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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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darum wäre es besser gewesen, wenn Wagner im folgenden Acte die Sühne
geschildert hätte und darauf den Vorhang hätte fallen lassen. Er hat das
nicht gethan. Den Gedanken, den wir eben entwickelt haben, findet er nicht in
seinem Stoff. Etwas von dem, was er den "Umsturz der Gesellschaft" nennt,
spielt bei ihm hinein. Zwar gehen Tristan und Isolde auch bei ihm an ihrer
Liebe unter. Aber nicht in Erkenntniß ihrer Schuld. Nachdem sie das
Höchste genossen, was die Erde ihnen zu bieten vermochte, versinken und ver¬
gehen sie


In dem wogenden Schwall,
In dem tönenden Schall,
In des Weltathems wehendem All.

Und auch das Urtheil der Welt über sie lautet bei Wagner anders, als
wir es wünschen können. Als Marke vernommen, daß der Liebestrank an
all dem Unglück Schuld sei, da fühlt er sich selig, daß er seinen Freund "frei
von Schuld" findet. Und er entschließt sich, ihm Isolden abzutreten. Freilich
kommt er nur zum Sterbelager Tristans. Das Resultat kann man unsittlich
nennen, die Absicht aber schwerlich. Die Schopenhauer-Wagner'sche Philosopie
kann man anfechten, und in Bezug auf das vorliegende Drama dem Dichter
vielleicht sogar Inconsequenzen vorwerfen, aber die Tiefe und den Ernst der
Gedanken darf man nicht verkennen. Dadurch steht diese Oper unendlich
hoch über dem zerfahrenen, unkräftigen Tanhäuser.

Und so bliebe uns nur der Lob engrin zu besprechen. Aber noch viel
weniger als vom Tristan dürfte sich von diesem Werke die eigentliche Absicht
hier darlegen lassen. Wagner's Auffassung der Graalmystik gehört eher in
einen Aufsatz über den Philosophen, als in den vorliegenden über den Text¬
dichter. --

Vieles haben wir zu tadeln gefunden, Vieles hat uns mächtig ergriffen.
Soll nun zum Schluß noch gefragt werden, woher es wohl kommt, daß Wagner
neben so Kleinem so Großes, neben so Widerlichem so Erhabenes schaffen konnte,
so sei auch dies in Kürze gesagt: Eine bewunderswerthe Kraft ist es vor
allen Dingen, die den Dichter-Componisten -- einen Geistesverwandten des
ältern Corneille -- auszeichnet. Seine Gedanken sind nicht immer edel, aber
sie sind fast immer von packender Gewalt. Sein Ideal ist nicht das echte,
aber es hat mit diesem die Höhe und Unerreichbarkeit gemein. Dies ist es:
die großen Worte, die kräftigen Thaten, die rücksichtslose Consequenz. welche
ihm immer neue Anhänger zuführt. Und darin liegt auch sein unvergäng¬
liches Verdienst um die deutsche Kunst: die Kraft und Anregung hat er ge¬
geben, die schöne und gediegene Ausgestaltung möge uns in Zukunft ein
Waldemar Stein. Größerer bringen!




darum wäre es besser gewesen, wenn Wagner im folgenden Acte die Sühne
geschildert hätte und darauf den Vorhang hätte fallen lassen. Er hat das
nicht gethan. Den Gedanken, den wir eben entwickelt haben, findet er nicht in
seinem Stoff. Etwas von dem, was er den „Umsturz der Gesellschaft" nennt,
spielt bei ihm hinein. Zwar gehen Tristan und Isolde auch bei ihm an ihrer
Liebe unter. Aber nicht in Erkenntniß ihrer Schuld. Nachdem sie das
Höchste genossen, was die Erde ihnen zu bieten vermochte, versinken und ver¬
gehen sie


In dem wogenden Schwall,
In dem tönenden Schall,
In des Weltathems wehendem All.

Und auch das Urtheil der Welt über sie lautet bei Wagner anders, als
wir es wünschen können. Als Marke vernommen, daß der Liebestrank an
all dem Unglück Schuld sei, da fühlt er sich selig, daß er seinen Freund „frei
von Schuld" findet. Und er entschließt sich, ihm Isolden abzutreten. Freilich
kommt er nur zum Sterbelager Tristans. Das Resultat kann man unsittlich
nennen, die Absicht aber schwerlich. Die Schopenhauer-Wagner'sche Philosopie
kann man anfechten, und in Bezug auf das vorliegende Drama dem Dichter
vielleicht sogar Inconsequenzen vorwerfen, aber die Tiefe und den Ernst der
Gedanken darf man nicht verkennen. Dadurch steht diese Oper unendlich
hoch über dem zerfahrenen, unkräftigen Tanhäuser.

Und so bliebe uns nur der Lob engrin zu besprechen. Aber noch viel
weniger als vom Tristan dürfte sich von diesem Werke die eigentliche Absicht
hier darlegen lassen. Wagner's Auffassung der Graalmystik gehört eher in
einen Aufsatz über den Philosophen, als in den vorliegenden über den Text¬
dichter. —

Vieles haben wir zu tadeln gefunden, Vieles hat uns mächtig ergriffen.
Soll nun zum Schluß noch gefragt werden, woher es wohl kommt, daß Wagner
neben so Kleinem so Großes, neben so Widerlichem so Erhabenes schaffen konnte,
so sei auch dies in Kürze gesagt: Eine bewunderswerthe Kraft ist es vor
allen Dingen, die den Dichter-Componisten — einen Geistesverwandten des
ältern Corneille — auszeichnet. Seine Gedanken sind nicht immer edel, aber
sie sind fast immer von packender Gewalt. Sein Ideal ist nicht das echte,
aber es hat mit diesem die Höhe und Unerreichbarkeit gemein. Dies ist es:
die großen Worte, die kräftigen Thaten, die rücksichtslose Consequenz. welche
ihm immer neue Anhänger zuführt. Und darin liegt auch sein unvergäng¬
liches Verdienst um die deutsche Kunst: die Kraft und Anregung hat er ge¬
geben, die schöne und gediegene Ausgestaltung möge uns in Zukunft ein
Waldemar Stein. Größerer bringen!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/236>, abgerufen am 12.05.2024.