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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ohne jegliche Mitwirkung des bisherigen Kirchenregiments zu Stande gebracht,
worden wäre. Abgeordneter Jung, von den Nationalliberalen, wollte die
Synodalkosten zwar bewilligen, fand aber die Klotzische Kritik der Gemeinde-
und Synodalverfafsung vom September v. I. befremdlicher Weise durch die
kürzlichen Wahlen gerechtfertigt. Er hatte übersehen, daß die Verfassung vor¬
läufig nur für die sechs alten Provinzen des preußischen Staates erlassen ist,
während seine (Jung's) eignen Erfahrungen dem Gebiet der rheinischen Syno¬
dalverfassung entnommen. Herr Virchow ging noch weiter wie sein College
Klotz. Er verlangt ein Gesetz, zufolge dessen die unkirchlichen Majoritäten,
wenn sie ihren Austritt in Masse erklären, berechtigt sind, das Kirchenver¬
mögen mit sich zu nehmen. Sehr belehrend war wiederum die Haltung des
Abgeordneten Windthorst. Trotz des heftigen Kampfes, in welchem die Ultra¬
montanen sich mit dem preußischen Staate befinden, wählen sie doch nicht
selten sehr geschickt die Gelegenheit, um als Bundesgenossen der conservativen
Staatsintelessen und selbst des evangelischen Kirchenregiments aufzutreten.
Herr Windthorst wollte die 50,000 Thlr. ohne Umstände bewilligen, die Re¬
solution Miquel's aber bekämpfen, weil das Abgeordnetenhaus nach ihm
weder für die evangelische noch sonst eine Kirche eine Verfassung zu machen
oder bei derselben mitzusprechen hat. Dies läuft freilich auf die bekannte
Trennung des Staats von der Kirche im ultramontanen Sinne hinaus.
Wenn aber das Abgeordnetenhaus von seinem Anspruch, die Verfassung der
evangelischen Kirche mitzubegründen, eines Tages einen dieser Kirche nach¬
theiligen Gebrauch machen sollte, so wird man sich doch vielleicht nach Denen
umsehen, die diesen Anspruch nie zugelassen haben.

Die Sitzung vom 4. Februar können wir übergehen, weil nur erste Be¬
rathungen und untergeordnete Verwaltungsfragen, durch Petitionen angeregt,
auf der Tagesordnung standen, obwohl dabei auch wieder einmal die Frage
der confessionellen Schule zur Sprache kam. Wir berühren sie diesmal nicht,
weil eine andere Gelegenheit mit vollständigeren Anhaltpunkten nicht fehlen
wird.

Am S. Februar stand zwar wiederum nur eine erste Berathung auf der
Tagesordnung, der wir jedoch ein Wort widmen müssen um ihres Gegen¬
standes willen. Im Januar hat der Cultusminister zwei Gesetzentwürfe zur
Ergänzung der Maigesetze eingebracht: der eine betrifft die Verwaltung erle¬
digter katholischer Bisthümer, der andere ergänzt das Gesetz über die Vor¬
bildung und Anstellung der Geistlichen. Der zweite bei weitem weniger be¬
deutende der beiden Gesetzentwürfe stand am 6. Februar zur ersten Berathung,
deren Resultat der Beschluß war, die zweite Berathung ohne Vorbereitung
durch eine Commission im Plenum stattfinden zu lassen. Es war selbstver¬
ständlich, daß das Centrum die Frage der Maigesetze selbst, d^ h. also den


ohne jegliche Mitwirkung des bisherigen Kirchenregiments zu Stande gebracht,
worden wäre. Abgeordneter Jung, von den Nationalliberalen, wollte die
Synodalkosten zwar bewilligen, fand aber die Klotzische Kritik der Gemeinde-
und Synodalverfafsung vom September v. I. befremdlicher Weise durch die
kürzlichen Wahlen gerechtfertigt. Er hatte übersehen, daß die Verfassung vor¬
läufig nur für die sechs alten Provinzen des preußischen Staates erlassen ist,
während seine (Jung's) eignen Erfahrungen dem Gebiet der rheinischen Syno¬
dalverfassung entnommen. Herr Virchow ging noch weiter wie sein College
Klotz. Er verlangt ein Gesetz, zufolge dessen die unkirchlichen Majoritäten,
wenn sie ihren Austritt in Masse erklären, berechtigt sind, das Kirchenver¬
mögen mit sich zu nehmen. Sehr belehrend war wiederum die Haltung des
Abgeordneten Windthorst. Trotz des heftigen Kampfes, in welchem die Ultra¬
montanen sich mit dem preußischen Staate befinden, wählen sie doch nicht
selten sehr geschickt die Gelegenheit, um als Bundesgenossen der conservativen
Staatsintelessen und selbst des evangelischen Kirchenregiments aufzutreten.
Herr Windthorst wollte die 50,000 Thlr. ohne Umstände bewilligen, die Re¬
solution Miquel's aber bekämpfen, weil das Abgeordnetenhaus nach ihm
weder für die evangelische noch sonst eine Kirche eine Verfassung zu machen
oder bei derselben mitzusprechen hat. Dies läuft freilich auf die bekannte
Trennung des Staats von der Kirche im ultramontanen Sinne hinaus.
Wenn aber das Abgeordnetenhaus von seinem Anspruch, die Verfassung der
evangelischen Kirche mitzubegründen, eines Tages einen dieser Kirche nach¬
theiligen Gebrauch machen sollte, so wird man sich doch vielleicht nach Denen
umsehen, die diesen Anspruch nie zugelassen haben.

Die Sitzung vom 4. Februar können wir übergehen, weil nur erste Be¬
rathungen und untergeordnete Verwaltungsfragen, durch Petitionen angeregt,
auf der Tagesordnung standen, obwohl dabei auch wieder einmal die Frage
der confessionellen Schule zur Sprache kam. Wir berühren sie diesmal nicht,
weil eine andere Gelegenheit mit vollständigeren Anhaltpunkten nicht fehlen
wird.

Am S. Februar stand zwar wiederum nur eine erste Berathung auf der
Tagesordnung, der wir jedoch ein Wort widmen müssen um ihres Gegen¬
standes willen. Im Januar hat der Cultusminister zwei Gesetzentwürfe zur
Ergänzung der Maigesetze eingebracht: der eine betrifft die Verwaltung erle¬
digter katholischer Bisthümer, der andere ergänzt das Gesetz über die Vor¬
bildung und Anstellung der Geistlichen. Der zweite bei weitem weniger be¬
deutende der beiden Gesetzentwürfe stand am 6. Februar zur ersten Berathung,
deren Resultat der Beschluß war, die zweite Berathung ohne Vorbereitung
durch eine Commission im Plenum stattfinden zu lassen. Es war selbstver¬
ständlich, daß das Centrum die Frage der Maigesetze selbst, d^ h. also den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/276>, abgerufen am 23.05.2024.