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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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tödtlich beleidigt, indem sie ihr"pari-e ans as korvicv" vindizirte, und unter
einem wahren Hagel der delikatesten Grobheiten, welche die beleidigte Aelt-
liche in sittlicher Entrüstung auf sie herabschleudert, sieht sie sich genöthigt,
sich unter dem Schutze des Herrn Gemahls aus dieser niedrigen Sphäre in
die Salons der ersten Etage zurückzuziehen. Huck sale in6tior av gsrvir oss
t'omnes-is.", seufzt der Wirth uns und einige neben uns sitzende Gäste an.
Bei alledem sehen wir, nach französischer Sitte, am Büffet thronend sitzen
die Mutter mit ihrer Tochter, einer ansprechenden jungen Blondine; die
Mutter schweigend die Hände im Schooß.'die Tochter mit der Führung des
großen Buches und der Einkassirung der Gelder beschäftigt, dann und wann
mit klassischer Ruhe einen Blick werfend, auf das wilde Treiben, mit der
gleichgiltigsten Miene aber sich wieder abwendend, als ob all die zahlreichen
Zoten und das tolle Gebahren eindruckslos an ihr abprallten. -- Bedauerns¬
werthes Wesen, magst Du dir die Reinheit des Gemüths in diesem Pfuhle
von,Gemeinheit bewahren können?-- Besonders beneidenswerth ist uns über¬
haupt die Stellung der Frau resp, der Tochter eines französischen Restaurant¬
oder Kaffee-Besitzers niemals vorgekommen.

Ein Spaziergang den Boulevard Se. Michel hinunter läßt auch keine
wesentlich erhebenderen Betrachtungen zu. Während auf den großen Boule¬
vards des rechten Seine-Ufers sich die Halbwelt noch mit einer gewissen an¬
ständigen Zurückhaltung bewegt, sehen wir sie hier mit der freiesten Unge-
nirtheit auftreten und sich durchaus nicht entblöden, in ihren Mannskleidern,
in ihren Tricots und anderen Phantasiekostümen zum Horror aller Wohlge¬
sitteten mit frivolster Ungebundenheit an Ka.ut ein xav6 aufzutreten und lär¬
mend von einem Kaffee zum andern zu ziehen. Uebrigens unterstützen die
akademischen Republikaner die Studentinnen und Ex-Studentinnen nach Kräften,
um dem anständigen Spaziergänger möglichst lästig zu fallen, indem sie gar
häufig, mit ihren einjährig-freiwilligen Kommilitonen in der Mitte, in lan¬
gen Reihen die Breite des Trottoirs einnehmend, singend und schreiend die
lange Straße herauf- und herunterziehen, der gesetzlichen Autorität in der Ge¬
stalt zweier Stadtsergeanten nur die Achtung erweisend, daß sie vor ihnen
ihre Reihen öffnen, um sie hinter, ihnen wieder zu schließen. --

Wir würden eine höchst mangelhafte Vorstellung von dem Treiben im
Quartier Ladin und den Lustbarkeiten des linken Seine-Ufers haben, wenn
wir nicht auch dem sogenannten Studentenball im ^ar6in Lullier die Ehre
eines Besuchs zu Theil werden lassen wollten. In dieser Absicht den Boule¬
vard Se. Michel in südlicher Richtung verfolgend, gelangen wir auf den
Carrefour de l'Observatoire und werden hier durch eine reiche Gasbeleuchtung,
die wir an einem Gebäude zur Linken des Platzes bemerken, durch zahlreich


tödtlich beleidigt, indem sie ihr„pari-e ans as korvicv" vindizirte, und unter
einem wahren Hagel der delikatesten Grobheiten, welche die beleidigte Aelt-
liche in sittlicher Entrüstung auf sie herabschleudert, sieht sie sich genöthigt,
sich unter dem Schutze des Herrn Gemahls aus dieser niedrigen Sphäre in
die Salons der ersten Etage zurückzuziehen. Huck sale in6tior av gsrvir oss
t'omnes-is.", seufzt der Wirth uns und einige neben uns sitzende Gäste an.
Bei alledem sehen wir, nach französischer Sitte, am Büffet thronend sitzen
die Mutter mit ihrer Tochter, einer ansprechenden jungen Blondine; die
Mutter schweigend die Hände im Schooß.'die Tochter mit der Führung des
großen Buches und der Einkassirung der Gelder beschäftigt, dann und wann
mit klassischer Ruhe einen Blick werfend, auf das wilde Treiben, mit der
gleichgiltigsten Miene aber sich wieder abwendend, als ob all die zahlreichen
Zoten und das tolle Gebahren eindruckslos an ihr abprallten. — Bedauerns¬
werthes Wesen, magst Du dir die Reinheit des Gemüths in diesem Pfuhle
von,Gemeinheit bewahren können?— Besonders beneidenswerth ist uns über¬
haupt die Stellung der Frau resp, der Tochter eines französischen Restaurant¬
oder Kaffee-Besitzers niemals vorgekommen.

Ein Spaziergang den Boulevard Se. Michel hinunter läßt auch keine
wesentlich erhebenderen Betrachtungen zu. Während auf den großen Boule¬
vards des rechten Seine-Ufers sich die Halbwelt noch mit einer gewissen an¬
ständigen Zurückhaltung bewegt, sehen wir sie hier mit der freiesten Unge-
nirtheit auftreten und sich durchaus nicht entblöden, in ihren Mannskleidern,
in ihren Tricots und anderen Phantasiekostümen zum Horror aller Wohlge¬
sitteten mit frivolster Ungebundenheit an Ka.ut ein xav6 aufzutreten und lär¬
mend von einem Kaffee zum andern zu ziehen. Uebrigens unterstützen die
akademischen Republikaner die Studentinnen und Ex-Studentinnen nach Kräften,
um dem anständigen Spaziergänger möglichst lästig zu fallen, indem sie gar
häufig, mit ihren einjährig-freiwilligen Kommilitonen in der Mitte, in lan¬
gen Reihen die Breite des Trottoirs einnehmend, singend und schreiend die
lange Straße herauf- und herunterziehen, der gesetzlichen Autorität in der Ge¬
stalt zweier Stadtsergeanten nur die Achtung erweisend, daß sie vor ihnen
ihre Reihen öffnen, um sie hinter, ihnen wieder zu schließen. —

Wir würden eine höchst mangelhafte Vorstellung von dem Treiben im
Quartier Ladin und den Lustbarkeiten des linken Seine-Ufers haben, wenn
wir nicht auch dem sogenannten Studentenball im ^ar6in Lullier die Ehre
eines Besuchs zu Theil werden lassen wollten. In dieser Absicht den Boule¬
vard Se. Michel in südlicher Richtung verfolgend, gelangen wir auf den
Carrefour de l'Observatoire und werden hier durch eine reiche Gasbeleuchtung,
die wir an einem Gebäude zur Linken des Platzes bemerken, durch zahlreich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/352>, abgerufen am 17.06.2024.