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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Preußen abgeschlossen und sich dadurch nutzlos compromittirt hatte. Aber er
vergaß völlig, daß ihm Preußen noch gar nicht mit bestimmt formulirten
Borschlägen gekommen war, und hatte, wie es scheint, auch nicht das leiseste
Verständniß dafür, daß Bismarck, nur der Noth gehorchend auf dem betretenen
Wege eingehalten, und Usedom nur nach bester Ueberzeugung, vielleicht etwas
zu lebhaft, gesprochen hatte. In seinen Augen war die Unzuverlässigkeit und
Treulosigkeit der preußischen Politik jetzt eine ausgemachte Thatsache. Sollte
er ja wieder mit ihr in wichtigen Fragen zu rechnen haben, so schrieb er das
ängstlichste Mißtrauen als Regel vor; konnte er aber sein Hauptziel, den Er¬
werb von Venetien, ohne Bismarck erreichen, so war er von der größeren
Vorzüglichkeit dieses Weges aufs Tiefste durchdrungen.

Nach einer Richtung hin hatte, so schien es ihm, doch selbst die verhaßte
Gasteiner Convention Italien die Wege geebnet. Bestimmte sie nicht, daß
der österreichische Besitzantheil von Lauenburg gegen eine Geldentschädigung
an Preußen übergehe? Und ließ sich nun, da in der Wiener Hofburg der
Verkauf eines Landes im Princip zugegeben war, nicht die Anwendung des¬
selben Princips auch auf Venetien hoffen? Kurz, er beschloß das Eisen zu
schmieden, so lange es noch heiß sei. Ein vornehmer Modenese, der Graf
Malagazzi/) der am Wiener Hofe gut angeschrieben war, sollte der Ver¬
mittler sein. Das höchste Gebot, das er für Venetien und Welschthrol thun
durfte, war eine Milliarde Francs; auch war er ermächtigt einen günstigen
Handelsvertrag in Aussicht zu stellen, durfte aber keine Verpflichtungen ein¬
gehen, die Italien gebunden hätten, in einem orientalischen oder deutschen
Kriege Oesterreich zu einem Ersatz für die abgetretenen Besitzungen, etwa zu
den Donaufürstenthümern oder Schlesien zu verhelfen. Malagazzi erzielte in¬
deß in Wien keinen Erfolg; Anfang Dezember kehrte er zurück und mußte
berichten, daß der Kaiser den Verkauf Venetiens für ehrenrührig halte. Doch
war immerhin eine gewisse Fühlung zwischen den beiden feindlichen Höfen
gewonnen, und da die Beziehungen Oesterreichs zu Preußen schnell genug
wieder auf den Gefrierpunkt sanken, so suchte man in Wien durch franzö¬
sische Vermittlung Italien auf billigere Weise an sich zu ziehen. Man ver¬
sprach nämlich im Januar 1866 eine halbe indirecte Anerkennung in der
Weise, daß alle aus dem Königreich kommenden Waaren nach dem mit Sar¬
dinien 18S1 geschlossenen Zollvertrage behandelt werden sollten, während sie



Lamarmora sucht offenbar für seine großen Jndiscretioncn dadurch Buße zu thun, daß
er in Ncbcnpuuttcn sorgfältig den Discrcten spielt, und besonders Personen, die er gelegent¬
lich erwähnt, nur mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnet. So erscheint Malagazzi nnr als
Graf M. Auch daraus darf man wohl schließen, daß sein Buch geschrieben ist, ehe durch an¬
dre italienische Publikationen der Name des modenesischcn Unterhändlers bekannt wurde. An¬
dernfalls wäre diese Geheimthuerei doch gar zu lächerlich,

Preußen abgeschlossen und sich dadurch nutzlos compromittirt hatte. Aber er
vergaß völlig, daß ihm Preußen noch gar nicht mit bestimmt formulirten
Borschlägen gekommen war, und hatte, wie es scheint, auch nicht das leiseste
Verständniß dafür, daß Bismarck, nur der Noth gehorchend auf dem betretenen
Wege eingehalten, und Usedom nur nach bester Ueberzeugung, vielleicht etwas
zu lebhaft, gesprochen hatte. In seinen Augen war die Unzuverlässigkeit und
Treulosigkeit der preußischen Politik jetzt eine ausgemachte Thatsache. Sollte
er ja wieder mit ihr in wichtigen Fragen zu rechnen haben, so schrieb er das
ängstlichste Mißtrauen als Regel vor; konnte er aber sein Hauptziel, den Er¬
werb von Venetien, ohne Bismarck erreichen, so war er von der größeren
Vorzüglichkeit dieses Weges aufs Tiefste durchdrungen.

Nach einer Richtung hin hatte, so schien es ihm, doch selbst die verhaßte
Gasteiner Convention Italien die Wege geebnet. Bestimmte sie nicht, daß
der österreichische Besitzantheil von Lauenburg gegen eine Geldentschädigung
an Preußen übergehe? Und ließ sich nun, da in der Wiener Hofburg der
Verkauf eines Landes im Princip zugegeben war, nicht die Anwendung des¬
selben Princips auch auf Venetien hoffen? Kurz, er beschloß das Eisen zu
schmieden, so lange es noch heiß sei. Ein vornehmer Modenese, der Graf
Malagazzi/) der am Wiener Hofe gut angeschrieben war, sollte der Ver¬
mittler sein. Das höchste Gebot, das er für Venetien und Welschthrol thun
durfte, war eine Milliarde Francs; auch war er ermächtigt einen günstigen
Handelsvertrag in Aussicht zu stellen, durfte aber keine Verpflichtungen ein¬
gehen, die Italien gebunden hätten, in einem orientalischen oder deutschen
Kriege Oesterreich zu einem Ersatz für die abgetretenen Besitzungen, etwa zu
den Donaufürstenthümern oder Schlesien zu verhelfen. Malagazzi erzielte in¬
deß in Wien keinen Erfolg; Anfang Dezember kehrte er zurück und mußte
berichten, daß der Kaiser den Verkauf Venetiens für ehrenrührig halte. Doch
war immerhin eine gewisse Fühlung zwischen den beiden feindlichen Höfen
gewonnen, und da die Beziehungen Oesterreichs zu Preußen schnell genug
wieder auf den Gefrierpunkt sanken, so suchte man in Wien durch franzö¬
sische Vermittlung Italien auf billigere Weise an sich zu ziehen. Man ver¬
sprach nämlich im Januar 1866 eine halbe indirecte Anerkennung in der
Weise, daß alle aus dem Königreich kommenden Waaren nach dem mit Sar¬
dinien 18S1 geschlossenen Zollvertrage behandelt werden sollten, während sie



Lamarmora sucht offenbar für seine großen Jndiscretioncn dadurch Buße zu thun, daß
er in Ncbcnpuuttcn sorgfältig den Discrcten spielt, und besonders Personen, die er gelegent¬
lich erwähnt, nur mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnet. So erscheint Malagazzi nnr als
Graf M. Auch daraus darf man wohl schließen, daß sein Buch geschrieben ist, ehe durch an¬
dre italienische Publikationen der Name des modenesischcn Unterhändlers bekannt wurde. An¬
dernfalls wäre diese Geheimthuerei doch gar zu lächerlich,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/372>, abgerufen am 17.06.2024.