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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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bis dahin nach den mit ihrem Ursprungslande (Toscana, Kirchenstaat u. s. f.)
einst geschlossenen Verträgen verzollt wurden. Eine solche Abfindung hatte
indeß für Italien äußerst geringen Werth und war nicht im Stande, es von
einer preußischen Allianz, sofern diese ihm sonst zusagte, abzuziehn.

Bismarck hatte mittlerweile nichts unterlassen, um den zürnenden Achill
zu begütigen. Auf der Rückreise von Biarritz sprach er in den ersten Tagen
des November in Paris mit Nigra und "gab ihm zu verstehen, daß der Krieg
mit Oesterreich unvermeidlich sei. Er zeigte sich voll Vertrauen, daß Frank¬
reich ihm nicht feindlich sein werde, und um zu zeigen, wie er sich auf unsre
Beihülfe verlasse, erklärte er ohne Weiteres: wenn Italien nicht da wäre, so
müßte man es erfinden." Ueberdies regte er den Handelsvertrag wieder an
und betrieb ihn mit dem Gesandten in Berlin, Herrn von Barral, so eifrig,
daß er noch vor Schluß des Jahres vereinbart wurde. In den ersten Mo¬
naten 1866 wurde die Zustimmung der Zollvereinsstaaten erwirkt und im
März die beiderseitige Ratification vollzogen. Nicht bedeutungslos war es,
daß aus diesem Anlaß Victor Emanuel im Januar endlich den schwarzen Ad¬
lerorden erhielt, dessen er bislang noch nicht gewürdigt war.

Nichts desto weniger und trotz des wachsenden Konfliktes zwischen Preu¬
ßen und Oesterreich, hegte Lamarmora nur geringes Vertrauen, daß er auf
diesem Wege etwas erreichen werde. Er glaubte kaum noch an die Möglich¬
keit eines Krieges, und da die italienischen Finanzen mit donnernder Stimme
zur Sparsamkeit riefen, so wurden auch im Heere Maßregeln beliebt, die nur
durch die sichere Erwartung fortdauernden Friedens gerechtfertigt werden
konnten. Um so näher lag es, jeden andern Weg ängstlich auszuspähen, der
vielleicht zum Ziele führen möchte. Malagazzi's erfolglose Sendung schien doch
ein Mittel noch nicht ausgeschlossen zu haben, das vielleicht zum friedlichen Erwerb
Venetiens gebraucht werden konnte: eine Entschädigung an Land und Leu¬
ten. Diese konnte Oesterreich aber nur an einer Stelle geboten werden, an
der Donau, und gerade hier trug sich Anfang 1866 ein Ereigniß zu, das sich
möglicher Weise verwerthen ließ. Am 24. Februar wurde der Hospodar
Cusa gestürzt; war das herrenlose Rumänien nun nicht das beste Tauschob¬
ject, das man Oesterreich bieten konnte? Der Gedanke lag zu nahe, als daß
man ihn nicht von italienischer Seite hätte ergreifen sollen; Lamarmora je¬
doch hält es für gut, sich von jeder Mitschuld frei zu sprechen und alle Ver¬
antwortlichkeit dem Commendatore Nigra, dem Gesandten in Paris, in die
Schuhe zu schieben. Man wird nicht umhin können, dieses Verfahren höchst
sonderbar zu finden. Der Minister kann nicht läugnen, seine Gesandten er¬
mächtigt zu haben, jenen Tausch zur Sprache zu bringen; man sollte also glau¬
ben, damit habe er auch die Verantwortlichkeit dafür übernommen; trotzdem
entblödet er sich nicht, mit der unschuldigsten Miene von der Welt jenes


bis dahin nach den mit ihrem Ursprungslande (Toscana, Kirchenstaat u. s. f.)
einst geschlossenen Verträgen verzollt wurden. Eine solche Abfindung hatte
indeß für Italien äußerst geringen Werth und war nicht im Stande, es von
einer preußischen Allianz, sofern diese ihm sonst zusagte, abzuziehn.

Bismarck hatte mittlerweile nichts unterlassen, um den zürnenden Achill
zu begütigen. Auf der Rückreise von Biarritz sprach er in den ersten Tagen
des November in Paris mit Nigra und „gab ihm zu verstehen, daß der Krieg
mit Oesterreich unvermeidlich sei. Er zeigte sich voll Vertrauen, daß Frank¬
reich ihm nicht feindlich sein werde, und um zu zeigen, wie er sich auf unsre
Beihülfe verlasse, erklärte er ohne Weiteres: wenn Italien nicht da wäre, so
müßte man es erfinden." Ueberdies regte er den Handelsvertrag wieder an
und betrieb ihn mit dem Gesandten in Berlin, Herrn von Barral, so eifrig,
daß er noch vor Schluß des Jahres vereinbart wurde. In den ersten Mo¬
naten 1866 wurde die Zustimmung der Zollvereinsstaaten erwirkt und im
März die beiderseitige Ratification vollzogen. Nicht bedeutungslos war es,
daß aus diesem Anlaß Victor Emanuel im Januar endlich den schwarzen Ad¬
lerorden erhielt, dessen er bislang noch nicht gewürdigt war.

Nichts desto weniger und trotz des wachsenden Konfliktes zwischen Preu¬
ßen und Oesterreich, hegte Lamarmora nur geringes Vertrauen, daß er auf
diesem Wege etwas erreichen werde. Er glaubte kaum noch an die Möglich¬
keit eines Krieges, und da die italienischen Finanzen mit donnernder Stimme
zur Sparsamkeit riefen, so wurden auch im Heere Maßregeln beliebt, die nur
durch die sichere Erwartung fortdauernden Friedens gerechtfertigt werden
konnten. Um so näher lag es, jeden andern Weg ängstlich auszuspähen, der
vielleicht zum Ziele führen möchte. Malagazzi's erfolglose Sendung schien doch
ein Mittel noch nicht ausgeschlossen zu haben, das vielleicht zum friedlichen Erwerb
Venetiens gebraucht werden konnte: eine Entschädigung an Land und Leu¬
ten. Diese konnte Oesterreich aber nur an einer Stelle geboten werden, an
der Donau, und gerade hier trug sich Anfang 1866 ein Ereigniß zu, das sich
möglicher Weise verwerthen ließ. Am 24. Februar wurde der Hospodar
Cusa gestürzt; war das herrenlose Rumänien nun nicht das beste Tauschob¬
ject, das man Oesterreich bieten konnte? Der Gedanke lag zu nahe, als daß
man ihn nicht von italienischer Seite hätte ergreifen sollen; Lamarmora je¬
doch hält es für gut, sich von jeder Mitschuld frei zu sprechen und alle Ver¬
antwortlichkeit dem Commendatore Nigra, dem Gesandten in Paris, in die
Schuhe zu schieben. Man wird nicht umhin können, dieses Verfahren höchst
sonderbar zu finden. Der Minister kann nicht läugnen, seine Gesandten er¬
mächtigt zu haben, jenen Tausch zur Sprache zu bringen; man sollte also glau¬
ben, damit habe er auch die Verantwortlichkeit dafür übernommen; trotzdem
entblödet er sich nicht, mit der unschuldigsten Miene von der Welt jenes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/373>, abgerufen am 17.06.2024.