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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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keit des Landes einerseits, die Gleichberechtigung der drei ständischen Nationen
im Lande andrerseits.

Eine dieser drei Nationen war die sächsische.

Sie machte kaum den fünften Theil der Gesammtbevölkerung Sieben¬
bürgens aus, war aber stärker durch ihre Bildung und durch das Recht,
welches ihr den nationalen Fortbestand fünf Jahrhunderte lang gesichert hatte,
selbst in solchen Zeiten, wo der Türke des Landes strenger Gebieter gewesen
war. --

Von nun an beginnt ein eigenthümliches Martyrium dieses Volkes.
Jeden politischen Fehler der deutschen Dynastie schreibt der nationale Fana¬
tismus der Magyaren auf Rechnung des verhaßten deutschen Bürger- und
Bauernvolkes im Sachsenlande und benutzt jeden Augenblick der Schwäche
der Regierung, um an diesem zu rächen, was andere wirklich oder scheinbar
gefehlt. So mußte die sächsische Nation 1791 büßen, was Joseph II. am
"Genius der magyarischen" verbrochen, und begann damals zum erstenmal
der siebenbürgisch-ungarische Adel den bis dahin perhorrescirten Gedanken
einer engern Verbindung Siebenbürgens mit Ungarn zu pflegen, weil er seine
Ohnmacht fühlte, die nichtmagyarischen Stämme in Siebenbürgen aus eigner
Kraft allein zu magyarisiren. Natürlich begegneten diese Gedanken der wärm¬
sten Sympathie von Seiten des Mutterlandes Ungarn, welches sein Anrecht
auf Siebenbürgen formell niemals aufgegeben hatte. Leopold II. war noch
eigenwillig genug, das Ansinnen einer Unisicirung beider Länder zurückzu¬
weisen, weil, wie er sich ausdrückte, auf dem Leopoldinischen Diplom und
dem Recht der abgesonderten Gesetzgebung Siebenbürgens die Fundamental¬
rechte, die Freiheit, ja die Sicherheit der Nation und Religion in Sieben¬
bürgen ruhten und alle Gesichtspunkte der Verwaltung dafür sprächen, jene
beizubehalten.

Der Angriff ruhte während der Herrschaft des Metternich'schen Syste¬
mes; er war nicht aufgegeben. Ja dieses System selbst mußte den Grimm
der Magyaren über das deutsche Regiment steigern, und von der Thron¬
besteigung Ferdinands "des Gütigen" angefangen, entbrennt der Kampf gegen
dasselbe immer heftiger. In Siebenbürgen trifft er in erster Reihe wieder
die Sachsen, und zum erstenmal versucht der Adel gegen die Tiefgehaßten die
Leidenschaft der bis dahin politisch rechtlosen, in Siebenbürgen zahlreichsten,
aber nirgends mehr als durch den Adel niedergehaltenen und gedrückten wa-
lachischen Bevölkerung zur Bundesgenossenschaft zu rufen. Die magyarische
Sprache wird für die Verhandlungen des siebenbürgischen Landtages allein
zulässig erklärt, im ersten Sturm des Jahres 1848 die völlige Vereinigung
mit Ungarn beschlossen. Nur zwei Punkte sind während der ganzen Dauer
dieses schweren politischen Kampfes außer dem Streite gewesen: das Recht


keit des Landes einerseits, die Gleichberechtigung der drei ständischen Nationen
im Lande andrerseits.

Eine dieser drei Nationen war die sächsische.

Sie machte kaum den fünften Theil der Gesammtbevölkerung Sieben¬
bürgens aus, war aber stärker durch ihre Bildung und durch das Recht,
welches ihr den nationalen Fortbestand fünf Jahrhunderte lang gesichert hatte,
selbst in solchen Zeiten, wo der Türke des Landes strenger Gebieter gewesen
war. —

Von nun an beginnt ein eigenthümliches Martyrium dieses Volkes.
Jeden politischen Fehler der deutschen Dynastie schreibt der nationale Fana¬
tismus der Magyaren auf Rechnung des verhaßten deutschen Bürger- und
Bauernvolkes im Sachsenlande und benutzt jeden Augenblick der Schwäche
der Regierung, um an diesem zu rächen, was andere wirklich oder scheinbar
gefehlt. So mußte die sächsische Nation 1791 büßen, was Joseph II. am
„Genius der magyarischen" verbrochen, und begann damals zum erstenmal
der siebenbürgisch-ungarische Adel den bis dahin perhorrescirten Gedanken
einer engern Verbindung Siebenbürgens mit Ungarn zu pflegen, weil er seine
Ohnmacht fühlte, die nichtmagyarischen Stämme in Siebenbürgen aus eigner
Kraft allein zu magyarisiren. Natürlich begegneten diese Gedanken der wärm¬
sten Sympathie von Seiten des Mutterlandes Ungarn, welches sein Anrecht
auf Siebenbürgen formell niemals aufgegeben hatte. Leopold II. war noch
eigenwillig genug, das Ansinnen einer Unisicirung beider Länder zurückzu¬
weisen, weil, wie er sich ausdrückte, auf dem Leopoldinischen Diplom und
dem Recht der abgesonderten Gesetzgebung Siebenbürgens die Fundamental¬
rechte, die Freiheit, ja die Sicherheit der Nation und Religion in Sieben¬
bürgen ruhten und alle Gesichtspunkte der Verwaltung dafür sprächen, jene
beizubehalten.

Der Angriff ruhte während der Herrschaft des Metternich'schen Syste¬
mes; er war nicht aufgegeben. Ja dieses System selbst mußte den Grimm
der Magyaren über das deutsche Regiment steigern, und von der Thron¬
besteigung Ferdinands „des Gütigen" angefangen, entbrennt der Kampf gegen
dasselbe immer heftiger. In Siebenbürgen trifft er in erster Reihe wieder
die Sachsen, und zum erstenmal versucht der Adel gegen die Tiefgehaßten die
Leidenschaft der bis dahin politisch rechtlosen, in Siebenbürgen zahlreichsten,
aber nirgends mehr als durch den Adel niedergehaltenen und gedrückten wa-
lachischen Bevölkerung zur Bundesgenossenschaft zu rufen. Die magyarische
Sprache wird für die Verhandlungen des siebenbürgischen Landtages allein
zulässig erklärt, im ersten Sturm des Jahres 1848 die völlige Vereinigung
mit Ungarn beschlossen. Nur zwei Punkte sind während der ganzen Dauer
dieses schweren politischen Kampfes außer dem Streite gewesen: das Recht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/383>, abgerufen am 21.05.2024.