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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Königshain bei Ostritz ihren Pfarrer in Prag verklagt. Die beiden Nonnen¬
klöster aber blieben völlig erimirt von der Oberaufsicht des geistlichen Admi¬
nistrators der Oberlausitz und standen unter dem Abte des böhmischen
Klosters Ossegg bei Teplitz als Vifitator. Nicht weniger hielt das katholische
Consistorium in Bautzen an der geistlichen Jurisdiction auch über Protestanten
z. B. in Ehesachen fest und noch 1654 wurde ihm dies Recht von den Stän¬
den der Landschaft ausdrücklich anerkannt. In der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts kam dann wenigstens das Oberaufsichtsrecht der böhmischen
Krone halb und halb in Vergessenheit, die Decanatswahlen von 1741--1773
wurden ohne Assistenz kaiserlicher Commissäre vorgenommen, doch 1773 wurde
dies Recht wieder in Erinnerung gebracht, und das Verhältniß der Klöster zu
Ossegg blieb nach wie vor dasselbe, es wurde sogar benutzt, um kaiserlich ge¬
sinnte Damen auf den Stuhl der Aebtissinnen zu erheben, wie dies 1784 in
Marienthal geschah.

Es kam die Auflösung des deutschen Reichs, die Begründung des Rhein¬
bundes, durch welche die bisherigen Verbindungen zerrissen wurden. Damals
hat auch (1810) Oesterreich sich zu der Erklärung herbeigelassen, daß es seinem
Anrechte auf Betheiligung bei den Decanatswahlen "keine weitere Folge
geben" wolle. Daß diese aber durchaus nicht etwa einen Verzicht auf dies
Recht wie auf die übrigen aus dem Receß von 1K35 resultirende Rechte in
sich schloß, das bewies das Jahr 1815. Denn in der Wiener Schlußakte vom
9. Juni 1815 (Art. 18) verzichtete Oesterreich ausdrücklich auf alle seine aus
dem Traditionsreceß fließenden Rechte in dem an Preußen fallenden Theile
der beiden Lausitzer. Wenn man damals einen solchen Verzicht für nöthig
erachtete, so ist dies Beweis genug, daß man in Wien im Princip jene An¬
sprüche durchaus festhielt. Sachsen erhob damals wie nachher keinen Protest,
erkannte vielmehr in der Accessionsakte vom 15. November 1817 alle Be¬
stimmungen der Wiener Congreßakte ausdrücklich an.

Nichts desto weniger war der sächsischen Negierung jenes österreichisch
Protektionsrecht um so unangenehmer, je schlechter es sich mit der Souveräm-
tät eines deutschen Bundesstaates vertrug. Sie versuchte jedoch umsonst, es
abzuschütteln, vielmehr erklärte noch 1828 und dann wieder 1833 der öster¬
reichische Hof, daß er auf seinem Schutzrechte wie auf allen seinen ihm nach
dem Traditionsreceß zustehenden Ansprüchen nach wie vor "unwandelbar be¬
stehen müsse", protestirte sogar gegen einige Artikel der sächsischen Verfassung,
weil diese weder die Successtonsrechte Böhmens auf die Oberlausitz noch sein
Schutzrecht über die katholischen Stifter der Oberlausitz erwähnte. Nach langen
Verhandlungen -- sogar an die Anrufung der Entscheidung eines Bundes¬
schiedsgerichts hat man gedacht -- kam es endlich zu einem vorläufigen Ab¬
kommen zwischen Oesterreich und Sachsen, zu der Declaration vom 9. Mai


Königshain bei Ostritz ihren Pfarrer in Prag verklagt. Die beiden Nonnen¬
klöster aber blieben völlig erimirt von der Oberaufsicht des geistlichen Admi¬
nistrators der Oberlausitz und standen unter dem Abte des böhmischen
Klosters Ossegg bei Teplitz als Vifitator. Nicht weniger hielt das katholische
Consistorium in Bautzen an der geistlichen Jurisdiction auch über Protestanten
z. B. in Ehesachen fest und noch 1654 wurde ihm dies Recht von den Stän¬
den der Landschaft ausdrücklich anerkannt. In der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts kam dann wenigstens das Oberaufsichtsrecht der böhmischen
Krone halb und halb in Vergessenheit, die Decanatswahlen von 1741—1773
wurden ohne Assistenz kaiserlicher Commissäre vorgenommen, doch 1773 wurde
dies Recht wieder in Erinnerung gebracht, und das Verhältniß der Klöster zu
Ossegg blieb nach wie vor dasselbe, es wurde sogar benutzt, um kaiserlich ge¬
sinnte Damen auf den Stuhl der Aebtissinnen zu erheben, wie dies 1784 in
Marienthal geschah.

Es kam die Auflösung des deutschen Reichs, die Begründung des Rhein¬
bundes, durch welche die bisherigen Verbindungen zerrissen wurden. Damals
hat auch (1810) Oesterreich sich zu der Erklärung herbeigelassen, daß es seinem
Anrechte auf Betheiligung bei den Decanatswahlen „keine weitere Folge
geben" wolle. Daß diese aber durchaus nicht etwa einen Verzicht auf dies
Recht wie auf die übrigen aus dem Receß von 1K35 resultirende Rechte in
sich schloß, das bewies das Jahr 1815. Denn in der Wiener Schlußakte vom
9. Juni 1815 (Art. 18) verzichtete Oesterreich ausdrücklich auf alle seine aus
dem Traditionsreceß fließenden Rechte in dem an Preußen fallenden Theile
der beiden Lausitzer. Wenn man damals einen solchen Verzicht für nöthig
erachtete, so ist dies Beweis genug, daß man in Wien im Princip jene An¬
sprüche durchaus festhielt. Sachsen erhob damals wie nachher keinen Protest,
erkannte vielmehr in der Accessionsakte vom 15. November 1817 alle Be¬
stimmungen der Wiener Congreßakte ausdrücklich an.

Nichts desto weniger war der sächsischen Negierung jenes österreichisch
Protektionsrecht um so unangenehmer, je schlechter es sich mit der Souveräm-
tät eines deutschen Bundesstaates vertrug. Sie versuchte jedoch umsonst, es
abzuschütteln, vielmehr erklärte noch 1828 und dann wieder 1833 der öster¬
reichische Hof, daß er auf seinem Schutzrechte wie auf allen seinen ihm nach
dem Traditionsreceß zustehenden Ansprüchen nach wie vor „unwandelbar be¬
stehen müsse", protestirte sogar gegen einige Artikel der sächsischen Verfassung,
weil diese weder die Successtonsrechte Böhmens auf die Oberlausitz noch sein
Schutzrecht über die katholischen Stifter der Oberlausitz erwähnte. Nach langen
Verhandlungen — sogar an die Anrufung der Entscheidung eines Bundes¬
schiedsgerichts hat man gedacht — kam es endlich zu einem vorläufigen Ab¬
kommen zwischen Oesterreich und Sachsen, zu der Declaration vom 9. Mai


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/312>, abgerufen am 24.05.2024.