Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hätte keinesfalls erlaubt, daß Rußland sich der ungeheuren Gebiete und Schätze
Indiens bemächtigt hätte. Aber welche Lage für England, den Fortbesitz sei¬
ner Weltmacht von der Gnade der Tuilerien geduldet zu sehen!

Will man sich die Möglichkeit von Gegeneombinationen denken? Aber ein
EinVerständniß Rußlands und Englands gegen Frankreich ist, nachdem der
Widerstreit der beiderseitigen Weltinteressen sich bis zu dem gegenwärtigen
Grade entwickelt, nicht mehr möglich, wie im Anfang des Jahrhunderts.
Oesterreich und Nußland andererseits können ohne einen Dritten im Bunde
kaum jemals ohne Mißtrauen zusammengehen. Oesterreich hat durch seine
slavischen Bevölkerungselemente allzuviel Ursache, sich nicht Rußland hinzu¬
geben; auch ist die Vereinbarung der Interessen im Orient nicht leicht. Ru߬
land seinerseits wird immer fürchten, für eine Macht zu arbeiten, die bald
nach der Natur der Verhältnisse wieder sein Gegner werden kann. Von der
Möglichkeit, daß Oesterreich und Italien gemeinsame Sache gegen Frankreich
und das Papstthum machen könnten, ist gar nicht zu sprechen, abgesehen von
der Schwäche einer solchen Combination, wenn sie zu Stande kommen könnte.

Worin liegt es denn nun, daß dieses Geflecht allseits bedrohlicher Com¬
binationen durch die eine Thatsache zerrissen wird, daß Deutschland Herr in
seinem Hause ist? Es lohnt noch der Mühe, sich dieß deutlich zu machen.

Mit einem selbständigen Deutschland als Dritten im Bunde können Ru߬
land und Oestreich einander vertrauen und gemeinsam eine imponirende, ja
eine zwingende Stellung einnehmen. Wenn es Deutschland neben sich hat,
braucht Oestereich nicht zu fürchten, durch das Zusammengehen mit Ru߬
land von diesem abhängig zu werden; und Rußland, wenn es Deutschland
neben sich hat, braucht nicht zu fürchten, daß Oesterreich. eines Tages zu
Frankreich und England gesellt, Rußland Gesetze vorschriebe, nachdem es von
diesem gestärkt worden.

Italien kann den Weg seiner nationalen Einheit und seiner innern Con-
solidation. es kann die schwierige Auseinandersetzung mit dem Papstthum
ruhig verfolgen, weil das von Deutschland in Schranken gehaltene Frankreich
der italienischen Regierung nicht in den Arm fallen kann. Das Papstthum
verliert an einem übermächtigen Frankreich zwar den stärksten Bundesgenossen,
den es gewinnen kann, aber auch denjenigen Bundesgenossen, der am meisten
in der Lage ist, das Papstthum zum Werkzeug zu erniedrigen.

England ist nur durch Deutschlands Siege in den Stand gesetzt, seine
große Weltstellung überall zu vertheidigen, sogar wenn Deutschland nicht
unmittelbar für England eintritt. Denn wenn England in fernen Welt¬
theilen auf mächtige Rivalen stoßen kann, so hat es doch keine Diverston in
nächster Nähe zu befürchten, die es tödtlich lähmen könnte. Es hat auch
keine Combination zu fürchten, bei der alle Seemächte zweiten Ranges ihre Kräfte
mit der nach der englischen stärksten Kriegsflotte gegen England vereinigten.


hätte keinesfalls erlaubt, daß Rußland sich der ungeheuren Gebiete und Schätze
Indiens bemächtigt hätte. Aber welche Lage für England, den Fortbesitz sei¬
ner Weltmacht von der Gnade der Tuilerien geduldet zu sehen!

Will man sich die Möglichkeit von Gegeneombinationen denken? Aber ein
EinVerständniß Rußlands und Englands gegen Frankreich ist, nachdem der
Widerstreit der beiderseitigen Weltinteressen sich bis zu dem gegenwärtigen
Grade entwickelt, nicht mehr möglich, wie im Anfang des Jahrhunderts.
Oesterreich und Nußland andererseits können ohne einen Dritten im Bunde
kaum jemals ohne Mißtrauen zusammengehen. Oesterreich hat durch seine
slavischen Bevölkerungselemente allzuviel Ursache, sich nicht Rußland hinzu¬
geben; auch ist die Vereinbarung der Interessen im Orient nicht leicht. Ru߬
land seinerseits wird immer fürchten, für eine Macht zu arbeiten, die bald
nach der Natur der Verhältnisse wieder sein Gegner werden kann. Von der
Möglichkeit, daß Oesterreich und Italien gemeinsame Sache gegen Frankreich
und das Papstthum machen könnten, ist gar nicht zu sprechen, abgesehen von
der Schwäche einer solchen Combination, wenn sie zu Stande kommen könnte.

Worin liegt es denn nun, daß dieses Geflecht allseits bedrohlicher Com¬
binationen durch die eine Thatsache zerrissen wird, daß Deutschland Herr in
seinem Hause ist? Es lohnt noch der Mühe, sich dieß deutlich zu machen.

Mit einem selbständigen Deutschland als Dritten im Bunde können Ru߬
land und Oestreich einander vertrauen und gemeinsam eine imponirende, ja
eine zwingende Stellung einnehmen. Wenn es Deutschland neben sich hat,
braucht Oestereich nicht zu fürchten, durch das Zusammengehen mit Ru߬
land von diesem abhängig zu werden; und Rußland, wenn es Deutschland
neben sich hat, braucht nicht zu fürchten, daß Oesterreich. eines Tages zu
Frankreich und England gesellt, Rußland Gesetze vorschriebe, nachdem es von
diesem gestärkt worden.

Italien kann den Weg seiner nationalen Einheit und seiner innern Con-
solidation. es kann die schwierige Auseinandersetzung mit dem Papstthum
ruhig verfolgen, weil das von Deutschland in Schranken gehaltene Frankreich
der italienischen Regierung nicht in den Arm fallen kann. Das Papstthum
verliert an einem übermächtigen Frankreich zwar den stärksten Bundesgenossen,
den es gewinnen kann, aber auch denjenigen Bundesgenossen, der am meisten
in der Lage ist, das Papstthum zum Werkzeug zu erniedrigen.

England ist nur durch Deutschlands Siege in den Stand gesetzt, seine
große Weltstellung überall zu vertheidigen, sogar wenn Deutschland nicht
unmittelbar für England eintritt. Denn wenn England in fernen Welt¬
theilen auf mächtige Rivalen stoßen kann, so hat es doch keine Diverston in
nächster Nähe zu befürchten, die es tödtlich lähmen könnte. Es hat auch
keine Combination zu fürchten, bei der alle Seemächte zweiten Ranges ihre Kräfte
mit der nach der englischen stärksten Kriegsflotte gegen England vereinigten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129278"/>
          <p xml:id="ID_905" prev="#ID_904"> hätte keinesfalls erlaubt, daß Rußland sich der ungeheuren Gebiete und Schätze<lb/>
Indiens bemächtigt hätte. Aber welche Lage für England, den Fortbesitz sei¬<lb/>
ner Weltmacht von der Gnade der Tuilerien geduldet zu sehen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_906"> Will man sich die Möglichkeit von Gegeneombinationen denken? Aber ein<lb/>
EinVerständniß Rußlands und Englands gegen Frankreich ist, nachdem der<lb/>
Widerstreit der beiderseitigen Weltinteressen sich bis zu dem gegenwärtigen<lb/>
Grade entwickelt, nicht mehr möglich, wie im Anfang des Jahrhunderts.<lb/>
Oesterreich und Nußland andererseits können ohne einen Dritten im Bunde<lb/>
kaum jemals ohne Mißtrauen zusammengehen. Oesterreich hat durch seine<lb/>
slavischen Bevölkerungselemente allzuviel Ursache, sich nicht Rußland hinzu¬<lb/>
geben; auch ist die Vereinbarung der Interessen im Orient nicht leicht. Ru߬<lb/>
land seinerseits wird immer fürchten, für eine Macht zu arbeiten, die bald<lb/>
nach der Natur der Verhältnisse wieder sein Gegner werden kann. Von der<lb/>
Möglichkeit, daß Oesterreich und Italien gemeinsame Sache gegen Frankreich<lb/>
und das Papstthum machen könnten, ist gar nicht zu sprechen, abgesehen von<lb/>
der Schwäche einer solchen Combination, wenn sie zu Stande kommen könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_907"> Worin liegt es denn nun, daß dieses Geflecht allseits bedrohlicher Com¬<lb/>
binationen durch die eine Thatsache zerrissen wird, daß Deutschland Herr in<lb/>
seinem Hause ist?  Es lohnt noch der Mühe, sich dieß deutlich zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_908"> Mit einem selbständigen Deutschland als Dritten im Bunde können Ru߬<lb/>
land und Oestreich einander vertrauen und gemeinsam eine imponirende, ja<lb/>
eine zwingende Stellung einnehmen. Wenn es Deutschland neben sich hat,<lb/>
braucht Oestereich nicht zu fürchten, durch das Zusammengehen mit Ru߬<lb/>
land von diesem abhängig zu werden; und Rußland, wenn es Deutschland<lb/>
neben sich hat, braucht nicht zu fürchten, daß Oesterreich. eines Tages zu<lb/>
Frankreich und England gesellt, Rußland Gesetze vorschriebe, nachdem es von<lb/>
diesem gestärkt worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_909"> Italien kann den Weg seiner nationalen Einheit und seiner innern Con-<lb/>
solidation. es kann die schwierige Auseinandersetzung mit dem Papstthum<lb/>
ruhig verfolgen, weil das von Deutschland in Schranken gehaltene Frankreich<lb/>
der italienischen Regierung nicht in den Arm fallen kann. Das Papstthum<lb/>
verliert an einem übermächtigen Frankreich zwar den stärksten Bundesgenossen,<lb/>
den es gewinnen kann, aber auch denjenigen Bundesgenossen, der am meisten<lb/>
in der Lage ist, das Papstthum zum Werkzeug zu erniedrigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_910"> England ist nur durch Deutschlands Siege in den Stand gesetzt, seine<lb/>
große Weltstellung überall zu vertheidigen, sogar wenn Deutschland nicht<lb/>
unmittelbar für England eintritt. Denn wenn England in fernen Welt¬<lb/>
theilen auf mächtige Rivalen stoßen kann, so hat es doch keine Diverston in<lb/>
nächster Nähe zu befürchten, die es tödtlich lähmen könnte. Es hat auch<lb/>
keine Combination zu fürchten, bei der alle Seemächte zweiten Ranges ihre Kräfte<lb/>
mit der nach der englischen stärksten Kriegsflotte gegen England vereinigten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0286] hätte keinesfalls erlaubt, daß Rußland sich der ungeheuren Gebiete und Schätze Indiens bemächtigt hätte. Aber welche Lage für England, den Fortbesitz sei¬ ner Weltmacht von der Gnade der Tuilerien geduldet zu sehen! Will man sich die Möglichkeit von Gegeneombinationen denken? Aber ein EinVerständniß Rußlands und Englands gegen Frankreich ist, nachdem der Widerstreit der beiderseitigen Weltinteressen sich bis zu dem gegenwärtigen Grade entwickelt, nicht mehr möglich, wie im Anfang des Jahrhunderts. Oesterreich und Nußland andererseits können ohne einen Dritten im Bunde kaum jemals ohne Mißtrauen zusammengehen. Oesterreich hat durch seine slavischen Bevölkerungselemente allzuviel Ursache, sich nicht Rußland hinzu¬ geben; auch ist die Vereinbarung der Interessen im Orient nicht leicht. Ru߬ land seinerseits wird immer fürchten, für eine Macht zu arbeiten, die bald nach der Natur der Verhältnisse wieder sein Gegner werden kann. Von der Möglichkeit, daß Oesterreich und Italien gemeinsame Sache gegen Frankreich und das Papstthum machen könnten, ist gar nicht zu sprechen, abgesehen von der Schwäche einer solchen Combination, wenn sie zu Stande kommen könnte. Worin liegt es denn nun, daß dieses Geflecht allseits bedrohlicher Com¬ binationen durch die eine Thatsache zerrissen wird, daß Deutschland Herr in seinem Hause ist? Es lohnt noch der Mühe, sich dieß deutlich zu machen. Mit einem selbständigen Deutschland als Dritten im Bunde können Ru߬ land und Oestreich einander vertrauen und gemeinsam eine imponirende, ja eine zwingende Stellung einnehmen. Wenn es Deutschland neben sich hat, braucht Oestereich nicht zu fürchten, durch das Zusammengehen mit Ru߬ land von diesem abhängig zu werden; und Rußland, wenn es Deutschland neben sich hat, braucht nicht zu fürchten, daß Oesterreich. eines Tages zu Frankreich und England gesellt, Rußland Gesetze vorschriebe, nachdem es von diesem gestärkt worden. Italien kann den Weg seiner nationalen Einheit und seiner innern Con- solidation. es kann die schwierige Auseinandersetzung mit dem Papstthum ruhig verfolgen, weil das von Deutschland in Schranken gehaltene Frankreich der italienischen Regierung nicht in den Arm fallen kann. Das Papstthum verliert an einem übermächtigen Frankreich zwar den stärksten Bundesgenossen, den es gewinnen kann, aber auch denjenigen Bundesgenossen, der am meisten in der Lage ist, das Papstthum zum Werkzeug zu erniedrigen. England ist nur durch Deutschlands Siege in den Stand gesetzt, seine große Weltstellung überall zu vertheidigen, sogar wenn Deutschland nicht unmittelbar für England eintritt. Denn wenn England in fernen Welt¬ theilen auf mächtige Rivalen stoßen kann, so hat es doch keine Diverston in nächster Nähe zu befürchten, die es tödtlich lähmen könnte. Es hat auch keine Combination zu fürchten, bei der alle Seemächte zweiten Ranges ihre Kräfte mit der nach der englischen stärksten Kriegsflotte gegen England vereinigten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/286
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/286>, abgerufen am 16.06.2024.