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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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der Mannschaften gestatten, nur daß er die Mannschaften so schnell als mög-
lich durch das stehende Heer hindurchlaufen läßt. Mit dieser Heeresorgani¬
sation wären wir unschädlich, aber leider auch vertheidigungslos. Wir könnten
uns auf dergleichen einlassen, wären wir wie Frankreich von drei Meeren um-
flossen, zu Lande durch Pyrenäen und Alpen gedeckt und wenn wir nur einen
einzigen, angriffssähigen Nachbar hätten, der an keinen Angriff dächte, wenn
wir ihn nur einmal in Ruhe ließen. So steht Frankreich; wie wir aber
stehen, das läßt Europa uns keinen Augenblick vergessen. Nur unsere An¬
griffsfähigkeit ist unsere Vertheidigung.

Herr Richter, der die Kriegsorganisation im voraus gesetzlich feststellen
will, lediglich zu dem Behufe, die Friedensorganisation so knapp als möglich
einzurichten, der eben deshalb gegen die vollständige Ausstattung des Friedens¬
rahmens mit dem Offizier- und sonstigen Beamtenpersonal sich sträubt, muß
natürlich um so mehr sich sträuben gegen die gesetzliche Feststellung der
Friedensstärke an Unteroffizieren und Mannschaften. Er führt aus, daß
selbst aus der Feststellung der permanenten Truppentheile noch keine bestimmte
Zahl der Friedensstärke folge; denn diese Zahl habe in Preußen in Folge
der Beurlaubungen immerfort geschwankt. Wenn man auch zugeben kann,
daß es eine bewegliche Grenze giebt zwischen dem Minimum und Maximum
der Friedenspräsenzziffer, so wird man doch nicht das Bedürfniß der Kriegs¬
verwaltung bestreiten können, den Präsenzstand innerhalb dieser Ziffern nach
ihrem Ermessen zu reguliren. Wollte man alljährlich darüber mit der Reichs¬
vertretung verhandeln, so wäre die auswärtige Politik aufgehoben. Das
möchte Herrn Richter wohl recht sein, aber da nach diesem Kopf die Welt sich
nicht richtet, so würde es Deutschland hart büßen müssen, wenn es demselben
in einem einzelnen Fall folgen wollte. Man denke sich den Reichskanzler,
nachdem er eben eine Circular-Depesche erlassen, die Welt sei niemals fried¬
licher gewesen -- so muß ein Staat zuweilen sprechen, auch wenn er einen
Friedensbruch fürchtet, um zu zeigen, daß er seinerseits den Frieden aufs
äußerste festhalten will -- genöthigt, vor dem Reichstag zu erklären: "in
diesem Jahre können wir keinen Theil der dienstpflichtigen Mannschaft beur¬
lauben, wir können morgen den Feind vor den Thüren haben." Das sind
alles Dinge, um die man sich nicht zu kümmern braucht, wenn man so glück¬
lich ist Herr Richter zu sein. -- Wir übergehen Alles, was der Redner aus¬
führte gegen die Bestimmungen des Gesetzentwurfs, die die Rechtsverhältnisse
der Militärpersonen regeln. Wir wenden uns zu dem Schluß, wo er aus
der gesetzlichen Normirung der Friedensstärke auf circa 400,000 Mann den
finanziellen Ruin des deutschen Reichs voraussagte. Die Friedensausgaben
des preußischen Heeres betrugen um 1860 ungefähr 32 Millionen Thaler.
In Folge der Reorganisation stiegen sie ungefähr um 10 Millionen. Die


der Mannschaften gestatten, nur daß er die Mannschaften so schnell als mög-
lich durch das stehende Heer hindurchlaufen läßt. Mit dieser Heeresorgani¬
sation wären wir unschädlich, aber leider auch vertheidigungslos. Wir könnten
uns auf dergleichen einlassen, wären wir wie Frankreich von drei Meeren um-
flossen, zu Lande durch Pyrenäen und Alpen gedeckt und wenn wir nur einen
einzigen, angriffssähigen Nachbar hätten, der an keinen Angriff dächte, wenn
wir ihn nur einmal in Ruhe ließen. So steht Frankreich; wie wir aber
stehen, das läßt Europa uns keinen Augenblick vergessen. Nur unsere An¬
griffsfähigkeit ist unsere Vertheidigung.

Herr Richter, der die Kriegsorganisation im voraus gesetzlich feststellen
will, lediglich zu dem Behufe, die Friedensorganisation so knapp als möglich
einzurichten, der eben deshalb gegen die vollständige Ausstattung des Friedens¬
rahmens mit dem Offizier- und sonstigen Beamtenpersonal sich sträubt, muß
natürlich um so mehr sich sträuben gegen die gesetzliche Feststellung der
Friedensstärke an Unteroffizieren und Mannschaften. Er führt aus, daß
selbst aus der Feststellung der permanenten Truppentheile noch keine bestimmte
Zahl der Friedensstärke folge; denn diese Zahl habe in Preußen in Folge
der Beurlaubungen immerfort geschwankt. Wenn man auch zugeben kann,
daß es eine bewegliche Grenze giebt zwischen dem Minimum und Maximum
der Friedenspräsenzziffer, so wird man doch nicht das Bedürfniß der Kriegs¬
verwaltung bestreiten können, den Präsenzstand innerhalb dieser Ziffern nach
ihrem Ermessen zu reguliren. Wollte man alljährlich darüber mit der Reichs¬
vertretung verhandeln, so wäre die auswärtige Politik aufgehoben. Das
möchte Herrn Richter wohl recht sein, aber da nach diesem Kopf die Welt sich
nicht richtet, so würde es Deutschland hart büßen müssen, wenn es demselben
in einem einzelnen Fall folgen wollte. Man denke sich den Reichskanzler,
nachdem er eben eine Circular-Depesche erlassen, die Welt sei niemals fried¬
licher gewesen — so muß ein Staat zuweilen sprechen, auch wenn er einen
Friedensbruch fürchtet, um zu zeigen, daß er seinerseits den Frieden aufs
äußerste festhalten will — genöthigt, vor dem Reichstag zu erklären: „in
diesem Jahre können wir keinen Theil der dienstpflichtigen Mannschaft beur¬
lauben, wir können morgen den Feind vor den Thüren haben." Das sind
alles Dinge, um die man sich nicht zu kümmern braucht, wenn man so glück¬
lich ist Herr Richter zu sein. — Wir übergehen Alles, was der Redner aus¬
führte gegen die Bestimmungen des Gesetzentwurfs, die die Rechtsverhältnisse
der Militärpersonen regeln. Wir wenden uns zu dem Schluß, wo er aus
der gesetzlichen Normirung der Friedensstärke auf circa 400,000 Mann den
finanziellen Ruin des deutschen Reichs voraussagte. Die Friedensausgaben
des preußischen Heeres betrugen um 1860 ungefähr 32 Millionen Thaler.
In Folge der Reorganisation stiegen sie ungefähr um 10 Millionen. Die


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[0361] der Mannschaften gestatten, nur daß er die Mannschaften so schnell als mög- lich durch das stehende Heer hindurchlaufen läßt. Mit dieser Heeresorgani¬ sation wären wir unschädlich, aber leider auch vertheidigungslos. Wir könnten uns auf dergleichen einlassen, wären wir wie Frankreich von drei Meeren um- flossen, zu Lande durch Pyrenäen und Alpen gedeckt und wenn wir nur einen einzigen, angriffssähigen Nachbar hätten, der an keinen Angriff dächte, wenn wir ihn nur einmal in Ruhe ließen. So steht Frankreich; wie wir aber stehen, das läßt Europa uns keinen Augenblick vergessen. Nur unsere An¬ griffsfähigkeit ist unsere Vertheidigung. Herr Richter, der die Kriegsorganisation im voraus gesetzlich feststellen will, lediglich zu dem Behufe, die Friedensorganisation so knapp als möglich einzurichten, der eben deshalb gegen die vollständige Ausstattung des Friedens¬ rahmens mit dem Offizier- und sonstigen Beamtenpersonal sich sträubt, muß natürlich um so mehr sich sträuben gegen die gesetzliche Feststellung der Friedensstärke an Unteroffizieren und Mannschaften. Er führt aus, daß selbst aus der Feststellung der permanenten Truppentheile noch keine bestimmte Zahl der Friedensstärke folge; denn diese Zahl habe in Preußen in Folge der Beurlaubungen immerfort geschwankt. Wenn man auch zugeben kann, daß es eine bewegliche Grenze giebt zwischen dem Minimum und Maximum der Friedenspräsenzziffer, so wird man doch nicht das Bedürfniß der Kriegs¬ verwaltung bestreiten können, den Präsenzstand innerhalb dieser Ziffern nach ihrem Ermessen zu reguliren. Wollte man alljährlich darüber mit der Reichs¬ vertretung verhandeln, so wäre die auswärtige Politik aufgehoben. Das möchte Herrn Richter wohl recht sein, aber da nach diesem Kopf die Welt sich nicht richtet, so würde es Deutschland hart büßen müssen, wenn es demselben in einem einzelnen Fall folgen wollte. Man denke sich den Reichskanzler, nachdem er eben eine Circular-Depesche erlassen, die Welt sei niemals fried¬ licher gewesen — so muß ein Staat zuweilen sprechen, auch wenn er einen Friedensbruch fürchtet, um zu zeigen, daß er seinerseits den Frieden aufs äußerste festhalten will — genöthigt, vor dem Reichstag zu erklären: „in diesem Jahre können wir keinen Theil der dienstpflichtigen Mannschaft beur¬ lauben, wir können morgen den Feind vor den Thüren haben." Das sind alles Dinge, um die man sich nicht zu kümmern braucht, wenn man so glück¬ lich ist Herr Richter zu sein. — Wir übergehen Alles, was der Redner aus¬ führte gegen die Bestimmungen des Gesetzentwurfs, die die Rechtsverhältnisse der Militärpersonen regeln. Wir wenden uns zu dem Schluß, wo er aus der gesetzlichen Normirung der Friedensstärke auf circa 400,000 Mann den finanziellen Ruin des deutschen Reichs voraussagte. Die Friedensausgaben des preußischen Heeres betrugen um 1860 ungefähr 32 Millionen Thaler. In Folge der Reorganisation stiegen sie ungefähr um 10 Millionen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/361>, abgerufen am 17.06.2024.