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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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von Deutschland. Ihr Versuch ist gescheitert. Es war doch in den letzten
drei Jahrhunderten der deutsche Süden nicht fähiger geworden, als eigentliches
Fundament den Reichsbau zu tragen, und es hatte die religiöse Bewegung
des 16. Jahrhunderts eine Scheidewand aufgerichtet zwischen dem Katholi¬
cismus des Hauses Habsburg und dem Protestantismus, dem die überwiegende
Majorität der Deutschen sich hingegeben hatte. Wenn eine neue Vereinigung
Deutschlands von süddeutschen. Elementen aus schon für unwahrscheinlich im
16. Jahrhunderte gellen durfte, so war es sicher unmöglich, auf den Boden
der alten Kirche das neue Reich zu stützen. Das Fürstenhaus, das Land, dem
eine Neugestaltung Deutschlands gelingen konnte, mußte ein norddeutsches und
ein protestantisches sein.

Nachdem heute dies Ziel erreicht ist, nachdem dies Postulat der deutschen
Geschichte seit dem Ausgange des Mittelalters nicht mehr allein theoretisches
Postulat deutscher Historiker, sondern handgreifliche Wirklichkeit unseres Lebens
geworden -- heute mag es sich geziemen auf den Weg, den die Geschichte
Deutschlands in den letzten Jahrhunderten gegangen, zurückzuschauen und die
Frage zu stellen: ist es eine Nothwendigkeit unserer Geschichte zu nennen, daß
grade das Reich der Hohenzollern, das Kurfürstenthum Brandenburg der
Grundstein der deutschen Zukunft geworden? Gestelle war die Aufgabe schon
dem 16. Jahrhundert. Es galt gegenüber den unfruchtbaren Versuchen der
katholischen Habsburger die norddeutschen Kräfte zu sammeln und auf Grund
und im Anschluß an das protestantische Princip ein der Erweiterung fähiges
politisches Wesen zu bilden.

Mir scheint es nicht richtig, wenn man den Hohenzollern des 16. Jahr¬
hunderts schon derartige Gedanken und Pläne, schon die Anfänge einer der¬
artigen Politik beilegen will. Aber neben Brandenburg gab es damals ein
anderes norddeutsches und protestantisches Land, das allerdings die Führung
der historischen Aufgaben unserer Nation auf sich genommen hat. Am An¬
fang des 16. Jahrhunderts schwang sich Sachsen zu einer großen nationalen
Bedeutung empor. An der Spitze der Reformpartei im Reiche hat eine Zeit
lang der sächsische Kurfürst Friedrich gestanden, -- er zugleich der glückliche
Schützer und Schirmer Luther's und der protestantischen Anfänge.

Welch eine Stellung fiel damit Sachsen zu! Die Führung der prote¬
stantischen Partei war bei Sachsen: in der Geschichte der deutschen Reformation
ist auf jedem Blatte und bei jedem Ereigniß von Sachsens Haltung die Rede.
Das Interesse des Historikers der deutschen Reformationszeit haftet vornämlich
an den sächsischen Dingen. Die Alternative -- Habsburg oder Sachsen --
hat damals Jahrzehnte lang über Deutschland geschwebt.

Gewiß, dem sächsischen Kurhause hat damals nur das Eine gefehlt --
ein fähiger Staatsmann, der die Situation seines Landes erkannt und die


von Deutschland. Ihr Versuch ist gescheitert. Es war doch in den letzten
drei Jahrhunderten der deutsche Süden nicht fähiger geworden, als eigentliches
Fundament den Reichsbau zu tragen, und es hatte die religiöse Bewegung
des 16. Jahrhunderts eine Scheidewand aufgerichtet zwischen dem Katholi¬
cismus des Hauses Habsburg und dem Protestantismus, dem die überwiegende
Majorität der Deutschen sich hingegeben hatte. Wenn eine neue Vereinigung
Deutschlands von süddeutschen. Elementen aus schon für unwahrscheinlich im
16. Jahrhunderte gellen durfte, so war es sicher unmöglich, auf den Boden
der alten Kirche das neue Reich zu stützen. Das Fürstenhaus, das Land, dem
eine Neugestaltung Deutschlands gelingen konnte, mußte ein norddeutsches und
ein protestantisches sein.

Nachdem heute dies Ziel erreicht ist, nachdem dies Postulat der deutschen
Geschichte seit dem Ausgange des Mittelalters nicht mehr allein theoretisches
Postulat deutscher Historiker, sondern handgreifliche Wirklichkeit unseres Lebens
geworden — heute mag es sich geziemen auf den Weg, den die Geschichte
Deutschlands in den letzten Jahrhunderten gegangen, zurückzuschauen und die
Frage zu stellen: ist es eine Nothwendigkeit unserer Geschichte zu nennen, daß
grade das Reich der Hohenzollern, das Kurfürstenthum Brandenburg der
Grundstein der deutschen Zukunft geworden? Gestelle war die Aufgabe schon
dem 16. Jahrhundert. Es galt gegenüber den unfruchtbaren Versuchen der
katholischen Habsburger die norddeutschen Kräfte zu sammeln und auf Grund
und im Anschluß an das protestantische Princip ein der Erweiterung fähiges
politisches Wesen zu bilden.

Mir scheint es nicht richtig, wenn man den Hohenzollern des 16. Jahr¬
hunderts schon derartige Gedanken und Pläne, schon die Anfänge einer der¬
artigen Politik beilegen will. Aber neben Brandenburg gab es damals ein
anderes norddeutsches und protestantisches Land, das allerdings die Führung
der historischen Aufgaben unserer Nation auf sich genommen hat. Am An¬
fang des 16. Jahrhunderts schwang sich Sachsen zu einer großen nationalen
Bedeutung empor. An der Spitze der Reformpartei im Reiche hat eine Zeit
lang der sächsische Kurfürst Friedrich gestanden, — er zugleich der glückliche
Schützer und Schirmer Luther's und der protestantischen Anfänge.

Welch eine Stellung fiel damit Sachsen zu! Die Führung der prote¬
stantischen Partei war bei Sachsen: in der Geschichte der deutschen Reformation
ist auf jedem Blatte und bei jedem Ereigniß von Sachsens Haltung die Rede.
Das Interesse des Historikers der deutschen Reformationszeit haftet vornämlich
an den sächsischen Dingen. Die Alternative — Habsburg oder Sachsen —
hat damals Jahrzehnte lang über Deutschland geschwebt.

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ein fähiger Staatsmann, der die Situation seines Landes erkannt und die


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[0450] von Deutschland. Ihr Versuch ist gescheitert. Es war doch in den letzten drei Jahrhunderten der deutsche Süden nicht fähiger geworden, als eigentliches Fundament den Reichsbau zu tragen, und es hatte die religiöse Bewegung des 16. Jahrhunderts eine Scheidewand aufgerichtet zwischen dem Katholi¬ cismus des Hauses Habsburg und dem Protestantismus, dem die überwiegende Majorität der Deutschen sich hingegeben hatte. Wenn eine neue Vereinigung Deutschlands von süddeutschen. Elementen aus schon für unwahrscheinlich im 16. Jahrhunderte gellen durfte, so war es sicher unmöglich, auf den Boden der alten Kirche das neue Reich zu stützen. Das Fürstenhaus, das Land, dem eine Neugestaltung Deutschlands gelingen konnte, mußte ein norddeutsches und ein protestantisches sein. Nachdem heute dies Ziel erreicht ist, nachdem dies Postulat der deutschen Geschichte seit dem Ausgange des Mittelalters nicht mehr allein theoretisches Postulat deutscher Historiker, sondern handgreifliche Wirklichkeit unseres Lebens geworden — heute mag es sich geziemen auf den Weg, den die Geschichte Deutschlands in den letzten Jahrhunderten gegangen, zurückzuschauen und die Frage zu stellen: ist es eine Nothwendigkeit unserer Geschichte zu nennen, daß grade das Reich der Hohenzollern, das Kurfürstenthum Brandenburg der Grundstein der deutschen Zukunft geworden? Gestelle war die Aufgabe schon dem 16. Jahrhundert. Es galt gegenüber den unfruchtbaren Versuchen der katholischen Habsburger die norddeutschen Kräfte zu sammeln und auf Grund und im Anschluß an das protestantische Princip ein der Erweiterung fähiges politisches Wesen zu bilden. Mir scheint es nicht richtig, wenn man den Hohenzollern des 16. Jahr¬ hunderts schon derartige Gedanken und Pläne, schon die Anfänge einer der¬ artigen Politik beilegen will. Aber neben Brandenburg gab es damals ein anderes norddeutsches und protestantisches Land, das allerdings die Führung der historischen Aufgaben unserer Nation auf sich genommen hat. Am An¬ fang des 16. Jahrhunderts schwang sich Sachsen zu einer großen nationalen Bedeutung empor. An der Spitze der Reformpartei im Reiche hat eine Zeit lang der sächsische Kurfürst Friedrich gestanden, — er zugleich der glückliche Schützer und Schirmer Luther's und der protestantischen Anfänge. Welch eine Stellung fiel damit Sachsen zu! Die Führung der prote¬ stantischen Partei war bei Sachsen: in der Geschichte der deutschen Reformation ist auf jedem Blatte und bei jedem Ereigniß von Sachsens Haltung die Rede. Das Interesse des Historikers der deutschen Reformationszeit haftet vornämlich an den sächsischen Dingen. Die Alternative — Habsburg oder Sachsen — hat damals Jahrzehnte lang über Deutschland geschwebt. Gewiß, dem sächsischen Kurhause hat damals nur das Eine gefehlt — ein fähiger Staatsmann, der die Situation seines Landes erkannt und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/450>, abgerufen am 16.06.2024.