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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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können; nur der Meister, der sein Material und sein Werkzeug ganz genau
kennt, der mit Sicherheit weiß, wie weit die Leistungsfähigkeit desselben geht
und was sich mit ihm erreichen läßt, wird etwas zu schaffen vermögen. Ein
Künstler ist er darum freilich noch keineswegs; er ist es auch noch nicht, wenn
er die Handhabung jener Werkzeuge versteht: diese Fertigkeit macht ihn immer
erst zum Handwerker. Um Künstler zu sein, dazu gehört noch das, was
Schiller "Intuition" nennt, d. h. ein entschiedenes oft plötzliches Erleuchtet¬
sein von der Idee, ein ebenso energisches Erfassen derselben, ein inneres Gegen¬
wärtighaben aller Mittel, deren man zur Ausführung der Idee bedarf,
und ein entschlossenes, rechtzeitiges Anwenden dieser Mittel. Was auf solche
Weise entsteht, das wird ein Kunstwerk, d, h. ein Werk, welches vollem
Können entsprungen ist, und schon diese Andeutungen zeigen wohl zur Ge¬
nüge, daß man mit großem Rechte eben so wohl von Staatskunst und
Kriegskunst als von redenden und bildenden Künsten spricht. Ja, Staats¬
kunst und Kriegskunst erscheinen vielleicht als die höchsten aller Künste, weil
der Stoff, mit dem sie zu arbeiten haben, nämlich Völker und Heere, der kost¬
barste und sprödeste, weil die Art ihres Schaffens wegen der entgegenwirken¬
den feindlichen Kräfte die bei weitem schwierigste und weil ihr Ziel das denk¬
bar höchste ist: Staatswohlfahrt und Sieg! --

Zwar einer der berühmtesten Kriegstheoretiker, der General v. Clausewitz,
bezeichnet den Krieg lediglich als einen Akt des menschlichen Verkehrs, als
einen Eonflikt großer Interessen, der nur darin von andern Conflikten unter¬
schieden sei, daß er sich blutig löse. Er verweist daher den Krieg aus dem
Gebiete der Künste und Wissenschaften in das des gesellschaftlichen Lebens.
-- Aber haben sich in eben diesem Leben nicht auch alle unsere schönen
Künste zu bethätigen? Haben sie mit seinen Anforderungen und Einflüssen
nicht täglich zu rechnen? Ja sind sie nicht grade dadurch wirkungsvoll und
ergreifend, daß auch sie dem wirklichen Leben entstammen, daß sie es wieder-
sptegeln, es für ihre Zwecke unter einheitliche Gesichtspunkte ordnen, es ge¬
stalten und das so gewonnene Kunstwerk den Mitlebenden entgegenbringen! ?
Hat je eine Kunst lebendig gewirkt, die nicht dem vollen Leben ihrer Zeit
entsprungen war!? -- Und wäre es etwa mit der Kriegskunst anders?
Offenbart nicht auch ihre Entwickelung, bezeugen nicht auch ihre Re¬
sultate ein beständiges Zusammengehn mit den socialen Wandlungen, mit
dem Wechsel, mit dem Fortschritt des gesammten Lebens der Menschheit!?**)




-) Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewih. I. Thl. ü.
Aufl. Berlin. 18"i7.
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können; nur der Meister, der sein Material und sein Werkzeug ganz genau
kennt, der mit Sicherheit weiß, wie weit die Leistungsfähigkeit desselben geht
und was sich mit ihm erreichen läßt, wird etwas zu schaffen vermögen. Ein
Künstler ist er darum freilich noch keineswegs; er ist es auch noch nicht, wenn
er die Handhabung jener Werkzeuge versteht: diese Fertigkeit macht ihn immer
erst zum Handwerker. Um Künstler zu sein, dazu gehört noch das, was
Schiller „Intuition" nennt, d. h. ein entschiedenes oft plötzliches Erleuchtet¬
sein von der Idee, ein ebenso energisches Erfassen derselben, ein inneres Gegen¬
wärtighaben aller Mittel, deren man zur Ausführung der Idee bedarf,
und ein entschlossenes, rechtzeitiges Anwenden dieser Mittel. Was auf solche
Weise entsteht, das wird ein Kunstwerk, d, h. ein Werk, welches vollem
Können entsprungen ist, und schon diese Andeutungen zeigen wohl zur Ge¬
nüge, daß man mit großem Rechte eben so wohl von Staatskunst und
Kriegskunst als von redenden und bildenden Künsten spricht. Ja, Staats¬
kunst und Kriegskunst erscheinen vielleicht als die höchsten aller Künste, weil
der Stoff, mit dem sie zu arbeiten haben, nämlich Völker und Heere, der kost¬
barste und sprödeste, weil die Art ihres Schaffens wegen der entgegenwirken¬
den feindlichen Kräfte die bei weitem schwierigste und weil ihr Ziel das denk¬
bar höchste ist: Staatswohlfahrt und Sieg! —

Zwar einer der berühmtesten Kriegstheoretiker, der General v. Clausewitz,
bezeichnet den Krieg lediglich als einen Akt des menschlichen Verkehrs, als
einen Eonflikt großer Interessen, der nur darin von andern Conflikten unter¬
schieden sei, daß er sich blutig löse. Er verweist daher den Krieg aus dem
Gebiete der Künste und Wissenschaften in das des gesellschaftlichen Lebens.
— Aber haben sich in eben diesem Leben nicht auch alle unsere schönen
Künste zu bethätigen? Haben sie mit seinen Anforderungen und Einflüssen
nicht täglich zu rechnen? Ja sind sie nicht grade dadurch wirkungsvoll und
ergreifend, daß auch sie dem wirklichen Leben entstammen, daß sie es wieder-
sptegeln, es für ihre Zwecke unter einheitliche Gesichtspunkte ordnen, es ge¬
stalten und das so gewonnene Kunstwerk den Mitlebenden entgegenbringen! ?
Hat je eine Kunst lebendig gewirkt, die nicht dem vollen Leben ihrer Zeit
entsprungen war!? — Und wäre es etwa mit der Kriegskunst anders?
Offenbart nicht auch ihre Entwickelung, bezeugen nicht auch ihre Re¬
sultate ein beständiges Zusammengehn mit den socialen Wandlungen, mit
dem Wechsel, mit dem Fortschritt des gesammten Lebens der Menschheit!?**)




-) Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewih. I. Thl. ü.
Aufl. Berlin. 18«i7.
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[0248] können; nur der Meister, der sein Material und sein Werkzeug ganz genau kennt, der mit Sicherheit weiß, wie weit die Leistungsfähigkeit desselben geht und was sich mit ihm erreichen läßt, wird etwas zu schaffen vermögen. Ein Künstler ist er darum freilich noch keineswegs; er ist es auch noch nicht, wenn er die Handhabung jener Werkzeuge versteht: diese Fertigkeit macht ihn immer erst zum Handwerker. Um Künstler zu sein, dazu gehört noch das, was Schiller „Intuition" nennt, d. h. ein entschiedenes oft plötzliches Erleuchtet¬ sein von der Idee, ein ebenso energisches Erfassen derselben, ein inneres Gegen¬ wärtighaben aller Mittel, deren man zur Ausführung der Idee bedarf, und ein entschlossenes, rechtzeitiges Anwenden dieser Mittel. Was auf solche Weise entsteht, das wird ein Kunstwerk, d, h. ein Werk, welches vollem Können entsprungen ist, und schon diese Andeutungen zeigen wohl zur Ge¬ nüge, daß man mit großem Rechte eben so wohl von Staatskunst und Kriegskunst als von redenden und bildenden Künsten spricht. Ja, Staats¬ kunst und Kriegskunst erscheinen vielleicht als die höchsten aller Künste, weil der Stoff, mit dem sie zu arbeiten haben, nämlich Völker und Heere, der kost¬ barste und sprödeste, weil die Art ihres Schaffens wegen der entgegenwirken¬ den feindlichen Kräfte die bei weitem schwierigste und weil ihr Ziel das denk¬ bar höchste ist: Staatswohlfahrt und Sieg! — Zwar einer der berühmtesten Kriegstheoretiker, der General v. Clausewitz, bezeichnet den Krieg lediglich als einen Akt des menschlichen Verkehrs, als einen Eonflikt großer Interessen, der nur darin von andern Conflikten unter¬ schieden sei, daß er sich blutig löse. Er verweist daher den Krieg aus dem Gebiete der Künste und Wissenschaften in das des gesellschaftlichen Lebens. — Aber haben sich in eben diesem Leben nicht auch alle unsere schönen Künste zu bethätigen? Haben sie mit seinen Anforderungen und Einflüssen nicht täglich zu rechnen? Ja sind sie nicht grade dadurch wirkungsvoll und ergreifend, daß auch sie dem wirklichen Leben entstammen, daß sie es wieder- sptegeln, es für ihre Zwecke unter einheitliche Gesichtspunkte ordnen, es ge¬ stalten und das so gewonnene Kunstwerk den Mitlebenden entgegenbringen! ? Hat je eine Kunst lebendig gewirkt, die nicht dem vollen Leben ihrer Zeit entsprungen war!? — Und wäre es etwa mit der Kriegskunst anders? Offenbart nicht auch ihre Entwickelung, bezeugen nicht auch ihre Re¬ sultate ein beständiges Zusammengehn mit den socialen Wandlungen, mit dem Wechsel, mit dem Fortschritt des gesammten Lebens der Menschheit!?**) -) Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewih. I. Thl. ü. Aufl. Berlin. 18«i7. ") Vergl. K<I. as I», RiU'i'k-vnMi'eg: ?-rraIIÄi»no et<z« xroxi-ö-- -'c.r? Ja oiviiisatiou vt <i« l'art wüttairo. l/'uris 18in.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/248>, abgerufen am 13.05.2024.