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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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freilich dahin zu wirken und einen diplomatischen moüus vivvmii zwischen
Oesterreich und Italien anzubahnen, dessen Herstellung Drouyn de LhuyS im
November 1864 dadurch lockender machen zu können glaubte, daß er in der
Ferne die Aussicht auf eine friedliche Abtretung Venetiens erscheinen ließ.
Auf solche Zukunftsbilder konnte sich Lamarmora natürlich nicht einlassen;
die leiseste Nachgiebigkeit in dieser Richtung würde seine Stellung erschüttert
haben. Mit allen Kräften mußte er vielmehr dahin streben, solche politische
Verwickelungen herbeizuführen, die entweder den kriegerischen Erwerb Venetiens
ermöglichten oder Oesterreich dergestalt in die Enge trieben, daß es seine
Rettung nothgedrungen durch die Aufgabe seiner italienischen Besitzungen zu
erkaufen veranlaßt wurde. Unter diesen Umständen erregten die Nachrichten
von einer wieder hervortretenden Spannung zwischen Berlin und Wien in
Florenz nicht geringe Aufmerksamkeit. So wenig Hoffnung Lamarmora,
seinen jetzigen Angaben nach, von Anfang an auf Preußen setzte, so bezwang
er doch sein Mißtrauen, besonders als Bismarck im Mai 1865 die Verhand¬
lungen wegen des Handelsvertrages wieder aufnahm, und Herr von Usedom,
der preußische Gesandte, dem italienischen Ministerpräsidenten immer häufigere
Besuche abzustatten anfing. In wenigen Monaten gedieh das Zerwürfniß
der deutschen Großmächte zur äußersten Schärfe, und im Juli erschien der
Bruch fast als unvermeidlich. Ende des Monats stellte Herr von Usedom
in Florenz ungefähr ebendieselbe Anfrage, die de Launay im December 1862
in Turin vorgelegt hatte. .Aber die Antwort lautete diesmal weniger unum¬
wunden. Anstatt seine innerliche Befriedigung zu erkennen zu geben, hob
Lamarmora vielmehr, hauptsächlich um Zeit zu gewinnen, Zweifel und Schwie¬
rigkeiten hervor. Er wollte sich nicht von Preußen dazu gebrauchen lassen,
einen Druck auf Oesterreich auszuüben, und scheute sich überdies, durch einen
selbständigen Schritt die französische Regierung zu verletzen. Ohne die Ab¬
sichten des Kaisers zu kennen, so erklärte er Usedom unverhohlen, könne er
keine Verbindlichkeiten eingehn. Wäre der Krieg wirklich ausgebrochen, so
hätte Italien bei der Stimmung des Volkes allerdings durch kein Ministerium
sich von der Theilnahme zurückhalten lassen; das war eine so offenkundige That¬
sache, daß Lamarmora auch bei dem französischen Gesandten Malaret ein ge¬
nügendes Verständniß dafür voraussetzen durfte. Aber bekanntlich kamen die
Dinge damals nicht so weit. Bismarck, dem es mit dem Kriege voller Ernst
war, nahm die scheinbare Schlappe auf sich, den Gasteiner Vertrag zu schließen,
und Usedom, der mit vollem Vertrauen die UnHeilbarkeit des Conflictes und
die Unvermeidlichkeit des Krieges gepredigt hatte, .-befand sich in Florenz in
einer üblen Lage. Er nahm einen zweimonatlichen Urlaub.

Höchst bezeichnend für Lamarmora ist es, wie er diese Vorgänge aufnahm.
Gewiß hatte er Ursache sich Glück zu wünschen, daß er keinen Vertrag mir


freilich dahin zu wirken und einen diplomatischen moüus vivvmii zwischen
Oesterreich und Italien anzubahnen, dessen Herstellung Drouyn de LhuyS im
November 1864 dadurch lockender machen zu können glaubte, daß er in der
Ferne die Aussicht auf eine friedliche Abtretung Venetiens erscheinen ließ.
Auf solche Zukunftsbilder konnte sich Lamarmora natürlich nicht einlassen;
die leiseste Nachgiebigkeit in dieser Richtung würde seine Stellung erschüttert
haben. Mit allen Kräften mußte er vielmehr dahin streben, solche politische
Verwickelungen herbeizuführen, die entweder den kriegerischen Erwerb Venetiens
ermöglichten oder Oesterreich dergestalt in die Enge trieben, daß es seine
Rettung nothgedrungen durch die Aufgabe seiner italienischen Besitzungen zu
erkaufen veranlaßt wurde. Unter diesen Umständen erregten die Nachrichten
von einer wieder hervortretenden Spannung zwischen Berlin und Wien in
Florenz nicht geringe Aufmerksamkeit. So wenig Hoffnung Lamarmora,
seinen jetzigen Angaben nach, von Anfang an auf Preußen setzte, so bezwang
er doch sein Mißtrauen, besonders als Bismarck im Mai 1865 die Verhand¬
lungen wegen des Handelsvertrages wieder aufnahm, und Herr von Usedom,
der preußische Gesandte, dem italienischen Ministerpräsidenten immer häufigere
Besuche abzustatten anfing. In wenigen Monaten gedieh das Zerwürfniß
der deutschen Großmächte zur äußersten Schärfe, und im Juli erschien der
Bruch fast als unvermeidlich. Ende des Monats stellte Herr von Usedom
in Florenz ungefähr ebendieselbe Anfrage, die de Launay im December 1862
in Turin vorgelegt hatte. .Aber die Antwort lautete diesmal weniger unum¬
wunden. Anstatt seine innerliche Befriedigung zu erkennen zu geben, hob
Lamarmora vielmehr, hauptsächlich um Zeit zu gewinnen, Zweifel und Schwie¬
rigkeiten hervor. Er wollte sich nicht von Preußen dazu gebrauchen lassen,
einen Druck auf Oesterreich auszuüben, und scheute sich überdies, durch einen
selbständigen Schritt die französische Regierung zu verletzen. Ohne die Ab¬
sichten des Kaisers zu kennen, so erklärte er Usedom unverhohlen, könne er
keine Verbindlichkeiten eingehn. Wäre der Krieg wirklich ausgebrochen, so
hätte Italien bei der Stimmung des Volkes allerdings durch kein Ministerium
sich von der Theilnahme zurückhalten lassen; das war eine so offenkundige That¬
sache, daß Lamarmora auch bei dem französischen Gesandten Malaret ein ge¬
nügendes Verständniß dafür voraussetzen durfte. Aber bekanntlich kamen die
Dinge damals nicht so weit. Bismarck, dem es mit dem Kriege voller Ernst
war, nahm die scheinbare Schlappe auf sich, den Gasteiner Vertrag zu schließen,
und Usedom, der mit vollem Vertrauen die UnHeilbarkeit des Conflictes und
die Unvermeidlichkeit des Krieges gepredigt hatte, .-befand sich in Florenz in
einer üblen Lage. Er nahm einen zweimonatlichen Urlaub.

Höchst bezeichnend für Lamarmora ist es, wie er diese Vorgänge aufnahm.
Gewiß hatte er Ursache sich Glück zu wünschen, daß er keinen Vertrag mir


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[0371] freilich dahin zu wirken und einen diplomatischen moüus vivvmii zwischen Oesterreich und Italien anzubahnen, dessen Herstellung Drouyn de LhuyS im November 1864 dadurch lockender machen zu können glaubte, daß er in der Ferne die Aussicht auf eine friedliche Abtretung Venetiens erscheinen ließ. Auf solche Zukunftsbilder konnte sich Lamarmora natürlich nicht einlassen; die leiseste Nachgiebigkeit in dieser Richtung würde seine Stellung erschüttert haben. Mit allen Kräften mußte er vielmehr dahin streben, solche politische Verwickelungen herbeizuführen, die entweder den kriegerischen Erwerb Venetiens ermöglichten oder Oesterreich dergestalt in die Enge trieben, daß es seine Rettung nothgedrungen durch die Aufgabe seiner italienischen Besitzungen zu erkaufen veranlaßt wurde. Unter diesen Umständen erregten die Nachrichten von einer wieder hervortretenden Spannung zwischen Berlin und Wien in Florenz nicht geringe Aufmerksamkeit. So wenig Hoffnung Lamarmora, seinen jetzigen Angaben nach, von Anfang an auf Preußen setzte, so bezwang er doch sein Mißtrauen, besonders als Bismarck im Mai 1865 die Verhand¬ lungen wegen des Handelsvertrages wieder aufnahm, und Herr von Usedom, der preußische Gesandte, dem italienischen Ministerpräsidenten immer häufigere Besuche abzustatten anfing. In wenigen Monaten gedieh das Zerwürfniß der deutschen Großmächte zur äußersten Schärfe, und im Juli erschien der Bruch fast als unvermeidlich. Ende des Monats stellte Herr von Usedom in Florenz ungefähr ebendieselbe Anfrage, die de Launay im December 1862 in Turin vorgelegt hatte. .Aber die Antwort lautete diesmal weniger unum¬ wunden. Anstatt seine innerliche Befriedigung zu erkennen zu geben, hob Lamarmora vielmehr, hauptsächlich um Zeit zu gewinnen, Zweifel und Schwie¬ rigkeiten hervor. Er wollte sich nicht von Preußen dazu gebrauchen lassen, einen Druck auf Oesterreich auszuüben, und scheute sich überdies, durch einen selbständigen Schritt die französische Regierung zu verletzen. Ohne die Ab¬ sichten des Kaisers zu kennen, so erklärte er Usedom unverhohlen, könne er keine Verbindlichkeiten eingehn. Wäre der Krieg wirklich ausgebrochen, so hätte Italien bei der Stimmung des Volkes allerdings durch kein Ministerium sich von der Theilnahme zurückhalten lassen; das war eine so offenkundige That¬ sache, daß Lamarmora auch bei dem französischen Gesandten Malaret ein ge¬ nügendes Verständniß dafür voraussetzen durfte. Aber bekanntlich kamen die Dinge damals nicht so weit. Bismarck, dem es mit dem Kriege voller Ernst war, nahm die scheinbare Schlappe auf sich, den Gasteiner Vertrag zu schließen, und Usedom, der mit vollem Vertrauen die UnHeilbarkeit des Conflictes und die Unvermeidlichkeit des Krieges gepredigt hatte, .-befand sich in Florenz in einer üblen Lage. Er nahm einen zweimonatlichen Urlaub. Höchst bezeichnend für Lamarmora ist es, wie er diese Vorgänge aufnahm. Gewiß hatte er Ursache sich Glück zu wünschen, daß er keinen Vertrag mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/371>, abgerufen am 17.06.2024.