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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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der Sachsen auf ihr Territorium und auf eine selbständige Ordnung ihrer
Jnnerangelegenheiten innerhalb der Reichsgesetze und unter der Oberaufsicht
der Regierung. d. h. das Recht einer historisch-politischen Individualität.

Im Jahre 1848 während der Verhandlungen über die Union gaben die
Führer der Magyaren das "heilige Versprechen der Achtung jeder Nationali¬
tät" und erklärten feierlich "von einer Verletzung des Sachsen¬
gebietes könne keine Rede sein, die Josephinischen Zeiten
kehrten nicht zurück." Der vom ungarischen Reichstag 1868 gebrachte
Gesetzartikel XUII über die detaillirte Regelung der Vereinigung Ungarns
und Siebenbürgens geht noch einen Schritt weiter und erkennt im § 10 aus¬
drücklich an, daß die Rechtsstellung der sächsischen Nation in Siebenbürgen
nicht bloß auf Gesetzen, sondern auch auf "Verträgen" beruhe und die
Sächsische Nationsuniversität in ihrem mit dem siebenbürgischen Gesetzartikel
XIII von 1791 im Einklang stehenden Wirkungskreise, mit Ausnahme der
Rechtsprechung, welche die Sachsen selbst aufgegeben hatten, zu belassen sei.
Selbst der Krönungseid, welchen der König geschworen hat, spricht nicht bloß
von der Reichsverfassung, sondern auch von den "Jurisdiktionen", deren Rechte
Freiheiten, Privilegien, Gesetze, alte und genehmigte gute Gewohnheiten er¬
halten werden sollen.

Es ist eine traurige Thatsache, daß jede Legislaturperiode Ungarns seit
jener Zeit nicht dazu beigetragen hat, die Befürchtung Seitens der Sachsen
zu zerstreuen, daß es mit jenen Zusicherungen von vornherein nicht ernst ge¬
meint gewesen sei, oder die politischen Führer der Magyaren die Kraft nicht
besitzen, den Unificirungsgelüsten ihres Volkes gegenüber das Recht anderer
Nationalitäten in Kraft zu halten.

Die Sachsen haben seit der Königskrönung in Ofen ihre Pflichten dem
ungarischen Staate gegenüber in allen Punkten erfüllt; sie haben sich bisher
von der Versuchung fern gehalten, in der Nichtausübung staatsbürgerlicher
Rechte die letzte Zufluchtsstätte gegen die Theorie zu suchen, daß Gewalt vor
Recht gehe, und leider nichts erreicht, als daß jeder magyarische Schulbube
heute über ihr Dasein und ihr Recht nur mitleidig lächeln zu dürfen ver¬
meint. Als der Reichstag 1870 ein Gesetz über die Regelung der Muni-
cipien beschloß, besaß die Regierung noch so viel Rechtsgefühl, den Zusatz zu
beantragen: "Ueber die Regelung des Königsbodens (d.i. des Sachsenlandes)
verfügt in Gemäßheit der Bestimmung des § 10 des XI.III. Gesetzartikels
vom Jahre 1868 ein besonderes Gesetz", und der Reichstag nahm diesen
Antrag in das Gesetz auf. Aber seither zieht sich die Frage über die Moda¬
lität dieser Regelung so unmotivirt in die Länge, daß nichts daraus hervor¬
leuchtet, als die Unlust, sie überhaupt ehrlich auszutragen.

Ein ganz einfaches Mittel, ihr auszuweichen, haben die magyarischen


der Sachsen auf ihr Territorium und auf eine selbständige Ordnung ihrer
Jnnerangelegenheiten innerhalb der Reichsgesetze und unter der Oberaufsicht
der Regierung. d. h. das Recht einer historisch-politischen Individualität.

Im Jahre 1848 während der Verhandlungen über die Union gaben die
Führer der Magyaren das „heilige Versprechen der Achtung jeder Nationali¬
tät" und erklärten feierlich „von einer Verletzung des Sachsen¬
gebietes könne keine Rede sein, die Josephinischen Zeiten
kehrten nicht zurück." Der vom ungarischen Reichstag 1868 gebrachte
Gesetzartikel XUII über die detaillirte Regelung der Vereinigung Ungarns
und Siebenbürgens geht noch einen Schritt weiter und erkennt im § 10 aus¬
drücklich an, daß die Rechtsstellung der sächsischen Nation in Siebenbürgen
nicht bloß auf Gesetzen, sondern auch auf „Verträgen" beruhe und die
Sächsische Nationsuniversität in ihrem mit dem siebenbürgischen Gesetzartikel
XIII von 1791 im Einklang stehenden Wirkungskreise, mit Ausnahme der
Rechtsprechung, welche die Sachsen selbst aufgegeben hatten, zu belassen sei.
Selbst der Krönungseid, welchen der König geschworen hat, spricht nicht bloß
von der Reichsverfassung, sondern auch von den „Jurisdiktionen", deren Rechte
Freiheiten, Privilegien, Gesetze, alte und genehmigte gute Gewohnheiten er¬
halten werden sollen.

Es ist eine traurige Thatsache, daß jede Legislaturperiode Ungarns seit
jener Zeit nicht dazu beigetragen hat, die Befürchtung Seitens der Sachsen
zu zerstreuen, daß es mit jenen Zusicherungen von vornherein nicht ernst ge¬
meint gewesen sei, oder die politischen Führer der Magyaren die Kraft nicht
besitzen, den Unificirungsgelüsten ihres Volkes gegenüber das Recht anderer
Nationalitäten in Kraft zu halten.

Die Sachsen haben seit der Königskrönung in Ofen ihre Pflichten dem
ungarischen Staate gegenüber in allen Punkten erfüllt; sie haben sich bisher
von der Versuchung fern gehalten, in der Nichtausübung staatsbürgerlicher
Rechte die letzte Zufluchtsstätte gegen die Theorie zu suchen, daß Gewalt vor
Recht gehe, und leider nichts erreicht, als daß jeder magyarische Schulbube
heute über ihr Dasein und ihr Recht nur mitleidig lächeln zu dürfen ver¬
meint. Als der Reichstag 1870 ein Gesetz über die Regelung der Muni-
cipien beschloß, besaß die Regierung noch so viel Rechtsgefühl, den Zusatz zu
beantragen: „Ueber die Regelung des Königsbodens (d.i. des Sachsenlandes)
verfügt in Gemäßheit der Bestimmung des § 10 des XI.III. Gesetzartikels
vom Jahre 1868 ein besonderes Gesetz", und der Reichstag nahm diesen
Antrag in das Gesetz auf. Aber seither zieht sich die Frage über die Moda¬
lität dieser Regelung so unmotivirt in die Länge, daß nichts daraus hervor¬
leuchtet, als die Unlust, sie überhaupt ehrlich auszutragen.

Ein ganz einfaches Mittel, ihr auszuweichen, haben die magyarischen


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[0384] der Sachsen auf ihr Territorium und auf eine selbständige Ordnung ihrer Jnnerangelegenheiten innerhalb der Reichsgesetze und unter der Oberaufsicht der Regierung. d. h. das Recht einer historisch-politischen Individualität. Im Jahre 1848 während der Verhandlungen über die Union gaben die Führer der Magyaren das „heilige Versprechen der Achtung jeder Nationali¬ tät" und erklärten feierlich „von einer Verletzung des Sachsen¬ gebietes könne keine Rede sein, die Josephinischen Zeiten kehrten nicht zurück." Der vom ungarischen Reichstag 1868 gebrachte Gesetzartikel XUII über die detaillirte Regelung der Vereinigung Ungarns und Siebenbürgens geht noch einen Schritt weiter und erkennt im § 10 aus¬ drücklich an, daß die Rechtsstellung der sächsischen Nation in Siebenbürgen nicht bloß auf Gesetzen, sondern auch auf „Verträgen" beruhe und die Sächsische Nationsuniversität in ihrem mit dem siebenbürgischen Gesetzartikel XIII von 1791 im Einklang stehenden Wirkungskreise, mit Ausnahme der Rechtsprechung, welche die Sachsen selbst aufgegeben hatten, zu belassen sei. Selbst der Krönungseid, welchen der König geschworen hat, spricht nicht bloß von der Reichsverfassung, sondern auch von den „Jurisdiktionen", deren Rechte Freiheiten, Privilegien, Gesetze, alte und genehmigte gute Gewohnheiten er¬ halten werden sollen. Es ist eine traurige Thatsache, daß jede Legislaturperiode Ungarns seit jener Zeit nicht dazu beigetragen hat, die Befürchtung Seitens der Sachsen zu zerstreuen, daß es mit jenen Zusicherungen von vornherein nicht ernst ge¬ meint gewesen sei, oder die politischen Führer der Magyaren die Kraft nicht besitzen, den Unificirungsgelüsten ihres Volkes gegenüber das Recht anderer Nationalitäten in Kraft zu halten. Die Sachsen haben seit der Königskrönung in Ofen ihre Pflichten dem ungarischen Staate gegenüber in allen Punkten erfüllt; sie haben sich bisher von der Versuchung fern gehalten, in der Nichtausübung staatsbürgerlicher Rechte die letzte Zufluchtsstätte gegen die Theorie zu suchen, daß Gewalt vor Recht gehe, und leider nichts erreicht, als daß jeder magyarische Schulbube heute über ihr Dasein und ihr Recht nur mitleidig lächeln zu dürfen ver¬ meint. Als der Reichstag 1870 ein Gesetz über die Regelung der Muni- cipien beschloß, besaß die Regierung noch so viel Rechtsgefühl, den Zusatz zu beantragen: „Ueber die Regelung des Königsbodens (d.i. des Sachsenlandes) verfügt in Gemäßheit der Bestimmung des § 10 des XI.III. Gesetzartikels vom Jahre 1868 ein besonderes Gesetz", und der Reichstag nahm diesen Antrag in das Gesetz auf. Aber seither zieht sich die Frage über die Moda¬ lität dieser Regelung so unmotivirt in die Länge, daß nichts daraus hervor¬ leuchtet, als die Unlust, sie überhaupt ehrlich auszutragen. Ein ganz einfaches Mittel, ihr auszuweichen, haben die magyarischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/384>, abgerufen am 14.06.2024.