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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Ich glaube, diese Frage muß bejaht werden und zwar so ausdrücklich, daß
man, nicht minder bestimmt wie etwa von verschiedenen Seyler der Bau¬
kunst, so auch von verschiedenen Seyler der Kriegskunst zu reden hat.

Um dies näher zu erläutern, gestatten Sie mir, einige Hauptmomente
aus der Geschichte der Kriegskunst hervorzuheben und darzuthun, wie genau die¬
selben mit den entsprechenden Erscheinungen der schönen Künste correspondiren.

Von jeher hat es einen eigenen Reiz gehabt, den ersten rohen und
kindlichen Lebensäußerungen einer Kunst nachzuforschen und sich deutlich zu
machen, in welcher Weise ihre Keime sich ausgestreut und entwickelt haben.
Sage und Mythe wandten jener Kinderzeit der Künste mit Borliebe ihren
poetischen Schmuck zu und nicht minder knüpfen neuerdings Ethnographie
und Völkerpsychologie grade an diesen Punkt so viele ihrer festesten und zu¬
verlässigsten Fäden. Die Kriegskunst steht dabei gegen ihre schönen Schwe¬
stern nicht zurück. -- Die urthümlichste Art des Männergefechtes, der Faust¬
kampf, wurde von den alten als eine Erfindung der Himmlischen selbst be¬
wundert und als eins ihrer höchsten Geschenke verehrt. Horaz stellt in einer
seiner Oden *) die Gabe des Faustkampfs sogar unmittelbar neben die Gabe
der Sprache. Eine vergötterte Heroen gestalt, der Kämpfer der Faust Poly-
deukes, vertrat im Kreise der Olympier die hohe Kunst, und die nemäischen
Spiele hielten auf Erden das Andenken aufrecht an jene erste, ehrwürdigste
Kampfform. -- Welche Rolle der Sport des Boxens noch heut bei den Bri¬
ten spielt, ist allbekannt. Männer wie Sir Robert Peel und Lord Byron
haben es nicht verschmäht, fachmäßig ello "odi" Leümev "t vetsnee zu
üben/") und in der That: der Faustkampf in seiner Vollendung verdient es
wohl, gepriesen und gepflegt zu werden, denn er ist im Grunde schon ein
Prototyp der ganzen Kriegskunst. Stoß, Gegenstoß und Finte -- Angriff,
Vertheidigung und Demonstration -- diese Grundmomente der Kriegskunst
sprechen sich auch schon beim Faustkampf deutlich aus. -- Aber nach einer
anderen Richtung verschließt er sich dem Fortschritt: er kennt die Waffe
nicht.

Die Waffen hat der Mensch wahrscheinlich zu allererst nicht gegen seines
Gleichen, sondern gegen die übermächtigen Thiere ergriffen, welche ihm, dem
Nackten, Waffenlosen gepanzert und bewehrt mit Stoßzahn und Horn, mit
Huf, Tatze und Kralle, mit Schnabel, Rachen und Giftzahn begegneten und
ihn dadurch aufforderten, sich ähnliche Werkzeuge zu bilden, wie die mit denen
er den Feind gerüstet fand. -- Und zuerst waren es wohl Schutzwaffen.




Quintus Howtius Flaccus. Oden I. 10.
...") Ver">. .
. Vondon. 1824. -- Tk.lZs-in- Soxisn", or ok "ovisrit. "n<> moävru rngilism. 4.
- ^as Boxen der Engländer (Spener'sche Zeitung. Mai 1872).

Ich glaube, diese Frage muß bejaht werden und zwar so ausdrücklich, daß
man, nicht minder bestimmt wie etwa von verschiedenen Seyler der Bau¬
kunst, so auch von verschiedenen Seyler der Kriegskunst zu reden hat.

Um dies näher zu erläutern, gestatten Sie mir, einige Hauptmomente
aus der Geschichte der Kriegskunst hervorzuheben und darzuthun, wie genau die¬
selben mit den entsprechenden Erscheinungen der schönen Künste correspondiren.

Von jeher hat es einen eigenen Reiz gehabt, den ersten rohen und
kindlichen Lebensäußerungen einer Kunst nachzuforschen und sich deutlich zu
machen, in welcher Weise ihre Keime sich ausgestreut und entwickelt haben.
Sage und Mythe wandten jener Kinderzeit der Künste mit Borliebe ihren
poetischen Schmuck zu und nicht minder knüpfen neuerdings Ethnographie
und Völkerpsychologie grade an diesen Punkt so viele ihrer festesten und zu¬
verlässigsten Fäden. Die Kriegskunst steht dabei gegen ihre schönen Schwe¬
stern nicht zurück. — Die urthümlichste Art des Männergefechtes, der Faust¬
kampf, wurde von den alten als eine Erfindung der Himmlischen selbst be¬
wundert und als eins ihrer höchsten Geschenke verehrt. Horaz stellt in einer
seiner Oden *) die Gabe des Faustkampfs sogar unmittelbar neben die Gabe
der Sprache. Eine vergötterte Heroen gestalt, der Kämpfer der Faust Poly-
deukes, vertrat im Kreise der Olympier die hohe Kunst, und die nemäischen
Spiele hielten auf Erden das Andenken aufrecht an jene erste, ehrwürdigste
Kampfform. — Welche Rolle der Sport des Boxens noch heut bei den Bri¬
ten spielt, ist allbekannt. Männer wie Sir Robert Peel und Lord Byron
haben es nicht verschmäht, fachmäßig ello »odi« Leümev »t vetsnee zu
üben/") und in der That: der Faustkampf in seiner Vollendung verdient es
wohl, gepriesen und gepflegt zu werden, denn er ist im Grunde schon ein
Prototyp der ganzen Kriegskunst. Stoß, Gegenstoß und Finte — Angriff,
Vertheidigung und Demonstration — diese Grundmomente der Kriegskunst
sprechen sich auch schon beim Faustkampf deutlich aus. — Aber nach einer
anderen Richtung verschließt er sich dem Fortschritt: er kennt die Waffe
nicht.

Die Waffen hat der Mensch wahrscheinlich zu allererst nicht gegen seines
Gleichen, sondern gegen die übermächtigen Thiere ergriffen, welche ihm, dem
Nackten, Waffenlosen gepanzert und bewehrt mit Stoßzahn und Horn, mit
Huf, Tatze und Kralle, mit Schnabel, Rachen und Giftzahn begegneten und
ihn dadurch aufforderten, sich ähnliche Werkzeuge zu bilden, wie die mit denen
er den Feind gerüstet fand. — Und zuerst waren es wohl Schutzwaffen.




Quintus Howtius Flaccus. Oden I. 10.
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[0249] Ich glaube, diese Frage muß bejaht werden und zwar so ausdrücklich, daß man, nicht minder bestimmt wie etwa von verschiedenen Seyler der Bau¬ kunst, so auch von verschiedenen Seyler der Kriegskunst zu reden hat. Um dies näher zu erläutern, gestatten Sie mir, einige Hauptmomente aus der Geschichte der Kriegskunst hervorzuheben und darzuthun, wie genau die¬ selben mit den entsprechenden Erscheinungen der schönen Künste correspondiren. Von jeher hat es einen eigenen Reiz gehabt, den ersten rohen und kindlichen Lebensäußerungen einer Kunst nachzuforschen und sich deutlich zu machen, in welcher Weise ihre Keime sich ausgestreut und entwickelt haben. Sage und Mythe wandten jener Kinderzeit der Künste mit Borliebe ihren poetischen Schmuck zu und nicht minder knüpfen neuerdings Ethnographie und Völkerpsychologie grade an diesen Punkt so viele ihrer festesten und zu¬ verlässigsten Fäden. Die Kriegskunst steht dabei gegen ihre schönen Schwe¬ stern nicht zurück. — Die urthümlichste Art des Männergefechtes, der Faust¬ kampf, wurde von den alten als eine Erfindung der Himmlischen selbst be¬ wundert und als eins ihrer höchsten Geschenke verehrt. Horaz stellt in einer seiner Oden *) die Gabe des Faustkampfs sogar unmittelbar neben die Gabe der Sprache. Eine vergötterte Heroen gestalt, der Kämpfer der Faust Poly- deukes, vertrat im Kreise der Olympier die hohe Kunst, und die nemäischen Spiele hielten auf Erden das Andenken aufrecht an jene erste, ehrwürdigste Kampfform. — Welche Rolle der Sport des Boxens noch heut bei den Bri¬ ten spielt, ist allbekannt. Männer wie Sir Robert Peel und Lord Byron haben es nicht verschmäht, fachmäßig ello »odi« Leümev »t vetsnee zu üben/") und in der That: der Faustkampf in seiner Vollendung verdient es wohl, gepriesen und gepflegt zu werden, denn er ist im Grunde schon ein Prototyp der ganzen Kriegskunst. Stoß, Gegenstoß und Finte — Angriff, Vertheidigung und Demonstration — diese Grundmomente der Kriegskunst sprechen sich auch schon beim Faustkampf deutlich aus. — Aber nach einer anderen Richtung verschließt er sich dem Fortschritt: er kennt die Waffe nicht. Die Waffen hat der Mensch wahrscheinlich zu allererst nicht gegen seines Gleichen, sondern gegen die übermächtigen Thiere ergriffen, welche ihm, dem Nackten, Waffenlosen gepanzert und bewehrt mit Stoßzahn und Horn, mit Huf, Tatze und Kralle, mit Schnabel, Rachen und Giftzahn begegneten und ihn dadurch aufforderten, sich ähnliche Werkzeuge zu bilden, wie die mit denen er den Feind gerüstet fand. — Und zuerst waren es wohl Schutzwaffen. Quintus Howtius Flaccus. Oden I. 10. ...") Ver«>. . . Vondon. 1824. — Tk.lZs-in- Soxisn», or ok »ovisrit. «n<> moävru rngilism. 4. - ^as Boxen der Engländer (Spener'sche Zeitung. Mai 1872).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/249>, abgerufen am 23.05.2024.