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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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eine andere Stelle gefunden, in erster Linie die Majestät des Lohnbeschlagnah¬
meverbots entgegen und in zweiter Linie erst hüllt sich der Schuldner mit Glück
in die sxeczptio alios^reg. und den Manifestationseid oder in ti" Wolken eines
von seiner biedern Ehehälfte oder andern guten Geistern aufgewirbelten Jn-
terventionsprocesses. -- Auch das Strafrecht läßt den durch einen gesitzwidrigen
Slrike vergewaltigten Arbeitgeber so gut wie schutzlos. Der Laie pflegt zwar
mit einem achtbaren Aufwand von Entrüstung zu versichern, das plötzliche
Davonlaufen von 2--300 Arbeitern wegen verweigerter Lohnzulage, sei der
"reine" Betrug, da bei Eingehung des Lohnvertrags doch selbstverständlich
und stillschweigend die gesetzliche vierzehntägige Kündigungsfrist beiderseitig
vereinbart worden sei. Aber jeder Blick in das Strafgesetzbuch für das deut¬
sche Reich wird den mit Fug und Recht Entrüsteten erheblich ernüchtern, we¬
nigstens in Betreff der Anwendbarkeit der Betrugsparagraphen. Denn er wird
sich sofort überzeugen, daß eine Betrugsanklage gegen die Sinkenden nur dann
Aussicht auf Erfolg haben würde, wenn nachweisbar wäre, daß sie bereits
zur Zeit der Eingehung ihres Engagements oder doch bei Ausnah¬
me etwaiger Lohnvorschüsse :c,, die Absicht, ohne 14lag!ge Kündigung aus
dem Dienst zu laufen gehabt, und wider die Wahrheit verheimlicht haben, und
daß sie dadurch einen rechtswidrigen Vermögensvortheil sich zu verschaffen
strebten und das Vermögen des Arbeitgebers beschädigt haben. Dieser Be¬
weis wird so gut wie nie zu erbringen sein.

Also weder die Gewerbeordnung in ihren Straf- und civilrechtlichen Be¬
stimmungen, noch das Strafgesetzbuch gewähren den wirklich nothwendigen
Schutz gegen ungesetzliche Strikes. Wohl aber deutet das deutsche Strafgesetz¬
buch an, in welcher Richtung wir zu gehen haben, um diesen Schutz herbeizu¬
führen. In mehr als einem Falle nämlich bedroht das Strafgesetzbuch bereits
jetzt die böswillige und selbst die fahrlässige Nichteinhaltung geschlossener Pri¬
vatverträge mit Strafe. § 298 bedroht den Schiffsmann, welcher mit der Heuer
entläuft oder sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienste zu ent¬
ziehen, ohne Unterschied, ob das Vergehen im Inlande oder im Auslande be¬
gangen ist, mit Gefängniß bis zu einem Jahre. § 329 aber bestraft den¬
jenigen, der die mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsverträge über Be¬
dürfnisse des Heeres oder der Marine zur Zeit eines Krieges oder über Le¬
bensmittel zur Abwendung oder Beseitigung eines Nothstandes vorsätzlich ent¬
weder nicht zur bestimmten Zeit oder nicht in der vocbedungenen Weise er¬
füllt, mit Gefängniß nicht unter sechs Monaten, und event, mit Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte. Selbst Fahrlässigkeit wird mit Gefängniß bis zu
zwei Jahren bestraft, wenn diese einen Schaden herbeigeführt hat, und diesel¬
ben Strafen finden gegen Unterlieferanten, Vermittler und Bevollmächtigte


eine andere Stelle gefunden, in erster Linie die Majestät des Lohnbeschlagnah¬
meverbots entgegen und in zweiter Linie erst hüllt sich der Schuldner mit Glück
in die sxeczptio alios^reg. und den Manifestationseid oder in ti» Wolken eines
von seiner biedern Ehehälfte oder andern guten Geistern aufgewirbelten Jn-
terventionsprocesses. — Auch das Strafrecht läßt den durch einen gesitzwidrigen
Slrike vergewaltigten Arbeitgeber so gut wie schutzlos. Der Laie pflegt zwar
mit einem achtbaren Aufwand von Entrüstung zu versichern, das plötzliche
Davonlaufen von 2—300 Arbeitern wegen verweigerter Lohnzulage, sei der
„reine" Betrug, da bei Eingehung des Lohnvertrags doch selbstverständlich
und stillschweigend die gesetzliche vierzehntägige Kündigungsfrist beiderseitig
vereinbart worden sei. Aber jeder Blick in das Strafgesetzbuch für das deut¬
sche Reich wird den mit Fug und Recht Entrüsteten erheblich ernüchtern, we¬
nigstens in Betreff der Anwendbarkeit der Betrugsparagraphen. Denn er wird
sich sofort überzeugen, daß eine Betrugsanklage gegen die Sinkenden nur dann
Aussicht auf Erfolg haben würde, wenn nachweisbar wäre, daß sie bereits
zur Zeit der Eingehung ihres Engagements oder doch bei Ausnah¬
me etwaiger Lohnvorschüsse :c,, die Absicht, ohne 14lag!ge Kündigung aus
dem Dienst zu laufen gehabt, und wider die Wahrheit verheimlicht haben, und
daß sie dadurch einen rechtswidrigen Vermögensvortheil sich zu verschaffen
strebten und das Vermögen des Arbeitgebers beschädigt haben. Dieser Be¬
weis wird so gut wie nie zu erbringen sein.

Also weder die Gewerbeordnung in ihren Straf- und civilrechtlichen Be¬
stimmungen, noch das Strafgesetzbuch gewähren den wirklich nothwendigen
Schutz gegen ungesetzliche Strikes. Wohl aber deutet das deutsche Strafgesetz¬
buch an, in welcher Richtung wir zu gehen haben, um diesen Schutz herbeizu¬
führen. In mehr als einem Falle nämlich bedroht das Strafgesetzbuch bereits
jetzt die böswillige und selbst die fahrlässige Nichteinhaltung geschlossener Pri¬
vatverträge mit Strafe. § 298 bedroht den Schiffsmann, welcher mit der Heuer
entläuft oder sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienste zu ent¬
ziehen, ohne Unterschied, ob das Vergehen im Inlande oder im Auslande be¬
gangen ist, mit Gefängniß bis zu einem Jahre. § 329 aber bestraft den¬
jenigen, der die mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsverträge über Be¬
dürfnisse des Heeres oder der Marine zur Zeit eines Krieges oder über Le¬
bensmittel zur Abwendung oder Beseitigung eines Nothstandes vorsätzlich ent¬
weder nicht zur bestimmten Zeit oder nicht in der vocbedungenen Weise er¬
füllt, mit Gefängniß nicht unter sechs Monaten, und event, mit Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte. Selbst Fahrlässigkeit wird mit Gefängniß bis zu
zwei Jahren bestraft, wenn diese einen Schaden herbeigeführt hat, und diesel¬
ben Strafen finden gegen Unterlieferanten, Vermittler und Bevollmächtigte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/232>, abgerufen am 16.06.2024.