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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Sind's Deiner Seufzer Wehn,
Die mir die Segel blähn?
Wehe, wehe du Wind! --
Wehe, ach wehe, mein Kind!
Irische Maid, Du wilde minnige Maid!

Wäre nicht die angemerkte Absurdität dann: das zarte Liebchen, das un¬
gefähr die Länge und Breite einer nordischen Speerjungfrau haben muß --
so wäre dieses Lied als Einleitung ganz vortrefflich. Seeluft weht darin.
Und was vorläufig das Wichtigste, der Zuschauer ist sogleich über den Ort
der Handlung orientirt. Wir sehn in eine Kajüte, in der sich Isolde, die
irische Königstochter, und ihre vertraute Dienerin Brangäne befinden. Und
nun bemerken wir sofort: Isolde drückt schweres Leid. Sie liebt Tristan,
aber er achtet ihrer nicht! er hat sie ja selbst seinem Oheim, dem König
Marke von Cornwallts, zur Braut geworben. Und sie haßt Tristan zu
gleicher Zeit, er hat ihren Verlobten Morold erschlagen. Welchem Gefühl
soll sie nun nachgeben? Nicht lange mehr wird die Wahl ihr freistehn. Ist
das Schiff erst gelandet, so ist Tristan ihr nicht mehr nahe. Wird sie ihm
nun ihr Herz entdecken? Oder wird sie ihrem Schwüre getreu, ihn todten?
Und unterdessen trägt das Schiff sie rastlos gen Cornwallis. Unaufhörlich
-- hier übernimmt die Musik das Amt des Dichters -- unaufhörlich plätschern
die Wellen an die Bretterwände, und dazwischen fährt der Wind pfeifend
durch die Taue. Nach wenigen Stunden, und Isolde ist verloren -- sei sie
nun die verzweifelnde Königin Marold's, oder die meineidige Geliebte Tristan's,
oder keines von Beiden, eine Mörderin.

Diese Situation ist wirklich tragisch und muß Wagner hoch angerech¬
net werden; die Steigerung/die darauf folgt, ist ganz in demselben Geiste.
Isolde wählt das einzig Würdige, zusammen mit Tristan zu sterben. Sie
bietet ihm einen Sühnetrank für Morolb's Tod, nicht ahnend, daß statt des
Giftes ein Liebeselixir in der Schale enthalten ist. Sie trinkt die eine Hälfte
davon, Tristan die andere -- und in wilden Gluten bricht aus den beiden
verschlossenen Seelen die Liebe hervor. Denn auch Tristan liebte Isolden und
kämpfte mit verzweifelter Kraft gegen das übermächtige Gefühl, Es kann
hier nicht ausgeführt werden, aber es ist bewunderungswerth, wie Wagner
durch dieses Parallel-Motiv den tragischen Gedanken gesteigert hat. Und
nun, eben in dem Augenblicke, wo die Liebenden sich'selig in den Armen
liegen -- da landet das Schiff. Die Vorhänge im Hintergrunde werden weg¬
gerissen, man erblickt die Küste mit dem Felsenschlvß der cornwälschen Könige,
Trompetenstöße melden die Ankunft des Herrschers, welcher naht, seine Braut
zu empfangen -- und Tristan und Isolde stehen da, auseinandergeschreckt,


Sind's Deiner Seufzer Wehn,
Die mir die Segel blähn?
Wehe, wehe du Wind! —
Wehe, ach wehe, mein Kind!
Irische Maid, Du wilde minnige Maid!

Wäre nicht die angemerkte Absurdität dann: das zarte Liebchen, das un¬
gefähr die Länge und Breite einer nordischen Speerjungfrau haben muß —
so wäre dieses Lied als Einleitung ganz vortrefflich. Seeluft weht darin.
Und was vorläufig das Wichtigste, der Zuschauer ist sogleich über den Ort
der Handlung orientirt. Wir sehn in eine Kajüte, in der sich Isolde, die
irische Königstochter, und ihre vertraute Dienerin Brangäne befinden. Und
nun bemerken wir sofort: Isolde drückt schweres Leid. Sie liebt Tristan,
aber er achtet ihrer nicht! er hat sie ja selbst seinem Oheim, dem König
Marke von Cornwallts, zur Braut geworben. Und sie haßt Tristan zu
gleicher Zeit, er hat ihren Verlobten Morold erschlagen. Welchem Gefühl
soll sie nun nachgeben? Nicht lange mehr wird die Wahl ihr freistehn. Ist
das Schiff erst gelandet, so ist Tristan ihr nicht mehr nahe. Wird sie ihm
nun ihr Herz entdecken? Oder wird sie ihrem Schwüre getreu, ihn todten?
Und unterdessen trägt das Schiff sie rastlos gen Cornwallis. Unaufhörlich
— hier übernimmt die Musik das Amt des Dichters — unaufhörlich plätschern
die Wellen an die Bretterwände, und dazwischen fährt der Wind pfeifend
durch die Taue. Nach wenigen Stunden, und Isolde ist verloren — sei sie
nun die verzweifelnde Königin Marold's, oder die meineidige Geliebte Tristan's,
oder keines von Beiden, eine Mörderin.

Diese Situation ist wirklich tragisch und muß Wagner hoch angerech¬
net werden; die Steigerung/die darauf folgt, ist ganz in demselben Geiste.
Isolde wählt das einzig Würdige, zusammen mit Tristan zu sterben. Sie
bietet ihm einen Sühnetrank für Morolb's Tod, nicht ahnend, daß statt des
Giftes ein Liebeselixir in der Schale enthalten ist. Sie trinkt die eine Hälfte
davon, Tristan die andere — und in wilden Gluten bricht aus den beiden
verschlossenen Seelen die Liebe hervor. Denn auch Tristan liebte Isolden und
kämpfte mit verzweifelter Kraft gegen das übermächtige Gefühl, Es kann
hier nicht ausgeführt werden, aber es ist bewunderungswerth, wie Wagner
durch dieses Parallel-Motiv den tragischen Gedanken gesteigert hat. Und
nun, eben in dem Augenblicke, wo die Liebenden sich'selig in den Armen
liegen — da landet das Schiff. Die Vorhänge im Hintergrunde werden weg¬
gerissen, man erblickt die Küste mit dem Felsenschlvß der cornwälschen Könige,
Trompetenstöße melden die Ankunft des Herrschers, welcher naht, seine Braut
zu empfangen — und Tristan und Isolde stehen da, auseinandergeschreckt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/228>, abgerufen am 06.06.2024.