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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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haben sich nach der Einrichtung des Saales in drei Abtheilungen formirt;
die Musik hebt wieder an. und sogleich entsteht ein wahrhaft fieberhaftes
Durcheinanderwirbeln, ähnlich wie wir das auch bemerken, wenn Jemand mit
einem Stock in einen Ameisenhaufen fährt. -- Studenten, auch feinere Hand¬
werker, Handelsbeflissene, Studentinnen, Grisetten, Halbwelt, selbst ehrbare
Bürgerstöchterchen, alles hüpft und springt hier in voller Gleichheit und
Brüderlichkeit durcheinander, und wir können nicht umhin zu gestehen, daß
wir bet der dem weiblichen Geschlecht in Frankreich eigenen Grazie, nur die
geschicktesten und elegantesten Bewegungen, begleitet von ebenso ansprechenden
Gesten, ausgeführt sehen, -- Bewegungen und Gesten, die freilich nicht immer
den Regeln der Decenz angepaßt sind. Treten wir sogleich zu einer nahen
Gruppe, die sich um ein vis-ä-vis von zwei niedlichen, schwarzäugigen Stu¬
dentinnen und ihren weniger niedlichen Beschützern desselben Standes gesammelt
hat. Die Schönen wissen einigen Sinn in ihre graziösen Evolutionen zu
legen: mit neckischer Anmuth geben sie durch symbolische Bewegungen und
zarte Blicke ihren wechselseitigen ViL-Ä-Vis ihre Gunst zu erkennen und scheinen
hierdurch die Eifersucht ihrer Geliebten erregen zu wollen; diese lassen sich
jedoch durchaus nicht in Harnisch bringen, sondern empfangen sehr willig die
Huldbezeugungen ihrer schönen Gegenüber. Darüber werden natürlich diese
ihrerseits aufgebracht und geben durch eine sehr drastische Fußbewegung zu
verstehen, daß sie ihre Geliebten von sich weisen; folgen nun einige kältere
av8-g.-äos, eine eiskalte ^v^reves und andere Symptome des Gefrierpunktes,
bis eine tonus ein Jneinanderschließen der Hände veranlaßt, und ein warmer
Druck die sibirische Kälte zum Thauen bringt: mit voller Gluth fliegen die
Blicke in einander und die Versöhnung ist wieder hergestellt. Diese Art des
symbolischen Tanzes sehen wir in mehr oder minder gelungener Weise sich
fast bei allen Paaren insceniren. Indessen tönt uns lebhafte Heiterkeit aus
einer andern Gruppe herüber, und wir betrachten dies als eine Aufforderung,
uns ihr zu nähern: Eine rothbäckige, weibliche Gestalt von staunenswerther
Korpulenz zwingt ihre massiven Gliedmaßen zu den tadellosesten Evolutionen
und die etwas derbe Symbolik ihrer Bewegungen dient ihren Zuschauern zur
besonderen Belustigung; ihr jugendlicher Kopf scheint durchaus nicht zu der
Gestalt jenes Abts zu passen, von dem es heißt: "drei Männer umspannten
den Schmeerbauch ihm nicht -- ihres Standes nach sind wir geneigt, sie für
eine mitfühlende Hebe zu halten, die lechzender Kehlen Nektar spendet. Ihr
Galan, der uns nach dem Kolorit seiner oberen Extremitäten als Vertreter
des überseeischen und Binnenhandels erscheint, tritt in das Verhältniß mikros¬
kopischer Winzigkeit zu diesem Koloß, und die pausbäckige Hebe schaut denn
auch mit übertriebener Mütterlichkeit auf den ihr willfährigen Jünger Mer¬
kurs hernieder. -- Doch sieh! -- Wer hüpft denn dort so reizend hin und


haben sich nach der Einrichtung des Saales in drei Abtheilungen formirt;
die Musik hebt wieder an. und sogleich entsteht ein wahrhaft fieberhaftes
Durcheinanderwirbeln, ähnlich wie wir das auch bemerken, wenn Jemand mit
einem Stock in einen Ameisenhaufen fährt. — Studenten, auch feinere Hand¬
werker, Handelsbeflissene, Studentinnen, Grisetten, Halbwelt, selbst ehrbare
Bürgerstöchterchen, alles hüpft und springt hier in voller Gleichheit und
Brüderlichkeit durcheinander, und wir können nicht umhin zu gestehen, daß
wir bet der dem weiblichen Geschlecht in Frankreich eigenen Grazie, nur die
geschicktesten und elegantesten Bewegungen, begleitet von ebenso ansprechenden
Gesten, ausgeführt sehen, — Bewegungen und Gesten, die freilich nicht immer
den Regeln der Decenz angepaßt sind. Treten wir sogleich zu einer nahen
Gruppe, die sich um ein vis-ä-vis von zwei niedlichen, schwarzäugigen Stu¬
dentinnen und ihren weniger niedlichen Beschützern desselben Standes gesammelt
hat. Die Schönen wissen einigen Sinn in ihre graziösen Evolutionen zu
legen: mit neckischer Anmuth geben sie durch symbolische Bewegungen und
zarte Blicke ihren wechselseitigen ViL-Ä-Vis ihre Gunst zu erkennen und scheinen
hierdurch die Eifersucht ihrer Geliebten erregen zu wollen; diese lassen sich
jedoch durchaus nicht in Harnisch bringen, sondern empfangen sehr willig die
Huldbezeugungen ihrer schönen Gegenüber. Darüber werden natürlich diese
ihrerseits aufgebracht und geben durch eine sehr drastische Fußbewegung zu
verstehen, daß sie ihre Geliebten von sich weisen; folgen nun einige kältere
av8-g.-äos, eine eiskalte ^v^reves und andere Symptome des Gefrierpunktes,
bis eine tonus ein Jneinanderschließen der Hände veranlaßt, und ein warmer
Druck die sibirische Kälte zum Thauen bringt: mit voller Gluth fliegen die
Blicke in einander und die Versöhnung ist wieder hergestellt. Diese Art des
symbolischen Tanzes sehen wir in mehr oder minder gelungener Weise sich
fast bei allen Paaren insceniren. Indessen tönt uns lebhafte Heiterkeit aus
einer andern Gruppe herüber, und wir betrachten dies als eine Aufforderung,
uns ihr zu nähern: Eine rothbäckige, weibliche Gestalt von staunenswerther
Korpulenz zwingt ihre massiven Gliedmaßen zu den tadellosesten Evolutionen
und die etwas derbe Symbolik ihrer Bewegungen dient ihren Zuschauern zur
besonderen Belustigung; ihr jugendlicher Kopf scheint durchaus nicht zu der
Gestalt jenes Abts zu passen, von dem es heißt: „drei Männer umspannten
den Schmeerbauch ihm nicht — ihres Standes nach sind wir geneigt, sie für
eine mitfühlende Hebe zu halten, die lechzender Kehlen Nektar spendet. Ihr
Galan, der uns nach dem Kolorit seiner oberen Extremitäten als Vertreter
des überseeischen und Binnenhandels erscheint, tritt in das Verhältniß mikros¬
kopischer Winzigkeit zu diesem Koloß, und die pausbäckige Hebe schaut denn
auch mit übertriebener Mütterlichkeit auf den ihr willfährigen Jünger Mer¬
kurs hernieder. — Doch sieh! — Wer hüpft denn dort so reizend hin und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/354>, abgerufen am 17.06.2024.