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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band.

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lich helfen. Das Paris, dessen Glanz und Wohlstand durch den Krieg und
die Commune zerstört ward, war nur denkbar unter jener raffinirt berechneten
öffentlichen Verschwendung, mit einem Worte, unter dem Regime des Cäsaris¬
mus, wie der dritte Napoleon ihn ausgebildet hatte. In der Nationalver¬
sammlung verschließt man sich nicht dieser Erkenntniß. Beweis dessen der eben
gefaßte Beschluß, dem Präsidenten Mac Mahon als Repräsentationskosten für
seinen Pariser Aufenthalt statt 162,000 Frs. 300,000 Frs. zu bewilligen.
Leider wird die große Noth damit nicht gelindert werden. Die Feste des
Elysee können auf die darbende Menge nur Eine Wirkung üben: die längst
vorhandene Sehnsucht nach den Fleischtöpfen des Zweiten Kaiserreichs zu ver¬
stärken. Wäre der Vielverwünschte, dessen Gebeine in Chislehurst modern,
noch unter den Lebenden, mich dünkt, das Provisorium wäre längst zu Ende.

Eine bemerkenswerthe Episode in der fast ziemlich harmlosen Budget¬
debatte bildete die Berathung des Kriegsbudgets. Der Finanzminister Magne,
in seinen verzweiflungsvollen Anstrengungen, das große Deficit des nächsten
Jahres möglichst zu verringern, hatte auch dem Kriegsminister ins Gewissen
geredet, und diesem gelang es wirklich, durch spätere Einberufung gewisser
Recrutentheile eine Ersparniß von fünf Millionen -- in Aussicht zu stellen.
Aber unerhört: ein französischer Kriegsminister, noch dazu ein Kriegsminister
der Revancheperiode, sollte sein Budget um fünf Millionen schmälern dürfen!
Welch' herrliche Gelegenheit für die Gegner des Herrn du Barrail, gegen ihn
Sturm zu laufen! Freilich, der Angriff ist vergeblich gewesen; die Linke
mochte nur zu gut wissen, daß die Entrüstung des Herzogs d'Audiffret-Pasquier
doch nicht ganz frei von egoistischen Motiven sei. Aber die Debatte ist doch
zu etwas nütze gewesen: sie hat die Chauvinisten einmal wieder mit einem
recht heilsamen Sturzbad übergössen. Ach, es war ja ein so erhebendes Ge¬
fühl, durch das Opfer von Trianon alle Makel abgewaschen zusahen, über¬
zeugt sein zu dürfen, daß diese große Nation niemals besiegt, sondern nur
verrathen worden! Und welch' günstige Vorbedeutung, daß der erlauchte Sproß
des "Hauses Frankreich", der soeben der Armee und dem Lande die unbefleckte
Ehre zurückgegeben, daß der Herzog von Aumale das Commando in Besancon
und Belfort. hart an den Thoren des Feindes erhielt! Wer wollte noch
zweifeln, daß dies der erste Schritt sei zur stillen Mobilmachung, und daß
man, sobald der deutsche Religionskrieg -- denn von diesem ist man. dank
den Empörungsdrohungen der Herren Windthorst und Reichensperger. fest
überzeugt -- zum Ausbruch gekommen, durch die trouüs ac Leltort zu furcht¬
barer Rache hervorbrechen würde? Die erwähnte Debatte wird diese hei߬
blütigen Hoffnungen ein wenig abgekühlt haben. Der Marquis de Castellane
versicherte zwar, daß Frankreich das Beispiel Preußens nach der Schlacht bei
Jena nachahme, und in der That, die Aehnlichkeit zwischen den Broglie'schen
Munieipalitäts- und Wahlgesetzen und den Stein-Hardenberg'schen Reformen


lich helfen. Das Paris, dessen Glanz und Wohlstand durch den Krieg und
die Commune zerstört ward, war nur denkbar unter jener raffinirt berechneten
öffentlichen Verschwendung, mit einem Worte, unter dem Regime des Cäsaris¬
mus, wie der dritte Napoleon ihn ausgebildet hatte. In der Nationalver¬
sammlung verschließt man sich nicht dieser Erkenntniß. Beweis dessen der eben
gefaßte Beschluß, dem Präsidenten Mac Mahon als Repräsentationskosten für
seinen Pariser Aufenthalt statt 162,000 Frs. 300,000 Frs. zu bewilligen.
Leider wird die große Noth damit nicht gelindert werden. Die Feste des
Elysee können auf die darbende Menge nur Eine Wirkung üben: die längst
vorhandene Sehnsucht nach den Fleischtöpfen des Zweiten Kaiserreichs zu ver¬
stärken. Wäre der Vielverwünschte, dessen Gebeine in Chislehurst modern,
noch unter den Lebenden, mich dünkt, das Provisorium wäre längst zu Ende.

Eine bemerkenswerthe Episode in der fast ziemlich harmlosen Budget¬
debatte bildete die Berathung des Kriegsbudgets. Der Finanzminister Magne,
in seinen verzweiflungsvollen Anstrengungen, das große Deficit des nächsten
Jahres möglichst zu verringern, hatte auch dem Kriegsminister ins Gewissen
geredet, und diesem gelang es wirklich, durch spätere Einberufung gewisser
Recrutentheile eine Ersparniß von fünf Millionen — in Aussicht zu stellen.
Aber unerhört: ein französischer Kriegsminister, noch dazu ein Kriegsminister
der Revancheperiode, sollte sein Budget um fünf Millionen schmälern dürfen!
Welch' herrliche Gelegenheit für die Gegner des Herrn du Barrail, gegen ihn
Sturm zu laufen! Freilich, der Angriff ist vergeblich gewesen; die Linke
mochte nur zu gut wissen, daß die Entrüstung des Herzogs d'Audiffret-Pasquier
doch nicht ganz frei von egoistischen Motiven sei. Aber die Debatte ist doch
zu etwas nütze gewesen: sie hat die Chauvinisten einmal wieder mit einem
recht heilsamen Sturzbad übergössen. Ach, es war ja ein so erhebendes Ge¬
fühl, durch das Opfer von Trianon alle Makel abgewaschen zusahen, über¬
zeugt sein zu dürfen, daß diese große Nation niemals besiegt, sondern nur
verrathen worden! Und welch' günstige Vorbedeutung, daß der erlauchte Sproß
des „Hauses Frankreich", der soeben der Armee und dem Lande die unbefleckte
Ehre zurückgegeben, daß der Herzog von Aumale das Commando in Besancon
und Belfort. hart an den Thoren des Feindes erhielt! Wer wollte noch
zweifeln, daß dies der erste Schritt sei zur stillen Mobilmachung, und daß
man, sobald der deutsche Religionskrieg — denn von diesem ist man. dank
den Empörungsdrohungen der Herren Windthorst und Reichensperger. fest
überzeugt — zum Ausbruch gekommen, durch die trouüs ac Leltort zu furcht¬
barer Rache hervorbrechen würde? Die erwähnte Debatte wird diese hei߬
blütigen Hoffnungen ein wenig abgekühlt haben. Der Marquis de Castellane
versicherte zwar, daß Frankreich das Beispiel Preußens nach der Schlacht bei
Jena nachahme, und in der That, die Aehnlichkeit zwischen den Broglie'schen
Munieipalitäts- und Wahlgesetzen und den Stein-Hardenberg'schen Reformen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_130059/523>, abgerufen am 09.06.2024.