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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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zunehmenden Viertel bewegt, eine Heimwanderung in die Häuslichkeit oder
ein Besuch des Theaters, eines Konzerthauses oder eines Kaffees ein, in welch
letzterem dann die Frau Studentin das Vergnügen genießt, dem Herrn Stu¬
denten beim Piketspiel zuzusehen oder auch wohl selbst ihm ein Partiechen ab¬
zugewinnen. Das klingt wohl alles so weit recht schön, -- aber wie? --
Fragen wir nun unsrerseits die französische Freundin mit innerem Schauder,
das ist das Ideal des französischen Studenten, des Jünglings, seine Jugend¬
kraft auszuschwelgen in den Umarmungen einer -- Dirne? Und solchen Zu¬
ständen drückt man den Stempel der Legitimität auf. indem man sie öffentlich
besingt und beklatscht! Wahrlich solchem Skandal gegenüber könnten wir nur
wünschen, daß unsere akademische Jugend auch ferner "die schlechte Gewohn¬
heit" beibehalten möge, ihre Vollkraft und ihren Uebermuth auf dem Fecht¬
boden und beim Trinkgelage auszutoben: wir würden damit immer noch von
zwei Uebeln das kleinere wählen.

Doch blicken wir noch weiter um uns: Wir verlassen den Familienkreis
des Studenten und statten den Kaffees des Quartier Ladin, d. h. nur den
von Studirenden frequentirten, einen Besuch ab. Unter den vielen Etablisse¬
ments dieser Art wählen wir ein solches, in dem wir weniger den vornehmen
Musensohn mit seiner "ewcliante" als vielmehr eine andere Art von Stu¬
denten antreffen, die ihre Gunst nicht einseitig gefesselt halten. Treten wir
also, gleichviel in welches, in das Kaffee "zum jungen Frankreich". Bedeu¬
tungsvoller Name! Doch bedauernswerthes junges Frankreich! Wildes Krei¬
schen schallt uns entgegen; die eine Hälfte der Insassen repräsentirt sich uns
als Studenten und sonstige jüngere und ältere Schwärmer! die andere aus
schon tiefer stehenden Grisetten und der eigentlichen Halbwelt bestehend, die
meist ehedem auch einmal "Studentinnen" waren, nunmehr aber, nachdem der
frühere Geliebte aus dem Musentempel ins praktische Leben sich eingeschifft
hat. ihrer Selbständigkeit zurückgegeben sind. Das Bild ist sehr lebhaft:
Hier am Eingang sehen wir zwei Damen sitzen, die sich augenscheinlich schon
in höheren Semestern befinden, eine Partie Piket mit einander spielend und
ihre Cigarette rauchend, -- wir haben hier vor uns den eigentlichen Typus
der leinenes emanoixües; daneben eine noch jüngere Grisette, sehr eifrig über
einem Roman studirend; nicht fern hüpfen mehrere, nach Art der Kunstreiterinnen
mit Tricots und kurzen Röckchen phantastisch ausgestattete Gestalten herum,
die sich der besonderen Gunst der Musensöhne zu erfreuen scheinen; dort treten
uns zwei in Mannskleider gesteckte Frauenzimmer, das Spazierstöckchen in
der Hand, die Cigarette dampfend im Munde, keck entgegen, und wir sehen sie
die Rolle männlicher Begleiter zwei ihrer Genossinnen mit gutem Erfolge
nachahmen; zur Abwechselung tönt aus einer Ecke krächzendes Geschrei heraus;
denn eine junge, hübsche 6tuäiante hat eine etwas ältliche Angehörige der Halbwelt


Grenzboten I. 1874. 44

zunehmenden Viertel bewegt, eine Heimwanderung in die Häuslichkeit oder
ein Besuch des Theaters, eines Konzerthauses oder eines Kaffees ein, in welch
letzterem dann die Frau Studentin das Vergnügen genießt, dem Herrn Stu¬
denten beim Piketspiel zuzusehen oder auch wohl selbst ihm ein Partiechen ab¬
zugewinnen. Das klingt wohl alles so weit recht schön, — aber wie? —
Fragen wir nun unsrerseits die französische Freundin mit innerem Schauder,
das ist das Ideal des französischen Studenten, des Jünglings, seine Jugend¬
kraft auszuschwelgen in den Umarmungen einer — Dirne? Und solchen Zu¬
ständen drückt man den Stempel der Legitimität auf. indem man sie öffentlich
besingt und beklatscht! Wahrlich solchem Skandal gegenüber könnten wir nur
wünschen, daß unsere akademische Jugend auch ferner „die schlechte Gewohn¬
heit" beibehalten möge, ihre Vollkraft und ihren Uebermuth auf dem Fecht¬
boden und beim Trinkgelage auszutoben: wir würden damit immer noch von
zwei Uebeln das kleinere wählen.

Doch blicken wir noch weiter um uns: Wir verlassen den Familienkreis
des Studenten und statten den Kaffees des Quartier Ladin, d. h. nur den
von Studirenden frequentirten, einen Besuch ab. Unter den vielen Etablisse¬
ments dieser Art wählen wir ein solches, in dem wir weniger den vornehmen
Musensohn mit seiner „ewcliante" als vielmehr eine andere Art von Stu¬
denten antreffen, die ihre Gunst nicht einseitig gefesselt halten. Treten wir
also, gleichviel in welches, in das Kaffee „zum jungen Frankreich". Bedeu¬
tungsvoller Name! Doch bedauernswerthes junges Frankreich! Wildes Krei¬
schen schallt uns entgegen; die eine Hälfte der Insassen repräsentirt sich uns
als Studenten und sonstige jüngere und ältere Schwärmer! die andere aus
schon tiefer stehenden Grisetten und der eigentlichen Halbwelt bestehend, die
meist ehedem auch einmal „Studentinnen" waren, nunmehr aber, nachdem der
frühere Geliebte aus dem Musentempel ins praktische Leben sich eingeschifft
hat. ihrer Selbständigkeit zurückgegeben sind. Das Bild ist sehr lebhaft:
Hier am Eingang sehen wir zwei Damen sitzen, die sich augenscheinlich schon
in höheren Semestern befinden, eine Partie Piket mit einander spielend und
ihre Cigarette rauchend, — wir haben hier vor uns den eigentlichen Typus
der leinenes emanoixües; daneben eine noch jüngere Grisette, sehr eifrig über
einem Roman studirend; nicht fern hüpfen mehrere, nach Art der Kunstreiterinnen
mit Tricots und kurzen Röckchen phantastisch ausgestattete Gestalten herum,
die sich der besonderen Gunst der Musensöhne zu erfreuen scheinen; dort treten
uns zwei in Mannskleider gesteckte Frauenzimmer, das Spazierstöckchen in
der Hand, die Cigarette dampfend im Munde, keck entgegen, und wir sehen sie
die Rolle männlicher Begleiter zwei ihrer Genossinnen mit gutem Erfolge
nachahmen; zur Abwechselung tönt aus einer Ecke krächzendes Geschrei heraus;
denn eine junge, hübsche 6tuäiante hat eine etwas ältliche Angehörige der Halbwelt


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[0351] zunehmenden Viertel bewegt, eine Heimwanderung in die Häuslichkeit oder ein Besuch des Theaters, eines Konzerthauses oder eines Kaffees ein, in welch letzterem dann die Frau Studentin das Vergnügen genießt, dem Herrn Stu¬ denten beim Piketspiel zuzusehen oder auch wohl selbst ihm ein Partiechen ab¬ zugewinnen. Das klingt wohl alles so weit recht schön, — aber wie? — Fragen wir nun unsrerseits die französische Freundin mit innerem Schauder, das ist das Ideal des französischen Studenten, des Jünglings, seine Jugend¬ kraft auszuschwelgen in den Umarmungen einer — Dirne? Und solchen Zu¬ ständen drückt man den Stempel der Legitimität auf. indem man sie öffentlich besingt und beklatscht! Wahrlich solchem Skandal gegenüber könnten wir nur wünschen, daß unsere akademische Jugend auch ferner „die schlechte Gewohn¬ heit" beibehalten möge, ihre Vollkraft und ihren Uebermuth auf dem Fecht¬ boden und beim Trinkgelage auszutoben: wir würden damit immer noch von zwei Uebeln das kleinere wählen. Doch blicken wir noch weiter um uns: Wir verlassen den Familienkreis des Studenten und statten den Kaffees des Quartier Ladin, d. h. nur den von Studirenden frequentirten, einen Besuch ab. Unter den vielen Etablisse¬ ments dieser Art wählen wir ein solches, in dem wir weniger den vornehmen Musensohn mit seiner „ewcliante" als vielmehr eine andere Art von Stu¬ denten antreffen, die ihre Gunst nicht einseitig gefesselt halten. Treten wir also, gleichviel in welches, in das Kaffee „zum jungen Frankreich". Bedeu¬ tungsvoller Name! Doch bedauernswerthes junges Frankreich! Wildes Krei¬ schen schallt uns entgegen; die eine Hälfte der Insassen repräsentirt sich uns als Studenten und sonstige jüngere und ältere Schwärmer! die andere aus schon tiefer stehenden Grisetten und der eigentlichen Halbwelt bestehend, die meist ehedem auch einmal „Studentinnen" waren, nunmehr aber, nachdem der frühere Geliebte aus dem Musentempel ins praktische Leben sich eingeschifft hat. ihrer Selbständigkeit zurückgegeben sind. Das Bild ist sehr lebhaft: Hier am Eingang sehen wir zwei Damen sitzen, die sich augenscheinlich schon in höheren Semestern befinden, eine Partie Piket mit einander spielend und ihre Cigarette rauchend, — wir haben hier vor uns den eigentlichen Typus der leinenes emanoixües; daneben eine noch jüngere Grisette, sehr eifrig über einem Roman studirend; nicht fern hüpfen mehrere, nach Art der Kunstreiterinnen mit Tricots und kurzen Röckchen phantastisch ausgestattete Gestalten herum, die sich der besonderen Gunst der Musensöhne zu erfreuen scheinen; dort treten uns zwei in Mannskleider gesteckte Frauenzimmer, das Spazierstöckchen in der Hand, die Cigarette dampfend im Munde, keck entgegen, und wir sehen sie die Rolle männlicher Begleiter zwei ihrer Genossinnen mit gutem Erfolge nachahmen; zur Abwechselung tönt aus einer Ecke krächzendes Geschrei heraus; denn eine junge, hübsche 6tuäiante hat eine etwas ältliche Angehörige der Halbwelt Grenzboten I. 1874. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/351>, abgerufen am 17.06.2024.