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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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leiten bürdete sich Wagner dadurch auf! Der Treue des Mädchens muß doch
natürlicher Weise die Liebe vorausgehn. Wie aber soll Scuta zu dem ge¬
spenstischen Fremdling Liebe fassen? Muß sie sich nicht abgestoßen fühlen von
dem kalten Egoismus, der dem Holländer so natürlich ist? Heine, der immer
feinsinnige, geistreiche, hat das gefühlt; wer das betreffende Capitel bei ihm
nachlesen will, wird mit einer Art von Bewunderung sehen, wie geschickt er
sich aus der Schlinge gezogen. Wagner aber -- man muß es schon
sagen -- fühlt sich in der Schlinge ganz wohl. Daß Scuta keine Liebe em¬
pfinden kann, beunruhigt ihn wenig. Er giebt ihr dafür ein unsägliches
Mitleid mit dem Holländer, und läßt sie aus Mitleid für ihn sterben. Es
bleibe nun unerörtert, ob ein solches Opfer natürlich ist. Auf alle Fälle aber
muß gefordert werden, daß das Mädchen die so hoch gepriesene Treue auch
wirklich halte. Und nun erinnere sich der Leser recht genau! Sehr selbstbe¬
wußt und keineswegs weiblich hatte Scuta sich gerühmt:


In meines Busens höchster Reine
Fühl ich der Treue Hochgebot
Wem ich sie weih', schenk' ich die Eine,
Die Treue bis zum Tod!

Da tritt (III, 2) ihr verlassener Bräutigam Erik zu ihr; er will es
nicht dulden, daß sie sich dem unheimlichen Gaste vermähle; und schließlich
erinnert er sie, daß er -- ältere Rechte habe:


Als sich Dein Arm um meinen Nacken schlang,
Gestandest Du mir Liebe nicht aufs neu?
Was bei der Hände Druck mich hehr durchdrang,
Sag, war's nicht die Verstchrung Deiner Treu?

Diese Worte hat der Holländer gehört; er verzweifelt! "Ewig Verlornes
Heil!" Er stürzt auf sein Schiff und will abfahren; Scuta, die bereits einem
Manne die Treue gebrochen, will er nicht zum zweiten Eidbruch verleiten.
Da will sie nach, und um mit ihm vereint zu sein, stürzt sie sich ins Meer.
Apotheose des Holländers und der Scuta.

Nun rathe man hin und her: was ist eigentlich der Gedanke des Stückes?
Ein treuloses Weib hält Jemandem die Treue. Aber Jemandem, dem sie
gar nicht dazu verpflichtet ist. Und auf die sonderbarste Weise! Was hat
Scuta's Sprung ins Meer eigentlich mit ihrer Treue zu thun? Der Holländer
soll durch die Treue eines Mädchens gerettet werden, das heißt doch, dieses
Mädchen soll mit eigener Aufopferung (also mit einer Spur von Ueberwindung)
irgend eine schwierige That für ihn vollbringen. Hier aber will der Holländer
diese That gar nicht, und der Scuta kostet sie nicht die mindeste Ueberwin¬
dung. Wahrlich, wenn Jemand Wagner persistiren wollte, dieser Holländer,
der ganz gegen seinen Willen und mit Gewalt erlöst wird; diese Scuta, die,


leiten bürdete sich Wagner dadurch auf! Der Treue des Mädchens muß doch
natürlicher Weise die Liebe vorausgehn. Wie aber soll Scuta zu dem ge¬
spenstischen Fremdling Liebe fassen? Muß sie sich nicht abgestoßen fühlen von
dem kalten Egoismus, der dem Holländer so natürlich ist? Heine, der immer
feinsinnige, geistreiche, hat das gefühlt; wer das betreffende Capitel bei ihm
nachlesen will, wird mit einer Art von Bewunderung sehen, wie geschickt er
sich aus der Schlinge gezogen. Wagner aber — man muß es schon
sagen — fühlt sich in der Schlinge ganz wohl. Daß Scuta keine Liebe em¬
pfinden kann, beunruhigt ihn wenig. Er giebt ihr dafür ein unsägliches
Mitleid mit dem Holländer, und läßt sie aus Mitleid für ihn sterben. Es
bleibe nun unerörtert, ob ein solches Opfer natürlich ist. Auf alle Fälle aber
muß gefordert werden, daß das Mädchen die so hoch gepriesene Treue auch
wirklich halte. Und nun erinnere sich der Leser recht genau! Sehr selbstbe¬
wußt und keineswegs weiblich hatte Scuta sich gerühmt:


In meines Busens höchster Reine
Fühl ich der Treue Hochgebot
Wem ich sie weih', schenk' ich die Eine,
Die Treue bis zum Tod!

Da tritt (III, 2) ihr verlassener Bräutigam Erik zu ihr; er will es
nicht dulden, daß sie sich dem unheimlichen Gaste vermähle; und schließlich
erinnert er sie, daß er — ältere Rechte habe:


Als sich Dein Arm um meinen Nacken schlang,
Gestandest Du mir Liebe nicht aufs neu?
Was bei der Hände Druck mich hehr durchdrang,
Sag, war's nicht die Verstchrung Deiner Treu?

Diese Worte hat der Holländer gehört; er verzweifelt! „Ewig Verlornes
Heil!" Er stürzt auf sein Schiff und will abfahren; Scuta, die bereits einem
Manne die Treue gebrochen, will er nicht zum zweiten Eidbruch verleiten.
Da will sie nach, und um mit ihm vereint zu sein, stürzt sie sich ins Meer.
Apotheose des Holländers und der Scuta.

Nun rathe man hin und her: was ist eigentlich der Gedanke des Stückes?
Ein treuloses Weib hält Jemandem die Treue. Aber Jemandem, dem sie
gar nicht dazu verpflichtet ist. Und auf die sonderbarste Weise! Was hat
Scuta's Sprung ins Meer eigentlich mit ihrer Treue zu thun? Der Holländer
soll durch die Treue eines Mädchens gerettet werden, das heißt doch, dieses
Mädchen soll mit eigener Aufopferung (also mit einer Spur von Ueberwindung)
irgend eine schwierige That für ihn vollbringen. Hier aber will der Holländer
diese That gar nicht, und der Scuta kostet sie nicht die mindeste Ueberwin¬
dung. Wahrlich, wenn Jemand Wagner persistiren wollte, dieser Holländer,
der ganz gegen seinen Willen und mit Gewalt erlöst wird; diese Scuta, die,


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[0225] leiten bürdete sich Wagner dadurch auf! Der Treue des Mädchens muß doch natürlicher Weise die Liebe vorausgehn. Wie aber soll Scuta zu dem ge¬ spenstischen Fremdling Liebe fassen? Muß sie sich nicht abgestoßen fühlen von dem kalten Egoismus, der dem Holländer so natürlich ist? Heine, der immer feinsinnige, geistreiche, hat das gefühlt; wer das betreffende Capitel bei ihm nachlesen will, wird mit einer Art von Bewunderung sehen, wie geschickt er sich aus der Schlinge gezogen. Wagner aber — man muß es schon sagen — fühlt sich in der Schlinge ganz wohl. Daß Scuta keine Liebe em¬ pfinden kann, beunruhigt ihn wenig. Er giebt ihr dafür ein unsägliches Mitleid mit dem Holländer, und läßt sie aus Mitleid für ihn sterben. Es bleibe nun unerörtert, ob ein solches Opfer natürlich ist. Auf alle Fälle aber muß gefordert werden, daß das Mädchen die so hoch gepriesene Treue auch wirklich halte. Und nun erinnere sich der Leser recht genau! Sehr selbstbe¬ wußt und keineswegs weiblich hatte Scuta sich gerühmt: In meines Busens höchster Reine Fühl ich der Treue Hochgebot Wem ich sie weih', schenk' ich die Eine, Die Treue bis zum Tod! Da tritt (III, 2) ihr verlassener Bräutigam Erik zu ihr; er will es nicht dulden, daß sie sich dem unheimlichen Gaste vermähle; und schließlich erinnert er sie, daß er — ältere Rechte habe: Als sich Dein Arm um meinen Nacken schlang, Gestandest Du mir Liebe nicht aufs neu? Was bei der Hände Druck mich hehr durchdrang, Sag, war's nicht die Verstchrung Deiner Treu? Diese Worte hat der Holländer gehört; er verzweifelt! „Ewig Verlornes Heil!" Er stürzt auf sein Schiff und will abfahren; Scuta, die bereits einem Manne die Treue gebrochen, will er nicht zum zweiten Eidbruch verleiten. Da will sie nach, und um mit ihm vereint zu sein, stürzt sie sich ins Meer. Apotheose des Holländers und der Scuta. Nun rathe man hin und her: was ist eigentlich der Gedanke des Stückes? Ein treuloses Weib hält Jemandem die Treue. Aber Jemandem, dem sie gar nicht dazu verpflichtet ist. Und auf die sonderbarste Weise! Was hat Scuta's Sprung ins Meer eigentlich mit ihrer Treue zu thun? Der Holländer soll durch die Treue eines Mädchens gerettet werden, das heißt doch, dieses Mädchen soll mit eigener Aufopferung (also mit einer Spur von Ueberwindung) irgend eine schwierige That für ihn vollbringen. Hier aber will der Holländer diese That gar nicht, und der Scuta kostet sie nicht die mindeste Ueberwin¬ dung. Wahrlich, wenn Jemand Wagner persistiren wollte, dieser Holländer, der ganz gegen seinen Willen und mit Gewalt erlöst wird; diese Scuta, die,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/225>, abgerufen am 06.06.2024.