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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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1846. Darin verpflichtete sich Sachsen, die Rechte der katholischen Stifter
aufrecht zu erhalten, wohingegen Oesterreich versprach, sich fortan aller "Ein¬
mischung in die Führung der Stifter" zu enthalten, jedoch "unbeschadet des
Rechtsbestandes des Traditionsrecesses von 1636." Von einer prin¬
cipiellen Entscheidung war also durchaus nicht die Rede, so wenig sogar,
daß 1848 der österreichische Minister v. Wesenberg im Reichstage die Jnter¬
pellation eines Abgeordneten bez. der Wahrung der Rechte Böhmens auf die
sächsische Oberlausitz dahin beantwortete: seine Regierung halte an
allen ihr nach dem Prager Frieden von 1636 zukommenden
Rechten durchaus fest.

Die Verhältnisse der Klöster aber waren durch all dies nicht berührt
worden; ja die Ausführungsverordnung vom 13. September 1856 zu dem
Gesetze vom 11. August 1865, die künftige Einrichtung der Behörden erster
Instanz für Rechtspflege und Verwaltung betreffend, erkannte eine voll¬
ständige Ausnahmestellung der Klöster in jurisdictioneller
Beziehung an. Es dürfen darnach nämlich solche Handlungen der Rechts¬
pflege, welche innerhalb der Mauern dieser Klöster zu expediren sind, nur in
Gegenwart der Aebtissin oder eines Stellvertreters vorgenommen werden;
von mündlicher Vernehmung eines Ordensmitgliedes bei Processen ist abzu¬
sehen, sie ist durch die Vorlesung der im Kloster gemachten Aussagen zu er¬
setzen: eine strafrechtliche Verfolgung eines weiblichen Ordens¬
mitgliedes endlich kann nur auf Bericht an das Justizministe¬
rium und auf dessen Anweisung erfolgen. Das Alles widerspricht
direct der sächsischen Verfassung, wie Pfeiffer näher ausführt.*) Es besteht
ferner nach wie vor die Exemtion der beiden Klöster von der Aufsicht des
Bautzner Domcapitels und des apostolischen Vicariats in Sachsen, sie stehen
nur unter dem böhmischen Kloster Ossegg und dem Ordensgeneral in Rom,
sie werden infolge dessen ausschließlich mit böhmischen Geistlichen und
böhmischen Nonnen versorgt.

Aber es kommt noch eins hinzu. Seit Anfang des vorigen Jahrhun-
derts besteht auf der Kleinseite Prag ein wendisches Seminar für katholische
Theologen. Da es über reichliche Stipendien verfügt, so ist es die Pflanz¬
schule aller wendisch-katholischen Theologen geworden, mit andern Worten:
die Geistlichen der Oberlausitz werden in ultramontan-panslavistischem Geiste
auf einer außerdeuts chen Universität gebildet.

Wir haben gewiß Recht, wenn wir diese Zustände als schlechterdings
abnorme und unhaltbare bezeichnen. Die wenn auch jetzt ruhende so doch
principiell festgehaltene Oberaufsicht einer fremden, außerdeutschen Macht über



') Und den Reichsgesetzcn, z, B. dem deutschen Strafgesetzbuch und dem Reichsrechtshülfe,
D.-Red. gesctz.

1846. Darin verpflichtete sich Sachsen, die Rechte der katholischen Stifter
aufrecht zu erhalten, wohingegen Oesterreich versprach, sich fortan aller „Ein¬
mischung in die Führung der Stifter" zu enthalten, jedoch „unbeschadet des
Rechtsbestandes des Traditionsrecesses von 1636." Von einer prin¬
cipiellen Entscheidung war also durchaus nicht die Rede, so wenig sogar,
daß 1848 der österreichische Minister v. Wesenberg im Reichstage die Jnter¬
pellation eines Abgeordneten bez. der Wahrung der Rechte Böhmens auf die
sächsische Oberlausitz dahin beantwortete: seine Regierung halte an
allen ihr nach dem Prager Frieden von 1636 zukommenden
Rechten durchaus fest.

Die Verhältnisse der Klöster aber waren durch all dies nicht berührt
worden; ja die Ausführungsverordnung vom 13. September 1856 zu dem
Gesetze vom 11. August 1865, die künftige Einrichtung der Behörden erster
Instanz für Rechtspflege und Verwaltung betreffend, erkannte eine voll¬
ständige Ausnahmestellung der Klöster in jurisdictioneller
Beziehung an. Es dürfen darnach nämlich solche Handlungen der Rechts¬
pflege, welche innerhalb der Mauern dieser Klöster zu expediren sind, nur in
Gegenwart der Aebtissin oder eines Stellvertreters vorgenommen werden;
von mündlicher Vernehmung eines Ordensmitgliedes bei Processen ist abzu¬
sehen, sie ist durch die Vorlesung der im Kloster gemachten Aussagen zu er¬
setzen: eine strafrechtliche Verfolgung eines weiblichen Ordens¬
mitgliedes endlich kann nur auf Bericht an das Justizministe¬
rium und auf dessen Anweisung erfolgen. Das Alles widerspricht
direct der sächsischen Verfassung, wie Pfeiffer näher ausführt.*) Es besteht
ferner nach wie vor die Exemtion der beiden Klöster von der Aufsicht des
Bautzner Domcapitels und des apostolischen Vicariats in Sachsen, sie stehen
nur unter dem böhmischen Kloster Ossegg und dem Ordensgeneral in Rom,
sie werden infolge dessen ausschließlich mit böhmischen Geistlichen und
böhmischen Nonnen versorgt.

Aber es kommt noch eins hinzu. Seit Anfang des vorigen Jahrhun-
derts besteht auf der Kleinseite Prag ein wendisches Seminar für katholische
Theologen. Da es über reichliche Stipendien verfügt, so ist es die Pflanz¬
schule aller wendisch-katholischen Theologen geworden, mit andern Worten:
die Geistlichen der Oberlausitz werden in ultramontan-panslavistischem Geiste
auf einer außerdeuts chen Universität gebildet.

Wir haben gewiß Recht, wenn wir diese Zustände als schlechterdings
abnorme und unhaltbare bezeichnen. Die wenn auch jetzt ruhende so doch
principiell festgehaltene Oberaufsicht einer fremden, außerdeutschen Macht über



') Und den Reichsgesetzcn, z, B. dem deutschen Strafgesetzbuch und dem Reichsrechtshülfe,
D.-Red. gesctz.
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[0313] 1846. Darin verpflichtete sich Sachsen, die Rechte der katholischen Stifter aufrecht zu erhalten, wohingegen Oesterreich versprach, sich fortan aller „Ein¬ mischung in die Führung der Stifter" zu enthalten, jedoch „unbeschadet des Rechtsbestandes des Traditionsrecesses von 1636." Von einer prin¬ cipiellen Entscheidung war also durchaus nicht die Rede, so wenig sogar, daß 1848 der österreichische Minister v. Wesenberg im Reichstage die Jnter¬ pellation eines Abgeordneten bez. der Wahrung der Rechte Böhmens auf die sächsische Oberlausitz dahin beantwortete: seine Regierung halte an allen ihr nach dem Prager Frieden von 1636 zukommenden Rechten durchaus fest. Die Verhältnisse der Klöster aber waren durch all dies nicht berührt worden; ja die Ausführungsverordnung vom 13. September 1856 zu dem Gesetze vom 11. August 1865, die künftige Einrichtung der Behörden erster Instanz für Rechtspflege und Verwaltung betreffend, erkannte eine voll¬ ständige Ausnahmestellung der Klöster in jurisdictioneller Beziehung an. Es dürfen darnach nämlich solche Handlungen der Rechts¬ pflege, welche innerhalb der Mauern dieser Klöster zu expediren sind, nur in Gegenwart der Aebtissin oder eines Stellvertreters vorgenommen werden; von mündlicher Vernehmung eines Ordensmitgliedes bei Processen ist abzu¬ sehen, sie ist durch die Vorlesung der im Kloster gemachten Aussagen zu er¬ setzen: eine strafrechtliche Verfolgung eines weiblichen Ordens¬ mitgliedes endlich kann nur auf Bericht an das Justizministe¬ rium und auf dessen Anweisung erfolgen. Das Alles widerspricht direct der sächsischen Verfassung, wie Pfeiffer näher ausführt.*) Es besteht ferner nach wie vor die Exemtion der beiden Klöster von der Aufsicht des Bautzner Domcapitels und des apostolischen Vicariats in Sachsen, sie stehen nur unter dem böhmischen Kloster Ossegg und dem Ordensgeneral in Rom, sie werden infolge dessen ausschließlich mit böhmischen Geistlichen und böhmischen Nonnen versorgt. Aber es kommt noch eins hinzu. Seit Anfang des vorigen Jahrhun- derts besteht auf der Kleinseite Prag ein wendisches Seminar für katholische Theologen. Da es über reichliche Stipendien verfügt, so ist es die Pflanz¬ schule aller wendisch-katholischen Theologen geworden, mit andern Worten: die Geistlichen der Oberlausitz werden in ultramontan-panslavistischem Geiste auf einer außerdeuts chen Universität gebildet. Wir haben gewiß Recht, wenn wir diese Zustände als schlechterdings abnorme und unhaltbare bezeichnen. Die wenn auch jetzt ruhende so doch principiell festgehaltene Oberaufsicht einer fremden, außerdeutschen Macht über ') Und den Reichsgesetzcn, z, B. dem deutschen Strafgesetzbuch und dem Reichsrechtshülfe, D.-Red. gesctz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/313>, abgerufen am 11.05.2024.