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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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so wurde die Sache wenigstens, freilich nicht ganz correct, angesehen, mittelst
der Wahl zwischen dem geistlichen und bürgerlichen Standesbeamten in ge¬
wissen Bezirken die bürgerliche Eheschließung fakultativ geworden. Man
kann wenigstens so viel zugeben, daß die bürgerliche Form der Eheschließung
bei der Vollziehung durch einen geistlichen Standesbeamten für das Bewußt¬
sein mancher Brautleute etwas von ihrer Erkennbarkeit verlieren kann. Um
nun diesem angeblichen Uebelstand zu entgehen, wurde von einer freiwillig zu¬
sammengetretenen Commission der Antrag gestellt, daß die Regierung zwar
auch Geistliche zu Standesbeamten ernennen dürfe, dann aber jedes Mal als
die einzigen Standesbeamten in dem betreffenden Amtsbezirk. In dieser
Form wurde der betreffende Paragraph dann bei der dritten Lesung wiederum
angenommen und ein Antrag der Fortschrittspartei, welcher die Ernennung
der Geistlichen zu Standesbeamten verbieten wollte, mit einer Majorität von
29 Stimmen abgelehnt. Die technischen Einzelheiten des Gesetzes interessiren
uns weiter nicht.

In der Sitzung am 16. Januar kam eine ultramontane Jnterpellation
zur Berathung, wegen angeblicher Verkümmerung der ultramontanen Wahl¬
freiheit seitens der Regierung im Regierungsbezirk Düsseldorf. Der Gegen¬
stand an sich bedarf keines Eingehens. In der Verhandlung aber zog der
hinlänglich bekannte, um nicht ein anderes Wort zu gebrauchen, ultramon¬
tane Führer v. Mallinckrodt die Gelegenheit bei den Haaren herbei, den ab¬
wesenden Ministerpräsidenten auf Grund des hinlänglich gewürdigten Buches
des Generals Lamarmora der Absicht zu bezüchtigen, ein Stück der Rhein¬
provinz im Jahre 1866 haben an Frankreich ausliefern zu wollen. Es war
eine plumpe, ungeschickte und verspätete Rache für das: .sappeUeM un cual
nu cual . . ., welches Herr v. Mallinckrodt im vorjährigen Sommer von dem
Fürsten Bismarck hinnehmen mußte. Ich bekenne ohne Anstand, daß ich
gewünscht hätte, der Ministerpräsident, dem dieser Angriff in sein Arbeits¬
zimmer berichtet wurde, wäre nicht im Hause erschienen, um zu antworten.
Es wird der ewige Ruhm des Fürsten Bismarck bleiben, daß er in der schwie¬
rigsten Lage nicht ein deutsches Kleefeld, auch nicht vorübergehend, an Frank¬
reich abgetreten hat. Man kann die ganze Geschichte der Staaten vergeblich
nach dem Staatsmann durchsuchen, der in gleicher Lage Gleiches vermocht
hätte. Was kann da die thersiteische Beschuldigung verschlagen, der Fürst
sei bereit gewesen, deutschen Boden wegzugeben? Wir wünschten, Thersites
wäre von anderer Hand als der des Fürsten gezüchtigt worden, wenn die
Züchtigung in diesem Fall überhaupt nöthig war. Denn wo die Albernheit
größer ist als die Bosheit, kann man der letzteren die Straflosigkeit der ersteren
vergönnen. Indeß der Fürst erschien und erklärte die Erzählung des Generals
Govone, dessen Bericht Lamarmora mittheilt, wonach der Fürst das Gebiet


so wurde die Sache wenigstens, freilich nicht ganz correct, angesehen, mittelst
der Wahl zwischen dem geistlichen und bürgerlichen Standesbeamten in ge¬
wissen Bezirken die bürgerliche Eheschließung fakultativ geworden. Man
kann wenigstens so viel zugeben, daß die bürgerliche Form der Eheschließung
bei der Vollziehung durch einen geistlichen Standesbeamten für das Bewußt¬
sein mancher Brautleute etwas von ihrer Erkennbarkeit verlieren kann. Um
nun diesem angeblichen Uebelstand zu entgehen, wurde von einer freiwillig zu¬
sammengetretenen Commission der Antrag gestellt, daß die Regierung zwar
auch Geistliche zu Standesbeamten ernennen dürfe, dann aber jedes Mal als
die einzigen Standesbeamten in dem betreffenden Amtsbezirk. In dieser
Form wurde der betreffende Paragraph dann bei der dritten Lesung wiederum
angenommen und ein Antrag der Fortschrittspartei, welcher die Ernennung
der Geistlichen zu Standesbeamten verbieten wollte, mit einer Majorität von
29 Stimmen abgelehnt. Die technischen Einzelheiten des Gesetzes interessiren
uns weiter nicht.

In der Sitzung am 16. Januar kam eine ultramontane Jnterpellation
zur Berathung, wegen angeblicher Verkümmerung der ultramontanen Wahl¬
freiheit seitens der Regierung im Regierungsbezirk Düsseldorf. Der Gegen¬
stand an sich bedarf keines Eingehens. In der Verhandlung aber zog der
hinlänglich bekannte, um nicht ein anderes Wort zu gebrauchen, ultramon¬
tane Führer v. Mallinckrodt die Gelegenheit bei den Haaren herbei, den ab¬
wesenden Ministerpräsidenten auf Grund des hinlänglich gewürdigten Buches
des Generals Lamarmora der Absicht zu bezüchtigen, ein Stück der Rhein¬
provinz im Jahre 1866 haben an Frankreich ausliefern zu wollen. Es war
eine plumpe, ungeschickte und verspätete Rache für das: .sappeUeM un cual
nu cual . . ., welches Herr v. Mallinckrodt im vorjährigen Sommer von dem
Fürsten Bismarck hinnehmen mußte. Ich bekenne ohne Anstand, daß ich
gewünscht hätte, der Ministerpräsident, dem dieser Angriff in sein Arbeits¬
zimmer berichtet wurde, wäre nicht im Hause erschienen, um zu antworten.
Es wird der ewige Ruhm des Fürsten Bismarck bleiben, daß er in der schwie¬
rigsten Lage nicht ein deutsches Kleefeld, auch nicht vorübergehend, an Frank¬
reich abgetreten hat. Man kann die ganze Geschichte der Staaten vergeblich
nach dem Staatsmann durchsuchen, der in gleicher Lage Gleiches vermocht
hätte. Was kann da die thersiteische Beschuldigung verschlagen, der Fürst
sei bereit gewesen, deutschen Boden wegzugeben? Wir wünschten, Thersites
wäre von anderer Hand als der des Fürsten gezüchtigt worden, wenn die
Züchtigung in diesem Fall überhaupt nöthig war. Denn wo die Albernheit
größer ist als die Bosheit, kann man der letzteren die Straflosigkeit der ersteren
vergönnen. Indeß der Fürst erschien und erklärte die Erzählung des Generals
Govone, dessen Bericht Lamarmora mittheilt, wonach der Fürst das Gebiet


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[0154] so wurde die Sache wenigstens, freilich nicht ganz correct, angesehen, mittelst der Wahl zwischen dem geistlichen und bürgerlichen Standesbeamten in ge¬ wissen Bezirken die bürgerliche Eheschließung fakultativ geworden. Man kann wenigstens so viel zugeben, daß die bürgerliche Form der Eheschließung bei der Vollziehung durch einen geistlichen Standesbeamten für das Bewußt¬ sein mancher Brautleute etwas von ihrer Erkennbarkeit verlieren kann. Um nun diesem angeblichen Uebelstand zu entgehen, wurde von einer freiwillig zu¬ sammengetretenen Commission der Antrag gestellt, daß die Regierung zwar auch Geistliche zu Standesbeamten ernennen dürfe, dann aber jedes Mal als die einzigen Standesbeamten in dem betreffenden Amtsbezirk. In dieser Form wurde der betreffende Paragraph dann bei der dritten Lesung wiederum angenommen und ein Antrag der Fortschrittspartei, welcher die Ernennung der Geistlichen zu Standesbeamten verbieten wollte, mit einer Majorität von 29 Stimmen abgelehnt. Die technischen Einzelheiten des Gesetzes interessiren uns weiter nicht. In der Sitzung am 16. Januar kam eine ultramontane Jnterpellation zur Berathung, wegen angeblicher Verkümmerung der ultramontanen Wahl¬ freiheit seitens der Regierung im Regierungsbezirk Düsseldorf. Der Gegen¬ stand an sich bedarf keines Eingehens. In der Verhandlung aber zog der hinlänglich bekannte, um nicht ein anderes Wort zu gebrauchen, ultramon¬ tane Führer v. Mallinckrodt die Gelegenheit bei den Haaren herbei, den ab¬ wesenden Ministerpräsidenten auf Grund des hinlänglich gewürdigten Buches des Generals Lamarmora der Absicht zu bezüchtigen, ein Stück der Rhein¬ provinz im Jahre 1866 haben an Frankreich ausliefern zu wollen. Es war eine plumpe, ungeschickte und verspätete Rache für das: .sappeUeM un cual nu cual . . ., welches Herr v. Mallinckrodt im vorjährigen Sommer von dem Fürsten Bismarck hinnehmen mußte. Ich bekenne ohne Anstand, daß ich gewünscht hätte, der Ministerpräsident, dem dieser Angriff in sein Arbeits¬ zimmer berichtet wurde, wäre nicht im Hause erschienen, um zu antworten. Es wird der ewige Ruhm des Fürsten Bismarck bleiben, daß er in der schwie¬ rigsten Lage nicht ein deutsches Kleefeld, auch nicht vorübergehend, an Frank¬ reich abgetreten hat. Man kann die ganze Geschichte der Staaten vergeblich nach dem Staatsmann durchsuchen, der in gleicher Lage Gleiches vermocht hätte. Was kann da die thersiteische Beschuldigung verschlagen, der Fürst sei bereit gewesen, deutschen Boden wegzugeben? Wir wünschten, Thersites wäre von anderer Hand als der des Fürsten gezüchtigt worden, wenn die Züchtigung in diesem Fall überhaupt nöthig war. Denn wo die Albernheit größer ist als die Bosheit, kann man der letzteren die Straflosigkeit der ersteren vergönnen. Indeß der Fürst erschien und erklärte die Erzählung des Generals Govone, dessen Bericht Lamarmora mittheilt, wonach der Fürst das Gebiet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/154>, abgerufen am 26.05.2024.