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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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war und Auskunft auf die Frage des neuen preußischen Premiers gefordert
hatte: welche Haltung Italien in einem Kriege der beiden deutschen Gro߬
mächte beobachten werde. Das Ministerium Farini antwortete darauf: man
werde Italien stets unter den Gegnern Oesterreichs finden ; und wenn diesem
Meinungsaustausch zunächst auch keine weitere Folge gegeben wurde, so war
doch zwischen beiden Cabinetten jetzt engere Fühlung gewonnen und die
Italiener konnten wissen, welche Ereignisse Bismarck kommen sah und was
er im Auge hatte. Weshalb erzählt uns nun Lamarmora von diesem
Zwischenfalle gar Nichts? Der Grund, den wir für den wahren halten, wird
dem Leser dieser Zeilen zunächst vielleicht etwas spitzfindig und gesucht er¬
scheinen; allein wir bezweifeln nicht, daß er späterhin ihm zustimmen wird.
Wir werden nämlich sehen, wie Lamarmora all sein Mißtrauen gegen Bis-
marck's ernste Absichten, mit ihm (1866) einen Vertrag zu schließen, auf die
Befürchtung gründet, Preußen wolle mittelst desselben nur günstigere Be¬
dingungen in der schleswigholsteinischen Sache von Oesterreich erpressen; an
einen Kampf um die Hegemonie in Deutschland denke es gar nicht. Diese
Befürchtung muß aber sehr schwach fundirt erscheinen, wenn Lamarmora
darum gewußt hat, daß Bismarck schon vor dem Auftauchen der Elbherzog-
thümer-Frage dem italienischen Cabinette die Perspective eines österreichisch-
preußischen Krieges gezeigt hatte. Deshalb verschweigt er die Episode ganz
und thut, als ob er sie gar nicht kenne. Glauben wird ihm das Niemand,
zumal er ausdrücklich erzählt, daß ihm der Gesandte in Berlin, de Launay,
derselbe, welcher jene Anfrage vermittelt hatte, nach seiner Ernennung zum
Premierminister (September 1864) gründliche Informationen über Preußens
bisherige Haltung zu Theil werden ließ, Informationen, unter denen die
Erzählung jenes Vorganges nothwendig eine Hauptrolle spielen mußte. La¬
marmora aber stellte sich, als ob dieselben nur Bezug gehabt hätten auf den
Abschluß eines Handelsvertrages, den Italien im Mai 1864 in Antrag ge¬
bracht, und den Preußen aus Rücksicht auf Oesterreich wieder habe fallen
lassen, als die Verhandlungen schon fast zur Reife gediehen waren.

Es war das Ministerium Minghetti, an dessen Platz Lamarmora trat,
als jenes den Unruhen zum Opfer fiel, die im Verfolg der Septembercon-
vention vom Jahre 1864 in der getreuen Hauptstadt Turin zum Ausbruch
kamen. Durch diese Septemberconvention war die römische Frage für die
nächste Zeit von der Tagesordnung abgesetzt worden: Italien verzichtete zum
großen Verdruß der Actionspartei bis auf Weiteres aus ihre allein annehm¬
bare Lösung. Es liegt auf der Hand, daß nichts für das neue Cabinet ge¬
fährlicher gewesen sein und sein Ansetzn gründlicher verdorben haben würde,
als wenn es sich in der zweiten großen nationalen Frage, der venetianischen,
zu einem ähnlichen Verzicht verstanden hätte. Von Paris aus suchte man


war und Auskunft auf die Frage des neuen preußischen Premiers gefordert
hatte: welche Haltung Italien in einem Kriege der beiden deutschen Gro߬
mächte beobachten werde. Das Ministerium Farini antwortete darauf: man
werde Italien stets unter den Gegnern Oesterreichs finden ; und wenn diesem
Meinungsaustausch zunächst auch keine weitere Folge gegeben wurde, so war
doch zwischen beiden Cabinetten jetzt engere Fühlung gewonnen und die
Italiener konnten wissen, welche Ereignisse Bismarck kommen sah und was
er im Auge hatte. Weshalb erzählt uns nun Lamarmora von diesem
Zwischenfalle gar Nichts? Der Grund, den wir für den wahren halten, wird
dem Leser dieser Zeilen zunächst vielleicht etwas spitzfindig und gesucht er¬
scheinen; allein wir bezweifeln nicht, daß er späterhin ihm zustimmen wird.
Wir werden nämlich sehen, wie Lamarmora all sein Mißtrauen gegen Bis-
marck's ernste Absichten, mit ihm (1866) einen Vertrag zu schließen, auf die
Befürchtung gründet, Preußen wolle mittelst desselben nur günstigere Be¬
dingungen in der schleswigholsteinischen Sache von Oesterreich erpressen; an
einen Kampf um die Hegemonie in Deutschland denke es gar nicht. Diese
Befürchtung muß aber sehr schwach fundirt erscheinen, wenn Lamarmora
darum gewußt hat, daß Bismarck schon vor dem Auftauchen der Elbherzog-
thümer-Frage dem italienischen Cabinette die Perspective eines österreichisch-
preußischen Krieges gezeigt hatte. Deshalb verschweigt er die Episode ganz
und thut, als ob er sie gar nicht kenne. Glauben wird ihm das Niemand,
zumal er ausdrücklich erzählt, daß ihm der Gesandte in Berlin, de Launay,
derselbe, welcher jene Anfrage vermittelt hatte, nach seiner Ernennung zum
Premierminister (September 1864) gründliche Informationen über Preußens
bisherige Haltung zu Theil werden ließ, Informationen, unter denen die
Erzählung jenes Vorganges nothwendig eine Hauptrolle spielen mußte. La¬
marmora aber stellte sich, als ob dieselben nur Bezug gehabt hätten auf den
Abschluß eines Handelsvertrages, den Italien im Mai 1864 in Antrag ge¬
bracht, und den Preußen aus Rücksicht auf Oesterreich wieder habe fallen
lassen, als die Verhandlungen schon fast zur Reife gediehen waren.

Es war das Ministerium Minghetti, an dessen Platz Lamarmora trat,
als jenes den Unruhen zum Opfer fiel, die im Verfolg der Septembercon-
vention vom Jahre 1864 in der getreuen Hauptstadt Turin zum Ausbruch
kamen. Durch diese Septemberconvention war die römische Frage für die
nächste Zeit von der Tagesordnung abgesetzt worden: Italien verzichtete zum
großen Verdruß der Actionspartei bis auf Weiteres aus ihre allein annehm¬
bare Lösung. Es liegt auf der Hand, daß nichts für das neue Cabinet ge¬
fährlicher gewesen sein und sein Ansetzn gründlicher verdorben haben würde,
als wenn es sich in der zweiten großen nationalen Frage, der venetianischen,
zu einem ähnlichen Verzicht verstanden hätte. Von Paris aus suchte man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/370>, abgerufen am 16.06.2024.