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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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wieder? Wahrhaftig, es ist unsere Nachbarin, die kleine Mutiere, deren lieb¬
lichen Rosenmund ein ewig heiteres Zauberlächeln umspielt, -- und der es
ihr angethan, ist ein stolzer Sohn Alt-Castiliens. der den Schmerz über sein
blutendes Vaterland in den Strudel einer Quadrille und in das verlangende
Auge einer kleinen Handschuhmacherin zu versenken sucht, der den bisher mi߬
verstandenen Worten des Horaz: Äulos et äeovrum est pro Mtris, mori,
ihren wahren Sinn zurückzugeben bemüht ist, nämlich: es ist süß und ange¬
nehm, für das Vaterland, fern von ihm, seine Seele in Liebe auszuhauchen.
Fahre so fort, edler Spanier und Du wirst Deinem Vaterlande ein großer
Mann sein. Aber am Ende thun wir doch den hier zahlreich anwesenden
Söhnen der südpyrenäischen Republik Unrecht; sie sind vielleicht nur ausge¬
zogen, um Bundesgenossen für das zerrissene Vaterland zu werben, vielleicht
wollen sie nur Propaganda machen für ein zu errichtendes Amazonenheer; --
dabeant sibi. Wir aber unsererseits wandern weiter in die Mittelreihe hinein,
denn der Tanz beginnt von neuem. Mit souveräner Verachtung schreiten
wir an der sich hier breitmachenden Halbwelt vorüber, die ihre, wenn auch
eleganten, doch lasciven Bewegungen mit sehr no^irenenhafter Stimme beglei¬
ten. ?g,s b^Kueulö, Mais toi-te euKueulö, sagen wir mit einem geflügelten
Bühnenwort und ziehen uns in die dritte Tanzreihe hinüber.

Rögarclei-, "zu'it a l'air serieux, wendet sich ein Jünger Aeskulaps an
seinen Nachbar, indem er auf einen Studenten mit blondem Haupt- und
Barthaar zeigt, dessen unverkennbare teutonische Züge ihn als biederen
Schweizer erkennen lassen , von der helvetischen Republik gleich vielen seiner
Genossen entsendet, um den Stätten der schweizerischen Berge und Thäler eine
pariser Anfrischung zu Theil werden zu lassen. Ums ü s'amuse tout as
newe, erwidert indessen der Andere. Allerdings er amüsirt sich, aber wie
wir sehen, im Schweiße seines Angesichts, denn vergeblich ist er bemüht, bei
seinem "endest" veranlagten Körperbau die leichten gliederverrenkender Be¬
wegungen und Sprünge seiner gallischen Kollegen nachzuahmen, und immer
bringt er nur ungeschickte und lächerliche Leistungen zu Tage. Merkwürdig,
welch besondere Vorliebe alle Abkömmlinge germanischer Rasse für eine nach¬
ahmende Thätigkeit bezeigen, und doch haben sie sich gerade auf diesem Ge¬
biete nur zu oft leider recht lächerlich gemacht. "Eines schickt sich nicht für
alle", biederer Schweizer, und hättest Du zuvor dieses Wort von Goethe ge¬
lesen, so würdest Du in dieser Nacht vielleicht nicht an Gelenkrheumatismus
leiden. Und wir dürfen noch im Allgemeinen sagen, daß das, was wir bei
einer Tochter Eva's graziös und anmuthig finden, beim Manne meist wider¬
wärtig und weibisch wird; so wollen uns wenigstens die fieberhaft glieder¬
verrenkender Bein-, Arm- und Kopfbewegungen der sich vor uns produziren-
den Jünger der Wissenschaft, der Gewerbe und des Welthandels erscheinen.


wieder? Wahrhaftig, es ist unsere Nachbarin, die kleine Mutiere, deren lieb¬
lichen Rosenmund ein ewig heiteres Zauberlächeln umspielt, — und der es
ihr angethan, ist ein stolzer Sohn Alt-Castiliens. der den Schmerz über sein
blutendes Vaterland in den Strudel einer Quadrille und in das verlangende
Auge einer kleinen Handschuhmacherin zu versenken sucht, der den bisher mi߬
verstandenen Worten des Horaz: Äulos et äeovrum est pro Mtris, mori,
ihren wahren Sinn zurückzugeben bemüht ist, nämlich: es ist süß und ange¬
nehm, für das Vaterland, fern von ihm, seine Seele in Liebe auszuhauchen.
Fahre so fort, edler Spanier und Du wirst Deinem Vaterlande ein großer
Mann sein. Aber am Ende thun wir doch den hier zahlreich anwesenden
Söhnen der südpyrenäischen Republik Unrecht; sie sind vielleicht nur ausge¬
zogen, um Bundesgenossen für das zerrissene Vaterland zu werben, vielleicht
wollen sie nur Propaganda machen für ein zu errichtendes Amazonenheer; —
dabeant sibi. Wir aber unsererseits wandern weiter in die Mittelreihe hinein,
denn der Tanz beginnt von neuem. Mit souveräner Verachtung schreiten
wir an der sich hier breitmachenden Halbwelt vorüber, die ihre, wenn auch
eleganten, doch lasciven Bewegungen mit sehr no^irenenhafter Stimme beglei¬
ten. ?g,s b^Kueulö, Mais toi-te euKueulö, sagen wir mit einem geflügelten
Bühnenwort und ziehen uns in die dritte Tanzreihe hinüber.

Rögarclei-, «zu'it a l'air serieux, wendet sich ein Jünger Aeskulaps an
seinen Nachbar, indem er auf einen Studenten mit blondem Haupt- und
Barthaar zeigt, dessen unverkennbare teutonische Züge ihn als biederen
Schweizer erkennen lassen , von der helvetischen Republik gleich vielen seiner
Genossen entsendet, um den Stätten der schweizerischen Berge und Thäler eine
pariser Anfrischung zu Theil werden zu lassen. Ums ü s'amuse tout as
newe, erwidert indessen der Andere. Allerdings er amüsirt sich, aber wie
wir sehen, im Schweiße seines Angesichts, denn vergeblich ist er bemüht, bei
seinem „endest" veranlagten Körperbau die leichten gliederverrenkender Be¬
wegungen und Sprünge seiner gallischen Kollegen nachzuahmen, und immer
bringt er nur ungeschickte und lächerliche Leistungen zu Tage. Merkwürdig,
welch besondere Vorliebe alle Abkömmlinge germanischer Rasse für eine nach¬
ahmende Thätigkeit bezeigen, und doch haben sie sich gerade auf diesem Ge¬
biete nur zu oft leider recht lächerlich gemacht. „Eines schickt sich nicht für
alle", biederer Schweizer, und hättest Du zuvor dieses Wort von Goethe ge¬
lesen, so würdest Du in dieser Nacht vielleicht nicht an Gelenkrheumatismus
leiden. Und wir dürfen noch im Allgemeinen sagen, daß das, was wir bei
einer Tochter Eva's graziös und anmuthig finden, beim Manne meist wider¬
wärtig und weibisch wird; so wollen uns wenigstens die fieberhaft glieder¬
verrenkender Bein-, Arm- und Kopfbewegungen der sich vor uns produziren-
den Jünger der Wissenschaft, der Gewerbe und des Welthandels erscheinen.


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[0355] wieder? Wahrhaftig, es ist unsere Nachbarin, die kleine Mutiere, deren lieb¬ lichen Rosenmund ein ewig heiteres Zauberlächeln umspielt, — und der es ihr angethan, ist ein stolzer Sohn Alt-Castiliens. der den Schmerz über sein blutendes Vaterland in den Strudel einer Quadrille und in das verlangende Auge einer kleinen Handschuhmacherin zu versenken sucht, der den bisher mi߬ verstandenen Worten des Horaz: Äulos et äeovrum est pro Mtris, mori, ihren wahren Sinn zurückzugeben bemüht ist, nämlich: es ist süß und ange¬ nehm, für das Vaterland, fern von ihm, seine Seele in Liebe auszuhauchen. Fahre so fort, edler Spanier und Du wirst Deinem Vaterlande ein großer Mann sein. Aber am Ende thun wir doch den hier zahlreich anwesenden Söhnen der südpyrenäischen Republik Unrecht; sie sind vielleicht nur ausge¬ zogen, um Bundesgenossen für das zerrissene Vaterland zu werben, vielleicht wollen sie nur Propaganda machen für ein zu errichtendes Amazonenheer; — dabeant sibi. Wir aber unsererseits wandern weiter in die Mittelreihe hinein, denn der Tanz beginnt von neuem. Mit souveräner Verachtung schreiten wir an der sich hier breitmachenden Halbwelt vorüber, die ihre, wenn auch eleganten, doch lasciven Bewegungen mit sehr no^irenenhafter Stimme beglei¬ ten. ?g,s b^Kueulö, Mais toi-te euKueulö, sagen wir mit einem geflügelten Bühnenwort und ziehen uns in die dritte Tanzreihe hinüber. Rögarclei-, «zu'it a l'air serieux, wendet sich ein Jünger Aeskulaps an seinen Nachbar, indem er auf einen Studenten mit blondem Haupt- und Barthaar zeigt, dessen unverkennbare teutonische Züge ihn als biederen Schweizer erkennen lassen , von der helvetischen Republik gleich vielen seiner Genossen entsendet, um den Stätten der schweizerischen Berge und Thäler eine pariser Anfrischung zu Theil werden zu lassen. Ums ü s'amuse tout as newe, erwidert indessen der Andere. Allerdings er amüsirt sich, aber wie wir sehen, im Schweiße seines Angesichts, denn vergeblich ist er bemüht, bei seinem „endest" veranlagten Körperbau die leichten gliederverrenkender Be¬ wegungen und Sprünge seiner gallischen Kollegen nachzuahmen, und immer bringt er nur ungeschickte und lächerliche Leistungen zu Tage. Merkwürdig, welch besondere Vorliebe alle Abkömmlinge germanischer Rasse für eine nach¬ ahmende Thätigkeit bezeigen, und doch haben sie sich gerade auf diesem Ge¬ biete nur zu oft leider recht lächerlich gemacht. „Eines schickt sich nicht für alle", biederer Schweizer, und hättest Du zuvor dieses Wort von Goethe ge¬ lesen, so würdest Du in dieser Nacht vielleicht nicht an Gelenkrheumatismus leiden. Und wir dürfen noch im Allgemeinen sagen, daß das, was wir bei einer Tochter Eva's graziös und anmuthig finden, beim Manne meist wider¬ wärtig und weibisch wird; so wollen uns wenigstens die fieberhaft glieder¬ verrenkender Bein-, Arm- und Kopfbewegungen der sich vor uns produziren- den Jünger der Wissenschaft, der Gewerbe und des Welthandels erscheinen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/355>, abgerufen am 17.06.2024.