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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Mühe werth sein, Planen noch einmal als Aristophaniden zu betrachten. Doch
hat man hierzu ein Recht? Tritt man Platen nicht zu nahe, wenn man an
seine Werke einen Maßstab legt, der von den Werken eines so genialen Dich¬
ters, wie Anstophanes ist, genommen wird? Nein, man ist befugt zu diesem
Schritte. Es finden sich bei Platen ähnliche Absichten und ähnliche Mittel,
dieselben zu erreichen, wie bei Anstophanes; er hat den attischen Chor, die
attische Parabase herübergenommen; seine Verse, seine Ausdrücke, seine Wort¬
bildungen und Witze, das alles weist auf die ätherische Quelle hin. Den
Ausschlag aber gibt der Umstand, daß sich Platen selber als Nachahmer des
Anstophanes bezeichnet. An G. Schwab schreibt er nach Vollendung der
Verhängnißvollen Gabel: "In dieser Komödie hoffe ich nach langen Pfusche¬
reien mein Meisterstück abgelegt zu haben und in die Zunft der Unsterblichen
einzugehen. Von diesen Lustspielen hat, außer in Griechenland nie eins eri-
stirt. Die aristophanische Komödie ist mir als die einzig wahre erschienen,
aber ich habe sie unserer Bühne vollkommen modificirt." Und am Schluß
eben jenes Stücks legt er dem Juden schaust die Worte in den Mund:


"Liebhaber jedoch, gern werden sie mir's anhören, und gern es in Lettern
Anschauen sofort, auch würden sie gern es vernehmen herab von den Brettern;
Laut heisesten sie denn, mit HeroldSruf, noch Weise der alten Thesiden-
Es erscheine der Chor, er erscheine der Chor des geliebten Aristo phanidcu!

Sonach ist es begreiflich, wie alle Welt von den in Rede stehenden
Stücken als Aristophanischen spricht; es ist aber auch erlaubt, ja geboten,
dieselben mit Aristophanischem Maßstabe zu messen.

Will man die alte attische Komödie mit einem Worte charakterisiren, so
muß man sie politische Komödie nennen. Aus dem staatlichen Leben zieht
sie ihre meiste und beste Nahrung, und für die Öffentlichkeit wirkt sie aus
allen Kräften. Die brennendsten Fragen weiß sie mit glücklichem Griff zu
erfassen, und immer versteht sie es, ihnen die für ihre Zwecke geeigneten Seiten
abzugewinnen. Da ist keine Staatsaffaire von einiger Bedeutung, die sie
nicht mit allem Freimuth discutirte. kein Politiker, kein Feldherr, kein Red¬
ner entgeht ihrer beißenden Satire, wenn er gethan hat, was Gelegenheit
zum Spotte bietet, kein Amt, keine Würde schützt vor ihren sicher treffenden
Pfeilen. Die Quelle aber dieser heftigen Opposition gegen ganze Zeitrich¬
tungen und ihre vielvermögenden Träger ist ein warmer Patriotismus.

Wenn Anstophanes den Krieg bekämpft und dem Frieden das Wort
redet, wenn er mit den Demagogen auf Leben und Tod ringt, wenn er seinem
Volke immer wieder den Spiegel vorhält, in dem es sein eignes Bild, aber
in gräulicher Verzerrung erblicken muß, wenn er auf die Tage der Väter,
der Marathonskämpfer, als auf das goldene Zeitalter zurückweist, so thut er das
alles aus tiefinniger Liebe zu seinem armen, dem Verderben melkenden Volke.


Mühe werth sein, Planen noch einmal als Aristophaniden zu betrachten. Doch
hat man hierzu ein Recht? Tritt man Platen nicht zu nahe, wenn man an
seine Werke einen Maßstab legt, der von den Werken eines so genialen Dich¬
ters, wie Anstophanes ist, genommen wird? Nein, man ist befugt zu diesem
Schritte. Es finden sich bei Platen ähnliche Absichten und ähnliche Mittel,
dieselben zu erreichen, wie bei Anstophanes; er hat den attischen Chor, die
attische Parabase herübergenommen; seine Verse, seine Ausdrücke, seine Wort¬
bildungen und Witze, das alles weist auf die ätherische Quelle hin. Den
Ausschlag aber gibt der Umstand, daß sich Platen selber als Nachahmer des
Anstophanes bezeichnet. An G. Schwab schreibt er nach Vollendung der
Verhängnißvollen Gabel: „In dieser Komödie hoffe ich nach langen Pfusche¬
reien mein Meisterstück abgelegt zu haben und in die Zunft der Unsterblichen
einzugehen. Von diesen Lustspielen hat, außer in Griechenland nie eins eri-
stirt. Die aristophanische Komödie ist mir als die einzig wahre erschienen,
aber ich habe sie unserer Bühne vollkommen modificirt." Und am Schluß
eben jenes Stücks legt er dem Juden schaust die Worte in den Mund:


„Liebhaber jedoch, gern werden sie mir's anhören, und gern es in Lettern
Anschauen sofort, auch würden sie gern es vernehmen herab von den Brettern;
Laut heisesten sie denn, mit HeroldSruf, noch Weise der alten Thesiden-
Es erscheine der Chor, er erscheine der Chor des geliebten Aristo phanidcu!

Sonach ist es begreiflich, wie alle Welt von den in Rede stehenden
Stücken als Aristophanischen spricht; es ist aber auch erlaubt, ja geboten,
dieselben mit Aristophanischem Maßstabe zu messen.

Will man die alte attische Komödie mit einem Worte charakterisiren, so
muß man sie politische Komödie nennen. Aus dem staatlichen Leben zieht
sie ihre meiste und beste Nahrung, und für die Öffentlichkeit wirkt sie aus
allen Kräften. Die brennendsten Fragen weiß sie mit glücklichem Griff zu
erfassen, und immer versteht sie es, ihnen die für ihre Zwecke geeigneten Seiten
abzugewinnen. Da ist keine Staatsaffaire von einiger Bedeutung, die sie
nicht mit allem Freimuth discutirte. kein Politiker, kein Feldherr, kein Red¬
ner entgeht ihrer beißenden Satire, wenn er gethan hat, was Gelegenheit
zum Spotte bietet, kein Amt, keine Würde schützt vor ihren sicher treffenden
Pfeilen. Die Quelle aber dieser heftigen Opposition gegen ganze Zeitrich¬
tungen und ihre vielvermögenden Träger ist ein warmer Patriotismus.

Wenn Anstophanes den Krieg bekämpft und dem Frieden das Wort
redet, wenn er mit den Demagogen auf Leben und Tod ringt, wenn er seinem
Volke immer wieder den Spiegel vorhält, in dem es sein eignes Bild, aber
in gräulicher Verzerrung erblicken muß, wenn er auf die Tage der Väter,
der Marathonskämpfer, als auf das goldene Zeitalter zurückweist, so thut er das
alles aus tiefinniger Liebe zu seinem armen, dem Verderben melkenden Volke.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/211>, abgerufen am 13.06.2024.