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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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herein nicht einen B u n d es g en o sser, sondern einen Schutzherrn gegeben,
mit dessen Beistand es nimmermehr hoffen durfte, eine wirklich selbständige
italienische Nationalmacht zu gründen.

Zu den heftigsten Gegnern des Nationalvereins gehörte Mazzini. der
unter der Herrschaft der fixen Idee eines republikanischen Bundesstaats Ita¬
lien lieber in seinem bisherigen Elend verkommen, als unter monarchischer Re¬
gierung geeinigt sehen wollte und alle Ränke seines erfinderischen Geistes
spielen ließ, um die Bestrebungen Cavour's und seiner Anhänger zu durch¬
kreuzen. Ein von Mazzini in Genua 1857 angestifteter Aufstandsversuch
setzte die Turiner Politik zwar nicht in Gefahr, aber doch in augenblickliche
Verlegenheit und veranlaßte Ratazzi, der als Minister des Innern für den¬
selben verantwortlich gemacht wurde, zur Niederlegung seines Amtes, das Ca-
vour nun gleichfalls übernahm. Mazzini indessen blieb seiner vaterlandsmör¬
derischen Politik treu, auch nachdem sie von den Ereignissen bis ans Ende
lügengestraft war, und nachdem er mit aberwitziger Beharrlichkeit bis zu sei¬
ner letzten Stunde an der Zerstörung des werdenden Italien gearbeitet, haben
ihn die Italiener, "deren entschlossenen Realismus" man uns rühmt, wie
einen Nattonalheiligen zu Grabe getragen, um -- einen Namen mehr für
ihr patriotisches Pantheon zu erhalten.

Seitdem Cavour die beiden Ministerien des Auswärtigen und des Innern
in seinem Besitze hatte, war er der alleinige Herr der sardinischen Cabinets-
politik und errang er allmählig eine beinahe diktatorische Gewalt auch über
das Parlament, die er indessen gegen die kirchliche und Adelspartei mit un¬
gewohnter Schonung übte. Der König, von eigener Leidenschaft getrieben,
folgte dem Minister seines Vertrauens blindlings auf allen Wegen, die zum
Kriege führen konnten. Die Volksstimmung, von den höchsten Stellen her¬
unter, vom Parlamente aus, durch die Presse und den Nationalverein gleich¬
zeitig und unablässig angefacht, gerieth in Gluthitze, und die dritte Schilder¬
hebung gegen Oesterreich war in Aller Munde. Man konnte annehmen, daß
Cavour seiner Sache gewiß geworden sei und nur noch auf das Commando-
wort aus Paris warte, während er vielleicht mehr sagte und zu verstehen
gab, als er selber glaubte und wußte: als die im Januar 1858 von Orsini
gegen Napoleon geschleuderten Bomben seinen ganzen Plan in die Luft zu
sprengen drohte. Auch nachdem das Orsini'sche Attentat mißlungen war,
dessen Erfolg die italienischen Hoffnungen mit einem Schlage vernichtet haben
würde, blieb die für die Politik Cavour's entscheidende Frage-, welche Wirkung
der Mordversuch auf die Gesinnung und die Absichten des französischen
Kaisers hervorbringen werde, auf dessen Person der italienische Minister seinen
ganzen Entwurf gebaut hatte. Eben so möglich, daß Napoleon sich in Haß
und Rache von dem undankbaren Italien abwandte, als daß er sich durch


herein nicht einen B u n d es g en o sser, sondern einen Schutzherrn gegeben,
mit dessen Beistand es nimmermehr hoffen durfte, eine wirklich selbständige
italienische Nationalmacht zu gründen.

Zu den heftigsten Gegnern des Nationalvereins gehörte Mazzini. der
unter der Herrschaft der fixen Idee eines republikanischen Bundesstaats Ita¬
lien lieber in seinem bisherigen Elend verkommen, als unter monarchischer Re¬
gierung geeinigt sehen wollte und alle Ränke seines erfinderischen Geistes
spielen ließ, um die Bestrebungen Cavour's und seiner Anhänger zu durch¬
kreuzen. Ein von Mazzini in Genua 1857 angestifteter Aufstandsversuch
setzte die Turiner Politik zwar nicht in Gefahr, aber doch in augenblickliche
Verlegenheit und veranlaßte Ratazzi, der als Minister des Innern für den¬
selben verantwortlich gemacht wurde, zur Niederlegung seines Amtes, das Ca-
vour nun gleichfalls übernahm. Mazzini indessen blieb seiner vaterlandsmör¬
derischen Politik treu, auch nachdem sie von den Ereignissen bis ans Ende
lügengestraft war, und nachdem er mit aberwitziger Beharrlichkeit bis zu sei¬
ner letzten Stunde an der Zerstörung des werdenden Italien gearbeitet, haben
ihn die Italiener, „deren entschlossenen Realismus" man uns rühmt, wie
einen Nattonalheiligen zu Grabe getragen, um — einen Namen mehr für
ihr patriotisches Pantheon zu erhalten.

Seitdem Cavour die beiden Ministerien des Auswärtigen und des Innern
in seinem Besitze hatte, war er der alleinige Herr der sardinischen Cabinets-
politik und errang er allmählig eine beinahe diktatorische Gewalt auch über
das Parlament, die er indessen gegen die kirchliche und Adelspartei mit un¬
gewohnter Schonung übte. Der König, von eigener Leidenschaft getrieben,
folgte dem Minister seines Vertrauens blindlings auf allen Wegen, die zum
Kriege führen konnten. Die Volksstimmung, von den höchsten Stellen her¬
unter, vom Parlamente aus, durch die Presse und den Nationalverein gleich¬
zeitig und unablässig angefacht, gerieth in Gluthitze, und die dritte Schilder¬
hebung gegen Oesterreich war in Aller Munde. Man konnte annehmen, daß
Cavour seiner Sache gewiß geworden sei und nur noch auf das Commando-
wort aus Paris warte, während er vielleicht mehr sagte und zu verstehen
gab, als er selber glaubte und wußte: als die im Januar 1858 von Orsini
gegen Napoleon geschleuderten Bomben seinen ganzen Plan in die Luft zu
sprengen drohte. Auch nachdem das Orsini'sche Attentat mißlungen war,
dessen Erfolg die italienischen Hoffnungen mit einem Schlage vernichtet haben
würde, blieb die für die Politik Cavour's entscheidende Frage-, welche Wirkung
der Mordversuch auf die Gesinnung und die Absichten des französischen
Kaisers hervorbringen werde, auf dessen Person der italienische Minister seinen
ganzen Entwurf gebaut hatte. Eben so möglich, daß Napoleon sich in Haß
und Rache von dem undankbaren Italien abwandte, als daß er sich durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/193>, abgerufen am 06.06.2024.