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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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von der Goltz, u, A, beiwohnten, und der sich ernstlich mit der Kriegsgefahr
beschäftigte. Nach Paris zurückgekehrt, ließ von der Goltz gegen Nigra den
Wunsch fallen, Italien möge einen General nach Berlin senden. Es war
mehr eine Andeutung, als eine Einladung, und ebendeshalb war sie nicht
direct durch Barral oder Usedom, sondern gesprächsweise durch von der Goltz
und Nigra vermittelt. Diesen Unterschied verstand aber Lamarmora nicht
oder giebt sich wenigstens den Anschein. Der General, den er sich auserkor,
nahm die Miene an, als., ob es sich um den sofortigen Ausbruch des Krieges
handeln müsse. Es war Govone. Ueber all den schätzenswerthen Eigen¬
schaften, die ihn sonst auszeichnen mochten, besaß dieser Mann eine, die ihn
in Lamarmora's Augen zwar ganz vorzüglich zu seiner Aufgabe befähigte, die
aber einer schnelleren und offenen VerHandlungsart sehr im Wege stand; er
war von einem Mißtrauen gegen Msmarck und Preußen beseelt, das wo¬
möglich selbst die argwöhnische Gesinnung seines Vorgesetzten noch übertraf.
In feinen Berichten machte er gar kein Hehl daraus, daß sein eigentlicher
Herzenswunsch der war, Bismarck zu überlisten; und bei den Instructionen,
die er mitbrachte, durfte er für diesen Wunsch aus die lebhafte Zustimmung
seines Auftraggebers rechnen.

Diese Instructionen, leider! theilt uns Lamarmora nicht mit; er bedauert,
sie nicht zu besitzen. Wir bedauern das noch viel mehr; denn wir müssen uns
nun mit den Andeutungen begnügen, die sich in den Berichten finden. In
der Hauptsache freilich genügen die auch; denn sie lassen vollkommen deutlich
erkennen, daß Govone angewiesen wurde, Rücksicht auf das Nigra'sche Tausch-
project zu nehmen. Man erinnert sich, daß dies wahrscheinlich am 9. März
dem Kaiser Napoleon vorgelegt wurde, daß es jedenfalls bis zum 17. in der
Schwebe blieb. Govone aber erhielt seine Instructionen gleichfalls am 9. Wenn
nun in diesen von "andern Combinationen und andern Unterhandlungen die
Rede war, deretwegen es nützlich sei, daß man in Wien glaube, Preußen
und Italien seien zum Kriege geneigt" (Postscript Govone's vom 13. März),
so heißt es doch wahrlich dem Leser einen wahren Köhlerglauben zumuthen,
wenn er diese andere Unterhandlungen nicht mit den Nigra'schen Versuchen
identificiren soll, wozu uns zu überreden Lamarmora einen schüchternen An¬
lauf nimmt. Wohl mochte ihm daran liegen, zu verdecken, daß er selbst
geneigt war, sich der preußischen Unterhandlungen nur als eines Hülfsmittels
zu bedienen, um seinen andern Plan zu fördern; denn wenn er dies einge¬
standen hätte, so würden dem Leser die Haare zu Berge gestiegen sein ob der
Unverschämtheit, mit welcher die Italiener grade diese selbe Tendenz dem
Grafen Bismarck erst unterschieben und dann zum Vorwurf machen. Mit
der zähesten Hartnäckigkeit gehen sie davon aus und halten sie daran fest,
daß der preußische Staatsmann sie nur als "Vogelscheuche" habe brauchen


Grenzboten l. 1874. 47

von der Goltz, u, A, beiwohnten, und der sich ernstlich mit der Kriegsgefahr
beschäftigte. Nach Paris zurückgekehrt, ließ von der Goltz gegen Nigra den
Wunsch fallen, Italien möge einen General nach Berlin senden. Es war
mehr eine Andeutung, als eine Einladung, und ebendeshalb war sie nicht
direct durch Barral oder Usedom, sondern gesprächsweise durch von der Goltz
und Nigra vermittelt. Diesen Unterschied verstand aber Lamarmora nicht
oder giebt sich wenigstens den Anschein. Der General, den er sich auserkor,
nahm die Miene an, als., ob es sich um den sofortigen Ausbruch des Krieges
handeln müsse. Es war Govone. Ueber all den schätzenswerthen Eigen¬
schaften, die ihn sonst auszeichnen mochten, besaß dieser Mann eine, die ihn
in Lamarmora's Augen zwar ganz vorzüglich zu seiner Aufgabe befähigte, die
aber einer schnelleren und offenen VerHandlungsart sehr im Wege stand; er
war von einem Mißtrauen gegen Msmarck und Preußen beseelt, das wo¬
möglich selbst die argwöhnische Gesinnung seines Vorgesetzten noch übertraf.
In feinen Berichten machte er gar kein Hehl daraus, daß sein eigentlicher
Herzenswunsch der war, Bismarck zu überlisten; und bei den Instructionen,
die er mitbrachte, durfte er für diesen Wunsch aus die lebhafte Zustimmung
seines Auftraggebers rechnen.

Diese Instructionen, leider! theilt uns Lamarmora nicht mit; er bedauert,
sie nicht zu besitzen. Wir bedauern das noch viel mehr; denn wir müssen uns
nun mit den Andeutungen begnügen, die sich in den Berichten finden. In
der Hauptsache freilich genügen die auch; denn sie lassen vollkommen deutlich
erkennen, daß Govone angewiesen wurde, Rücksicht auf das Nigra'sche Tausch-
project zu nehmen. Man erinnert sich, daß dies wahrscheinlich am 9. März
dem Kaiser Napoleon vorgelegt wurde, daß es jedenfalls bis zum 17. in der
Schwebe blieb. Govone aber erhielt seine Instructionen gleichfalls am 9. Wenn
nun in diesen von „andern Combinationen und andern Unterhandlungen die
Rede war, deretwegen es nützlich sei, daß man in Wien glaube, Preußen
und Italien seien zum Kriege geneigt" (Postscript Govone's vom 13. März),
so heißt es doch wahrlich dem Leser einen wahren Köhlerglauben zumuthen,
wenn er diese andere Unterhandlungen nicht mit den Nigra'schen Versuchen
identificiren soll, wozu uns zu überreden Lamarmora einen schüchternen An¬
lauf nimmt. Wohl mochte ihm daran liegen, zu verdecken, daß er selbst
geneigt war, sich der preußischen Unterhandlungen nur als eines Hülfsmittels
zu bedienen, um seinen andern Plan zu fördern; denn wenn er dies einge¬
standen hätte, so würden dem Leser die Haare zu Berge gestiegen sein ob der
Unverschämtheit, mit welcher die Italiener grade diese selbe Tendenz dem
Grafen Bismarck erst unterschieben und dann zum Vorwurf machen. Mit
der zähesten Hartnäckigkeit gehen sie davon aus und halten sie daran fest,
daß der preußische Staatsmann sie nur als „Vogelscheuche" habe brauchen


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[0375] von der Goltz, u, A, beiwohnten, und der sich ernstlich mit der Kriegsgefahr beschäftigte. Nach Paris zurückgekehrt, ließ von der Goltz gegen Nigra den Wunsch fallen, Italien möge einen General nach Berlin senden. Es war mehr eine Andeutung, als eine Einladung, und ebendeshalb war sie nicht direct durch Barral oder Usedom, sondern gesprächsweise durch von der Goltz und Nigra vermittelt. Diesen Unterschied verstand aber Lamarmora nicht oder giebt sich wenigstens den Anschein. Der General, den er sich auserkor, nahm die Miene an, als., ob es sich um den sofortigen Ausbruch des Krieges handeln müsse. Es war Govone. Ueber all den schätzenswerthen Eigen¬ schaften, die ihn sonst auszeichnen mochten, besaß dieser Mann eine, die ihn in Lamarmora's Augen zwar ganz vorzüglich zu seiner Aufgabe befähigte, die aber einer schnelleren und offenen VerHandlungsart sehr im Wege stand; er war von einem Mißtrauen gegen Msmarck und Preußen beseelt, das wo¬ möglich selbst die argwöhnische Gesinnung seines Vorgesetzten noch übertraf. In feinen Berichten machte er gar kein Hehl daraus, daß sein eigentlicher Herzenswunsch der war, Bismarck zu überlisten; und bei den Instructionen, die er mitbrachte, durfte er für diesen Wunsch aus die lebhafte Zustimmung seines Auftraggebers rechnen. Diese Instructionen, leider! theilt uns Lamarmora nicht mit; er bedauert, sie nicht zu besitzen. Wir bedauern das noch viel mehr; denn wir müssen uns nun mit den Andeutungen begnügen, die sich in den Berichten finden. In der Hauptsache freilich genügen die auch; denn sie lassen vollkommen deutlich erkennen, daß Govone angewiesen wurde, Rücksicht auf das Nigra'sche Tausch- project zu nehmen. Man erinnert sich, daß dies wahrscheinlich am 9. März dem Kaiser Napoleon vorgelegt wurde, daß es jedenfalls bis zum 17. in der Schwebe blieb. Govone aber erhielt seine Instructionen gleichfalls am 9. Wenn nun in diesen von „andern Combinationen und andern Unterhandlungen die Rede war, deretwegen es nützlich sei, daß man in Wien glaube, Preußen und Italien seien zum Kriege geneigt" (Postscript Govone's vom 13. März), so heißt es doch wahrlich dem Leser einen wahren Köhlerglauben zumuthen, wenn er diese andere Unterhandlungen nicht mit den Nigra'schen Versuchen identificiren soll, wozu uns zu überreden Lamarmora einen schüchternen An¬ lauf nimmt. Wohl mochte ihm daran liegen, zu verdecken, daß er selbst geneigt war, sich der preußischen Unterhandlungen nur als eines Hülfsmittels zu bedienen, um seinen andern Plan zu fördern; denn wenn er dies einge¬ standen hätte, so würden dem Leser die Haare zu Berge gestiegen sein ob der Unverschämtheit, mit welcher die Italiener grade diese selbe Tendenz dem Grafen Bismarck erst unterschieben und dann zum Vorwurf machen. Mit der zähesten Hartnäckigkeit gehen sie davon aus und halten sie daran fest, daß der preußische Staatsmann sie nur als „Vogelscheuche" habe brauchen Grenzboten l. 1874. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/375>, abgerufen am 17.06.2024.