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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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zu folgen, denn man wird dort seinen sachlichen Bedingungen weit mehr ent¬
gegenkommen, als dies bisher in München geschah; man wird den Grund¬
sätzen, die er für die Hygiene aufstellt, eine Durchführung sichern, welche er
bisher hier vermißt hat. Nur wenn die baierische Regierung nach dieser
Seite hin Zusicherungen macht, wird sie Hoffnung haben, die Concurrenz mit
der österreichischen Kaiserstadt erfolgreich zu bestehen.

Das aufregendste Interesse bietet dem Publikum noch immer der Fall
der Dachauerbanken. Die Einrichtung und der Geschäftsbetrieb derselben sind
so vielfach besprochen worden, daß wir sie als bekannt betrachten dürfen; nicht
minder weiß man zur Genüge, welche Elemente wesentlich in dieser Angelegen¬
heit engagirt waren. Die Energie, mit welcher die Negierung schließlich
die Krisis zu Ende brachte, verdient zwar alle Anerkennung, umsomehr, da
die juristische Seite der Sache die mannigfachsten Schwierigkeiten bot, allein
mit Recht betonten die meisten bäuerischen Organe auch den entgegengesetzten
Gesichtspunkt, daß die Regierung ernstlich erwägen möge, ob ohne ihre
Nachsicht solche Zustände sich hätten entwickeln können. Die Untersuchung
gegen Adele Spitzeder, die als Erfinderin jener finanziellen Idee zu be¬
trachten ist, hat sich Anfangs nur auf Prüfung der Vermögenslage beschränkt,
jetzt aber erstreckt sie sich auf die strafrechtliche Seite ihres Geschäftsbetriebs,
die sich zwar nicht als gemeiner Betrug, wohl aber als betrügerischer Bankerott
charakterisirt. Gleichzeitig mit ihr wurden noch eine Reihe von ähnlichen
Bankhaltern, die das große Original nicht ohne Erfolg copirten, festgesetzt,
so daß das ganze weitverzweigte Gewerbe dieser Bauernfänger nunmehr sistirt
ist. Der letzte, welcher verhaftet wurde, war ein Graf Friedrich von Holnstein,
der sein Geschäft erst auf den Trümmern der übrigen errichtet hatte und glück¬
licherweise nur kurze Zeit im Betriebe hielt. Neben dem Criminalverfahren
werden natürlich die Vorbereitungen zur Gaut mit großem Eifer gefördert,
allein die Durchführung derselben nimmt solche Dimensionen an, daß man
sogar auf eine Vermehrung des Gerichtspersonals bedacht sein mußte, und
daß man noch immer mit der Feststellung der Präparatorien beschäftigt ist.
Bis jetzt haben hauptsächlich die Betheiligten, die in der Stadt München selbst
wohnen, ihre Forderungen angemeldet, die größere Masse der bäuerlichen Kund¬
schaft wird mit ihren Ansprüchen erst hervortreten, wenn das Ganterkenntniß
erlassen und die Edictstage bestimmt sind. Wahrscheinlich werden dann die
einzelnen Landgerichte delegirt werden, die Anmeldung der Forderungen ent¬
gegenzunehmen, so daß die Gesammtsumme der Passiver vorher nicht be¬
stimmbar ist. Daß einige klerikale Blätter auch noch nach dem Sturze den
Rath gaben, die Leute möchten ihre Wechsel doch nicht vor Gericht produciren,
es sei keine Ueberschüttung vorhanden und sie würden bald die früheren Vor-


zu folgen, denn man wird dort seinen sachlichen Bedingungen weit mehr ent¬
gegenkommen, als dies bisher in München geschah; man wird den Grund¬
sätzen, die er für die Hygiene aufstellt, eine Durchführung sichern, welche er
bisher hier vermißt hat. Nur wenn die baierische Regierung nach dieser
Seite hin Zusicherungen macht, wird sie Hoffnung haben, die Concurrenz mit
der österreichischen Kaiserstadt erfolgreich zu bestehen.

Das aufregendste Interesse bietet dem Publikum noch immer der Fall
der Dachauerbanken. Die Einrichtung und der Geschäftsbetrieb derselben sind
so vielfach besprochen worden, daß wir sie als bekannt betrachten dürfen; nicht
minder weiß man zur Genüge, welche Elemente wesentlich in dieser Angelegen¬
heit engagirt waren. Die Energie, mit welcher die Negierung schließlich
die Krisis zu Ende brachte, verdient zwar alle Anerkennung, umsomehr, da
die juristische Seite der Sache die mannigfachsten Schwierigkeiten bot, allein
mit Recht betonten die meisten bäuerischen Organe auch den entgegengesetzten
Gesichtspunkt, daß die Regierung ernstlich erwägen möge, ob ohne ihre
Nachsicht solche Zustände sich hätten entwickeln können. Die Untersuchung
gegen Adele Spitzeder, die als Erfinderin jener finanziellen Idee zu be¬
trachten ist, hat sich Anfangs nur auf Prüfung der Vermögenslage beschränkt,
jetzt aber erstreckt sie sich auf die strafrechtliche Seite ihres Geschäftsbetriebs,
die sich zwar nicht als gemeiner Betrug, wohl aber als betrügerischer Bankerott
charakterisirt. Gleichzeitig mit ihr wurden noch eine Reihe von ähnlichen
Bankhaltern, die das große Original nicht ohne Erfolg copirten, festgesetzt,
so daß das ganze weitverzweigte Gewerbe dieser Bauernfänger nunmehr sistirt
ist. Der letzte, welcher verhaftet wurde, war ein Graf Friedrich von Holnstein,
der sein Geschäft erst auf den Trümmern der übrigen errichtet hatte und glück¬
licherweise nur kurze Zeit im Betriebe hielt. Neben dem Criminalverfahren
werden natürlich die Vorbereitungen zur Gaut mit großem Eifer gefördert,
allein die Durchführung derselben nimmt solche Dimensionen an, daß man
sogar auf eine Vermehrung des Gerichtspersonals bedacht sein mußte, und
daß man noch immer mit der Feststellung der Präparatorien beschäftigt ist.
Bis jetzt haben hauptsächlich die Betheiligten, die in der Stadt München selbst
wohnen, ihre Forderungen angemeldet, die größere Masse der bäuerlichen Kund¬
schaft wird mit ihren Ansprüchen erst hervortreten, wenn das Ganterkenntniß
erlassen und die Edictstage bestimmt sind. Wahrscheinlich werden dann die
einzelnen Landgerichte delegirt werden, die Anmeldung der Forderungen ent¬
gegenzunehmen, so daß die Gesammtsumme der Passiver vorher nicht be¬
stimmbar ist. Daß einige klerikale Blätter auch noch nach dem Sturze den
Rath gaben, die Leute möchten ihre Wechsel doch nicht vor Gericht produciren,
es sei keine Ueberschüttung vorhanden und sie würden bald die früheren Vor-


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[0034] zu folgen, denn man wird dort seinen sachlichen Bedingungen weit mehr ent¬ gegenkommen, als dies bisher in München geschah; man wird den Grund¬ sätzen, die er für die Hygiene aufstellt, eine Durchführung sichern, welche er bisher hier vermißt hat. Nur wenn die baierische Regierung nach dieser Seite hin Zusicherungen macht, wird sie Hoffnung haben, die Concurrenz mit der österreichischen Kaiserstadt erfolgreich zu bestehen. Das aufregendste Interesse bietet dem Publikum noch immer der Fall der Dachauerbanken. Die Einrichtung und der Geschäftsbetrieb derselben sind so vielfach besprochen worden, daß wir sie als bekannt betrachten dürfen; nicht minder weiß man zur Genüge, welche Elemente wesentlich in dieser Angelegen¬ heit engagirt waren. Die Energie, mit welcher die Negierung schließlich die Krisis zu Ende brachte, verdient zwar alle Anerkennung, umsomehr, da die juristische Seite der Sache die mannigfachsten Schwierigkeiten bot, allein mit Recht betonten die meisten bäuerischen Organe auch den entgegengesetzten Gesichtspunkt, daß die Regierung ernstlich erwägen möge, ob ohne ihre Nachsicht solche Zustände sich hätten entwickeln können. Die Untersuchung gegen Adele Spitzeder, die als Erfinderin jener finanziellen Idee zu be¬ trachten ist, hat sich Anfangs nur auf Prüfung der Vermögenslage beschränkt, jetzt aber erstreckt sie sich auf die strafrechtliche Seite ihres Geschäftsbetriebs, die sich zwar nicht als gemeiner Betrug, wohl aber als betrügerischer Bankerott charakterisirt. Gleichzeitig mit ihr wurden noch eine Reihe von ähnlichen Bankhaltern, die das große Original nicht ohne Erfolg copirten, festgesetzt, so daß das ganze weitverzweigte Gewerbe dieser Bauernfänger nunmehr sistirt ist. Der letzte, welcher verhaftet wurde, war ein Graf Friedrich von Holnstein, der sein Geschäft erst auf den Trümmern der übrigen errichtet hatte und glück¬ licherweise nur kurze Zeit im Betriebe hielt. Neben dem Criminalverfahren werden natürlich die Vorbereitungen zur Gaut mit großem Eifer gefördert, allein die Durchführung derselben nimmt solche Dimensionen an, daß man sogar auf eine Vermehrung des Gerichtspersonals bedacht sein mußte, und daß man noch immer mit der Feststellung der Präparatorien beschäftigt ist. Bis jetzt haben hauptsächlich die Betheiligten, die in der Stadt München selbst wohnen, ihre Forderungen angemeldet, die größere Masse der bäuerlichen Kund¬ schaft wird mit ihren Ansprüchen erst hervortreten, wenn das Ganterkenntniß erlassen und die Edictstage bestimmt sind. Wahrscheinlich werden dann die einzelnen Landgerichte delegirt werden, die Anmeldung der Forderungen ent¬ gegenzunehmen, so daß die Gesammtsumme der Passiver vorher nicht be¬ stimmbar ist. Daß einige klerikale Blätter auch noch nach dem Sturze den Rath gaben, die Leute möchten ihre Wechsel doch nicht vor Gericht produciren, es sei keine Ueberschüttung vorhanden und sie würden bald die früheren Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/34>, abgerufen am 16.06.2024.