Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

her, wider den "Hosenteufel" zu Felde ziehn zu sehn, wenn wir lesen, daß
ein Stutzer des 16. Jahrhunderts nicht weniger als 40 Ellen niederländisches
Tuch zu seinen Beinkleidern gebrauchte.*)

Eine eigenthümliche Sitte, die eine gewisse symbolische Bedeutung be¬
kommen zu haben scheint, war das Kniegürtellüften, das man, um leichter
steigen zu können, beim Sturm auf hochliegende Positionen vornahm.
Brantome erzählt in seinen Memoiren sehr entrüstet, wie eS ein deutscher
Kapitain Bruno in keckem Uebermuth gewagt habe, sogar im Saal des
Louvre mit gelüfteten Kniegürtel, also mit nackter Wade zu erscheinen, und
man möchte zwischen den Zeilen lesen, daß jener Kapitain eben auch den Sturm
auf irgend eine hohe Position im Louvre zu wagen entschlossen war.

Zur Hebung des deutschen Waffenwesens im 16. Jahrhundert und des
Soldatenstandes trug nicht wenig Luther's Poesie und Weltansicht bei.
Die Zweifel eines frommen Hauptmanns über den Stand eines Soldaten
beschied er in einer Zuschrift dahin: "Waffengewalt in gerechter Sache, nicht
des Angriffs oder des Raubes halber, sondern in ehrlicher Nothwehr, ist vor
Gott statthaft."

Um jedoch das Bild des deutschen Kriegswesens im Jahrhundert der
Kirchenverbesserung nicht in zu hellen Farben zu zeichnen, dürfen wir doch
auch die finsteren Flecken, die mannigfachen Mängel und Gebrechen und die
betrübenden Folgen desselben für das damalige Geschlecht nicht vergessen.
Gewinnsucht, Gesinnungslosigkeit, Gewaltthat, Prasser, Meuterei und sittliche
Verwilderung, Zügellosigkeit aller Art konnten den Truppen, welche von
einem Dienst zum andern, von einem Lande ins andere ruhlos wanderten,
von Haus aus nicht fremd bleiben. Graf Wilhelm's von Fürstenberg Regi¬
menter waren in Frankreich, wenn auch nicht immer mit Recht, als Brenner
berüchtigt; andere Haufen verweigerten oft grade bei dem entscheidenden Unter¬
nehmen vor der Soldzahlung ihren Dienst, ja forderten meuterisch auch unver¬
dienten Sturmsold, wie das Bayard im Jahre 1521 vor Pampelona und
Kurfürst Moritz von Sachsen im drangvollsten Augenblicke erfuhr (1552).
Wie viel List und Mühe kostete es dem spanischen Befehlshaber in Pavia
(1524-25) die unbezahlten Fähnlein fest zu halten! -- Den kaufmännischen
Gesichtspunkt kannte zwar ein Frundsberg nie, doch nur zu häufig selbst
Sebastian Schärtlin. sogenanntes "Finanziren", Betrugskünste bei Muste¬
rungen, um UnVollzähligkeit und mangelhafte Bewaffnung zu verdecken, kamen be¬
sonders unter der Reichsfahne vor; und Spuren so schnöder Gewinnsucht
blieben ja auch in den modernsten Kriegsstaaten, so lange das Werben durch
Offiziere fortdauerte. -- Oberste, Hauptleute und gemeine Knechte liebten in



') Major Graf Kcmij-u Aus dem deutschen Soldatenleben. Berlin 18"U,

her, wider den „Hosenteufel" zu Felde ziehn zu sehn, wenn wir lesen, daß
ein Stutzer des 16. Jahrhunderts nicht weniger als 40 Ellen niederländisches
Tuch zu seinen Beinkleidern gebrauchte.*)

Eine eigenthümliche Sitte, die eine gewisse symbolische Bedeutung be¬
kommen zu haben scheint, war das Kniegürtellüften, das man, um leichter
steigen zu können, beim Sturm auf hochliegende Positionen vornahm.
Brantome erzählt in seinen Memoiren sehr entrüstet, wie eS ein deutscher
Kapitain Bruno in keckem Uebermuth gewagt habe, sogar im Saal des
Louvre mit gelüfteten Kniegürtel, also mit nackter Wade zu erscheinen, und
man möchte zwischen den Zeilen lesen, daß jener Kapitain eben auch den Sturm
auf irgend eine hohe Position im Louvre zu wagen entschlossen war.

Zur Hebung des deutschen Waffenwesens im 16. Jahrhundert und des
Soldatenstandes trug nicht wenig Luther's Poesie und Weltansicht bei.
Die Zweifel eines frommen Hauptmanns über den Stand eines Soldaten
beschied er in einer Zuschrift dahin: „Waffengewalt in gerechter Sache, nicht
des Angriffs oder des Raubes halber, sondern in ehrlicher Nothwehr, ist vor
Gott statthaft."

Um jedoch das Bild des deutschen Kriegswesens im Jahrhundert der
Kirchenverbesserung nicht in zu hellen Farben zu zeichnen, dürfen wir doch
auch die finsteren Flecken, die mannigfachen Mängel und Gebrechen und die
betrübenden Folgen desselben für das damalige Geschlecht nicht vergessen.
Gewinnsucht, Gesinnungslosigkeit, Gewaltthat, Prasser, Meuterei und sittliche
Verwilderung, Zügellosigkeit aller Art konnten den Truppen, welche von
einem Dienst zum andern, von einem Lande ins andere ruhlos wanderten,
von Haus aus nicht fremd bleiben. Graf Wilhelm's von Fürstenberg Regi¬
menter waren in Frankreich, wenn auch nicht immer mit Recht, als Brenner
berüchtigt; andere Haufen verweigerten oft grade bei dem entscheidenden Unter¬
nehmen vor der Soldzahlung ihren Dienst, ja forderten meuterisch auch unver¬
dienten Sturmsold, wie das Bayard im Jahre 1521 vor Pampelona und
Kurfürst Moritz von Sachsen im drangvollsten Augenblicke erfuhr (1552).
Wie viel List und Mühe kostete es dem spanischen Befehlshaber in Pavia
(1524-25) die unbezahlten Fähnlein fest zu halten! — Den kaufmännischen
Gesichtspunkt kannte zwar ein Frundsberg nie, doch nur zu häufig selbst
Sebastian Schärtlin. sogenanntes „Finanziren", Betrugskünste bei Muste¬
rungen, um UnVollzähligkeit und mangelhafte Bewaffnung zu verdecken, kamen be¬
sonders unter der Reichsfahne vor; und Spuren so schnöder Gewinnsucht
blieben ja auch in den modernsten Kriegsstaaten, so lange das Werben durch
Offiziere fortdauerte. — Oberste, Hauptleute und gemeine Knechte liebten in



') Major Graf Kcmij-u Aus dem deutschen Soldatenleben. Berlin 18«U,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130664"/>
          <p xml:id="ID_43" prev="#ID_42"> her, wider den &#x201E;Hosenteufel" zu Felde ziehn zu sehn, wenn wir lesen, daß<lb/>
ein Stutzer des 16. Jahrhunderts nicht weniger als 40 Ellen niederländisches<lb/>
Tuch zu seinen Beinkleidern gebrauchte.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_44"> Eine eigenthümliche Sitte, die eine gewisse symbolische Bedeutung be¬<lb/>
kommen zu haben scheint, war das Kniegürtellüften, das man, um leichter<lb/>
steigen zu können, beim Sturm auf hochliegende Positionen vornahm.<lb/>
Brantome erzählt in seinen Memoiren sehr entrüstet, wie eS ein deutscher<lb/>
Kapitain Bruno in keckem Uebermuth gewagt habe, sogar im Saal des<lb/>
Louvre mit gelüfteten Kniegürtel, also mit nackter Wade zu erscheinen, und<lb/>
man möchte zwischen den Zeilen lesen, daß jener Kapitain eben auch den Sturm<lb/>
auf irgend eine hohe Position im Louvre zu wagen entschlossen war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_45"> Zur Hebung des deutschen Waffenwesens im 16. Jahrhundert und des<lb/>
Soldatenstandes trug nicht wenig Luther's Poesie und Weltansicht bei.<lb/>
Die Zweifel eines frommen Hauptmanns über den Stand eines Soldaten<lb/>
beschied er in einer Zuschrift dahin: &#x201E;Waffengewalt in gerechter Sache, nicht<lb/>
des Angriffs oder des Raubes halber, sondern in ehrlicher Nothwehr, ist vor<lb/>
Gott statthaft."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_46" next="#ID_47"> Um jedoch das Bild des deutschen Kriegswesens im Jahrhundert der<lb/>
Kirchenverbesserung nicht in zu hellen Farben zu zeichnen, dürfen wir doch<lb/>
auch die finsteren Flecken, die mannigfachen Mängel und Gebrechen und die<lb/>
betrübenden Folgen desselben für das damalige Geschlecht nicht vergessen.<lb/>
Gewinnsucht, Gesinnungslosigkeit, Gewaltthat, Prasser, Meuterei und sittliche<lb/>
Verwilderung, Zügellosigkeit aller Art konnten den Truppen, welche von<lb/>
einem Dienst zum andern, von einem Lande ins andere ruhlos wanderten,<lb/>
von Haus aus nicht fremd bleiben. Graf Wilhelm's von Fürstenberg Regi¬<lb/>
menter waren in Frankreich, wenn auch nicht immer mit Recht, als Brenner<lb/>
berüchtigt; andere Haufen verweigerten oft grade bei dem entscheidenden Unter¬<lb/>
nehmen vor der Soldzahlung ihren Dienst, ja forderten meuterisch auch unver¬<lb/>
dienten Sturmsold, wie das Bayard im Jahre 1521 vor Pampelona und<lb/>
Kurfürst Moritz von Sachsen im drangvollsten Augenblicke erfuhr (1552).<lb/>
Wie viel List und Mühe kostete es dem spanischen Befehlshaber in Pavia<lb/>
(1524-25) die unbezahlten Fähnlein fest zu halten! &#x2014; Den kaufmännischen<lb/>
Gesichtspunkt kannte zwar ein Frundsberg nie, doch nur zu häufig selbst<lb/>
Sebastian Schärtlin. sogenanntes &#x201E;Finanziren", Betrugskünste bei Muste¬<lb/>
rungen, um UnVollzähligkeit und mangelhafte Bewaffnung zu verdecken, kamen be¬<lb/>
sonders unter der Reichsfahne vor; und Spuren so schnöder Gewinnsucht<lb/>
blieben ja auch in den modernsten Kriegsstaaten, so lange das Werben durch<lb/>
Offiziere fortdauerte. &#x2014; Oberste, Hauptleute und gemeine Knechte liebten in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_8" place="foot"> ') Major Graf Kcmij-u Aus dem deutschen Soldatenleben. Berlin 18«U,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] her, wider den „Hosenteufel" zu Felde ziehn zu sehn, wenn wir lesen, daß ein Stutzer des 16. Jahrhunderts nicht weniger als 40 Ellen niederländisches Tuch zu seinen Beinkleidern gebrauchte.*) Eine eigenthümliche Sitte, die eine gewisse symbolische Bedeutung be¬ kommen zu haben scheint, war das Kniegürtellüften, das man, um leichter steigen zu können, beim Sturm auf hochliegende Positionen vornahm. Brantome erzählt in seinen Memoiren sehr entrüstet, wie eS ein deutscher Kapitain Bruno in keckem Uebermuth gewagt habe, sogar im Saal des Louvre mit gelüfteten Kniegürtel, also mit nackter Wade zu erscheinen, und man möchte zwischen den Zeilen lesen, daß jener Kapitain eben auch den Sturm auf irgend eine hohe Position im Louvre zu wagen entschlossen war. Zur Hebung des deutschen Waffenwesens im 16. Jahrhundert und des Soldatenstandes trug nicht wenig Luther's Poesie und Weltansicht bei. Die Zweifel eines frommen Hauptmanns über den Stand eines Soldaten beschied er in einer Zuschrift dahin: „Waffengewalt in gerechter Sache, nicht des Angriffs oder des Raubes halber, sondern in ehrlicher Nothwehr, ist vor Gott statthaft." Um jedoch das Bild des deutschen Kriegswesens im Jahrhundert der Kirchenverbesserung nicht in zu hellen Farben zu zeichnen, dürfen wir doch auch die finsteren Flecken, die mannigfachen Mängel und Gebrechen und die betrübenden Folgen desselben für das damalige Geschlecht nicht vergessen. Gewinnsucht, Gesinnungslosigkeit, Gewaltthat, Prasser, Meuterei und sittliche Verwilderung, Zügellosigkeit aller Art konnten den Truppen, welche von einem Dienst zum andern, von einem Lande ins andere ruhlos wanderten, von Haus aus nicht fremd bleiben. Graf Wilhelm's von Fürstenberg Regi¬ menter waren in Frankreich, wenn auch nicht immer mit Recht, als Brenner berüchtigt; andere Haufen verweigerten oft grade bei dem entscheidenden Unter¬ nehmen vor der Soldzahlung ihren Dienst, ja forderten meuterisch auch unver¬ dienten Sturmsold, wie das Bayard im Jahre 1521 vor Pampelona und Kurfürst Moritz von Sachsen im drangvollsten Augenblicke erfuhr (1552). Wie viel List und Mühe kostete es dem spanischen Befehlshaber in Pavia (1524-25) die unbezahlten Fähnlein fest zu halten! — Den kaufmännischen Gesichtspunkt kannte zwar ein Frundsberg nie, doch nur zu häufig selbst Sebastian Schärtlin. sogenanntes „Finanziren", Betrugskünste bei Muste¬ rungen, um UnVollzähligkeit und mangelhafte Bewaffnung zu verdecken, kamen be¬ sonders unter der Reichsfahne vor; und Spuren so schnöder Gewinnsucht blieben ja auch in den modernsten Kriegsstaaten, so lange das Werben durch Offiziere fortdauerte. — Oberste, Hauptleute und gemeine Knechte liebten in ') Major Graf Kcmij-u Aus dem deutschen Soldatenleben. Berlin 18«U,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/20
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/20>, abgerufen am 12.05.2024.