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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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das angewendete Schreckmittel in dessen Dienste vorwärts treiben ließ Cavour
selbst und die ihm Nächststehenden fürchteten das Schlimmste und machten
sich darauf gefaßt, die große Aufgabe ihres Lebens verfehlt zu sehen.

Die Gefahr ging vorüber. Set es aus Großmuth oder aus Furcht,
Napoleon verzieh den Italienern die That Orsini's und den lauten und leisen
Beifall, mit welchem sie dieselbe begleitet, aber er verlangte von Cavour ge¬
bieterisch, durch die sardinische Gesetzgebung gegen den Wiederholungsfall
einigermaßen sichergestellt zu werden. Demgemäß brachte die Turiner Regie¬
rung einen Gesetzvorschlag in die Kammer, welcher das Leben auswärtiger
Fürsten unter den Schutz der strengsten Strafgesetze stellte, und die Belobung
des Fürstenmordes in der Presse vor ein nach den Vorschlägen einer besonderen
Behörde zusammengesetztes Geschworenengericht verwies. Dieses Ausnahmegesetz,
von Cavour selbst auf Kosten oft von ihm verfochtener Grundsätze und nicht
ohne Sophisterei vertheidigt, stieß auf leidenschaftlichen und triftigen Wider¬
spruch, aber es ging durch und die allmächtige Freundschaft des Mannes in
den Tuilerien war gerettet.

Das Vertrauensverhältniß Cavour's zu Napoleon wurde in den nächsten
Monaten sogar enger als je, während England sich mehr und mehr von
der Turiner Politik lossagte und sogar befürchten ließ, daß es nöthigen
Falles auch auf dem Schlachtfelds gegen dieselbe für Oesterreich Partei
nehmen werde.

Im Juli wurde der sardinische Minister zu einer geheimen Zusammen¬
kunft mit dem französischen Kaiser nach dem lothringischen Bade Plombiöres
berufen, wo der Plan des französisch-sardinischen Krieges gegen Oesterreich
unter vier Augen zum Abschluß kam. Die Abrede, wie man später erfuhr,
ging dahin, daß das österreichische Oberitalien bis an das adriatische Meer
sammt Modena und Parma für Sardinien erobert, Toscana dagegen fortbe¬
stehen und sogar auf Kosten des Kirchenstaats erweitert werden sollte; zugleich blieb
eine angemessene oder unangemessene Entschädigung Frankreichs für seinen Beistand
vorbehalten. "Wissen Sie," fragte Napoleon gelegentlich bei diesen Verhandlungen,
"daß es nur drei Männer in Europa giebt? Wir Beiden und ein Dritter, den ich
nicht nennen will." Und er nannte ihn nicht. -- Der Wunsch Cavour's,
auch die Schweiz in den Kampf hineinzuziehen, etwa durch den Versuch, Oester¬
reich zu einer Verletzung der schweizerischen Grenze zu verlocken, und zu dem
Zwecke einen Austausch von Tessin gegen ein Stück von Savoyen zu erwirken,
scheiterte an der Weigerung des französischen Kaisers, der Eidgenossenschaft
eine Schlinge zu stellen, in die sie doch nicht fallen werde.

Cavour betrachtete, besprach und behandelte den nahen Ausbruch des
Krieges von jetzt an als eine ausgemachte Sache, versuchte Toscana und Neapel
auf die Seite Sardiniens herüberzuziehen oder doch allermindestens zur ver-


das angewendete Schreckmittel in dessen Dienste vorwärts treiben ließ Cavour
selbst und die ihm Nächststehenden fürchteten das Schlimmste und machten
sich darauf gefaßt, die große Aufgabe ihres Lebens verfehlt zu sehen.

Die Gefahr ging vorüber. Set es aus Großmuth oder aus Furcht,
Napoleon verzieh den Italienern die That Orsini's und den lauten und leisen
Beifall, mit welchem sie dieselbe begleitet, aber er verlangte von Cavour ge¬
bieterisch, durch die sardinische Gesetzgebung gegen den Wiederholungsfall
einigermaßen sichergestellt zu werden. Demgemäß brachte die Turiner Regie¬
rung einen Gesetzvorschlag in die Kammer, welcher das Leben auswärtiger
Fürsten unter den Schutz der strengsten Strafgesetze stellte, und die Belobung
des Fürstenmordes in der Presse vor ein nach den Vorschlägen einer besonderen
Behörde zusammengesetztes Geschworenengericht verwies. Dieses Ausnahmegesetz,
von Cavour selbst auf Kosten oft von ihm verfochtener Grundsätze und nicht
ohne Sophisterei vertheidigt, stieß auf leidenschaftlichen und triftigen Wider¬
spruch, aber es ging durch und die allmächtige Freundschaft des Mannes in
den Tuilerien war gerettet.

Das Vertrauensverhältniß Cavour's zu Napoleon wurde in den nächsten
Monaten sogar enger als je, während England sich mehr und mehr von
der Turiner Politik lossagte und sogar befürchten ließ, daß es nöthigen
Falles auch auf dem Schlachtfelds gegen dieselbe für Oesterreich Partei
nehmen werde.

Im Juli wurde der sardinische Minister zu einer geheimen Zusammen¬
kunft mit dem französischen Kaiser nach dem lothringischen Bade Plombiöres
berufen, wo der Plan des französisch-sardinischen Krieges gegen Oesterreich
unter vier Augen zum Abschluß kam. Die Abrede, wie man später erfuhr,
ging dahin, daß das österreichische Oberitalien bis an das adriatische Meer
sammt Modena und Parma für Sardinien erobert, Toscana dagegen fortbe¬
stehen und sogar auf Kosten des Kirchenstaats erweitert werden sollte; zugleich blieb
eine angemessene oder unangemessene Entschädigung Frankreichs für seinen Beistand
vorbehalten. „Wissen Sie," fragte Napoleon gelegentlich bei diesen Verhandlungen,
„daß es nur drei Männer in Europa giebt? Wir Beiden und ein Dritter, den ich
nicht nennen will." Und er nannte ihn nicht. — Der Wunsch Cavour's,
auch die Schweiz in den Kampf hineinzuziehen, etwa durch den Versuch, Oester¬
reich zu einer Verletzung der schweizerischen Grenze zu verlocken, und zu dem
Zwecke einen Austausch von Tessin gegen ein Stück von Savoyen zu erwirken,
scheiterte an der Weigerung des französischen Kaisers, der Eidgenossenschaft
eine Schlinge zu stellen, in die sie doch nicht fallen werde.

Cavour betrachtete, besprach und behandelte den nahen Ausbruch des
Krieges von jetzt an als eine ausgemachte Sache, versuchte Toscana und Neapel
auf die Seite Sardiniens herüberzuziehen oder doch allermindestens zur ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/194>, abgerufen am 06.06.2024.