung ein. Und dies hat seit dem 13. Jahrhundert sich
noch weiter entwickelt. Nord und Süd gingen immer weiter auseinander.
In allen den Fürstentümern und Bisthmnern, Abteien und Städten des
Südens schoß der Particularismus der Deutschen lustig ins Kraut. Der
Norden, der nicht ganz die Höhe der Zersplitterung des Südens erreichte,
lebte meist für sich und seinen eigenen Interessen und Aufgaben.

Es verleiht der Geschichte des 13, Jahrhunderts einen ganz besonderen
Reiz, zu bemerken und zu verfolgen, wie damals in Deutschland eine patriotische
Bewegung erwacht ist, welche eine Erstarkung des Reiches gegenüber den Ter¬
ritorialgewalten, eine Erhebung des Centrums gegenüber der Peripherie laut
und immer lauter forderte. Die Kaiser aus habsburgischen Hause, Maxi¬
milian I. und sein Enkel Karl V. haben sich dieser Stimmung bemächtigt und
den Anlauf gemacht zu einer Erneuerung des untergegangenen Kaiserthums



") Vortrag, gehalten zum Beste» des akademischen Prämiensond in Königsberg am 2V.
November 1872.
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[0449] Moritz von Sachsen*) von Wilhelm Maurenbrecher. Vergegenwärtigen wir uns einmal die Entwickelung der deutschen Geschichte in ihren Grundlinien, so tritt uns ein eigenthümliches Verhältniß zwischen Nord und Süd entgegen. Der eigentlich staatenbildende Geist ist im Nord¬ deutschen mächtiger ausgeprägt als im Süddeutschen. Die Zeiten des Mittel¬ alters, in denen man von einem wirklichen deutschen Reiche reden kann, sind gerade diejenigen, in welchen Norddeutschland das Fundament des Ganzen gebildet. Die Ottonischen Kaiser haben Deutschland regiert. Eine kurze Frist ist es noch dem rheinischen Geschlecht der Salier gelungen, das Reich zu erhalten; der Conflict der Salier aber mit den Sachsen warf darauf den Thron um. Und wenn dann die süddeutschen Staufen noch einmal das fallende Reich zusammengeleimt haben, nicht für lange Zeit hat dieser süddeutsche Leim vorgehalten. Das deutsche Reich hat ein Ganzes gebildet, so lange sein Schwerpunkt im Norden gelegen; wurde er nach Süden verschoben, so trat die Gefahr der Auflösung ein. Und dies hat seit dem 13. Jahrhundert sich noch weiter entwickelt. Nord und Süd gingen immer weiter auseinander. In allen den Fürstentümern und Bisthmnern, Abteien und Städten des Südens schoß der Particularismus der Deutschen lustig ins Kraut. Der Norden, der nicht ganz die Höhe der Zersplitterung des Südens erreichte, lebte meist für sich und seinen eigenen Interessen und Aufgaben. Es verleiht der Geschichte des 13, Jahrhunderts einen ganz besonderen Reiz, zu bemerken und zu verfolgen, wie damals in Deutschland eine patriotische Bewegung erwacht ist, welche eine Erstarkung des Reiches gegenüber den Ter¬ ritorialgewalten, eine Erhebung des Centrums gegenüber der Peripherie laut und immer lauter forderte. Die Kaiser aus habsburgischen Hause, Maxi¬ milian I. und sein Enkel Karl V. haben sich dieser Stimmung bemächtigt und den Anlauf gemacht zu einer Erneuerung des untergegangenen Kaiserthums ") Vortrag, gehalten zum Beste» des akademischen Prämiensond in Königsberg am 2V. November 1872. Grenzboten 187A. IV. 5et

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/449>, abgerufen am 24.05.2024.