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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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belehrender Artikel über siebenbürgische Zustände veröffentlicht; später hat
Dr. Löser ebendaselbst einen Theil seiner Beobachtungen in Ungarn nieder¬
gelegt, die seither auch in dessen selbständiges Werk "Die Magyaren und
andern Ungarn" übergegangen sind; an anderem Orte hat Dr. Karl Braun
werthvolle Mittheilungen desselben Inhalts gebracht und darin nur bestätigt,
was schon seine Vorgänger ausgesprochen, daß der magyarischen Bewegung
keine eigentlich politische Färbung, sondern blos eine nationale eigen sei. Die
gesammte Gesetzgebung und Regierung dort verfolgt kein anderes Ziel syste¬
matischer, als die absolute Herrschaft eines Drittheils der Bevölkerung über
die andern zwei Drittheile durch den Schein der Gesetzlichkeit zu befestigen.
Der Satz "die Quelle alles Rechtes ist das Gesetz" wird nirgends so ausge¬
beutet als im heutigen Ungarn und mit Hülfe jenes andern Satzes, daß ein
späteres Gesetz ein früheres aufhebe, schreitet man in entsetzlicher Selbst¬
täuschung auf jenem Wege weiter, auf dem zuletzt aller Glaube an die Hei¬
ligkeit des Gesetzes aus dem Herzen der Regierten gerissen, wird.

Die Geschichte der Sachsen in Siebenbürgen während der letzten 9 Jahre
(seit 1863) ist ein trauriger Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht. Als
damals zuerst wieder die Frage der engern Vereinigung Siebenbürgens mit
Ungarn von den um ihre politische Existenz dort besorgten Magyaren mit
aller Leidenschaftlichkeit aufgegriffen wurde, deren ihr heißes Blut fähig ist,
da galt der Fortbestand der sächsischen Nation in Siebenbürgen mit eigen¬
artigen Rechtsverhältnissen für kein Hinderniß der Entwickelung Ungarns im
Sinne des modernen Staatsrechtes. Die bedeutendsten magyarischen Redner
auf dem Clausenburger Landtage jenes Jahres sprechen dieses offen aus und
als der Präsident die Sitzung schloß, geschah es mit der Versicherung an die
Sachsen bezüglich der Union:

"Die sächsische Nation kann für sich keinen Nachtheil darin erblicken,
wenn sie sich unter den unmittelbaren Schutz der ungarischen Krone begiebt,
und wenn sie ihre Stellung nüchtern ins Auge faßt, so kann sie auch keine
Ursache zu Besorgnissen haben, denn ihr Municipium bleibt auch bei
der Union intact. Ja dadurch, daß ihr Recht von ganz Ungarn geschützt
wird, wird sie jene glänzende Epoche ihrer Geschichte sich erneuern sehen,
welche in die Zeit vor der Trennung unter den ungarischen Königen fällt,
aus welcher Zeit ihre schönsten Privilegien und die festen Grundlagen ihres
bürgerlichen Wohlstandes herrühren."

In diesem Sinne wurde den Sachsen die Union Siebenbürgens mit
Ungarn mundgerecht gemacht. Und wenn der Sinn eines Gesetzes nur aus
den gleichzeitigen Verhältnissen authentisch und gerecht erklärt werden darf,
so kann auch das über jene Vereinigung geschaffene Gesetz sich einer solchen
Interpretation nicht entziehen. Damals galt der Bestand des sächsischen


belehrender Artikel über siebenbürgische Zustände veröffentlicht; später hat
Dr. Löser ebendaselbst einen Theil seiner Beobachtungen in Ungarn nieder¬
gelegt, die seither auch in dessen selbständiges Werk „Die Magyaren und
andern Ungarn" übergegangen sind; an anderem Orte hat Dr. Karl Braun
werthvolle Mittheilungen desselben Inhalts gebracht und darin nur bestätigt,
was schon seine Vorgänger ausgesprochen, daß der magyarischen Bewegung
keine eigentlich politische Färbung, sondern blos eine nationale eigen sei. Die
gesammte Gesetzgebung und Regierung dort verfolgt kein anderes Ziel syste¬
matischer, als die absolute Herrschaft eines Drittheils der Bevölkerung über
die andern zwei Drittheile durch den Schein der Gesetzlichkeit zu befestigen.
Der Satz „die Quelle alles Rechtes ist das Gesetz" wird nirgends so ausge¬
beutet als im heutigen Ungarn und mit Hülfe jenes andern Satzes, daß ein
späteres Gesetz ein früheres aufhebe, schreitet man in entsetzlicher Selbst¬
täuschung auf jenem Wege weiter, auf dem zuletzt aller Glaube an die Hei¬
ligkeit des Gesetzes aus dem Herzen der Regierten gerissen, wird.

Die Geschichte der Sachsen in Siebenbürgen während der letzten 9 Jahre
(seit 1863) ist ein trauriger Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht. Als
damals zuerst wieder die Frage der engern Vereinigung Siebenbürgens mit
Ungarn von den um ihre politische Existenz dort besorgten Magyaren mit
aller Leidenschaftlichkeit aufgegriffen wurde, deren ihr heißes Blut fähig ist,
da galt der Fortbestand der sächsischen Nation in Siebenbürgen mit eigen¬
artigen Rechtsverhältnissen für kein Hinderniß der Entwickelung Ungarns im
Sinne des modernen Staatsrechtes. Die bedeutendsten magyarischen Redner
auf dem Clausenburger Landtage jenes Jahres sprechen dieses offen aus und
als der Präsident die Sitzung schloß, geschah es mit der Versicherung an die
Sachsen bezüglich der Union:

„Die sächsische Nation kann für sich keinen Nachtheil darin erblicken,
wenn sie sich unter den unmittelbaren Schutz der ungarischen Krone begiebt,
und wenn sie ihre Stellung nüchtern ins Auge faßt, so kann sie auch keine
Ursache zu Besorgnissen haben, denn ihr Municipium bleibt auch bei
der Union intact. Ja dadurch, daß ihr Recht von ganz Ungarn geschützt
wird, wird sie jene glänzende Epoche ihrer Geschichte sich erneuern sehen,
welche in die Zeit vor der Trennung unter den ungarischen Königen fällt,
aus welcher Zeit ihre schönsten Privilegien und die festen Grundlagen ihres
bürgerlichen Wohlstandes herrühren."

In diesem Sinne wurde den Sachsen die Union Siebenbürgens mit
Ungarn mundgerecht gemacht. Und wenn der Sinn eines Gesetzes nur aus
den gleichzeitigen Verhältnissen authentisch und gerecht erklärt werden darf,
so kann auch das über jene Vereinigung geschaffene Gesetz sich einer solchen
Interpretation nicht entziehen. Damals galt der Bestand des sächsischen


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[0467] belehrender Artikel über siebenbürgische Zustände veröffentlicht; später hat Dr. Löser ebendaselbst einen Theil seiner Beobachtungen in Ungarn nieder¬ gelegt, die seither auch in dessen selbständiges Werk „Die Magyaren und andern Ungarn" übergegangen sind; an anderem Orte hat Dr. Karl Braun werthvolle Mittheilungen desselben Inhalts gebracht und darin nur bestätigt, was schon seine Vorgänger ausgesprochen, daß der magyarischen Bewegung keine eigentlich politische Färbung, sondern blos eine nationale eigen sei. Die gesammte Gesetzgebung und Regierung dort verfolgt kein anderes Ziel syste¬ matischer, als die absolute Herrschaft eines Drittheils der Bevölkerung über die andern zwei Drittheile durch den Schein der Gesetzlichkeit zu befestigen. Der Satz „die Quelle alles Rechtes ist das Gesetz" wird nirgends so ausge¬ beutet als im heutigen Ungarn und mit Hülfe jenes andern Satzes, daß ein späteres Gesetz ein früheres aufhebe, schreitet man in entsetzlicher Selbst¬ täuschung auf jenem Wege weiter, auf dem zuletzt aller Glaube an die Hei¬ ligkeit des Gesetzes aus dem Herzen der Regierten gerissen, wird. Die Geschichte der Sachsen in Siebenbürgen während der letzten 9 Jahre (seit 1863) ist ein trauriger Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht. Als damals zuerst wieder die Frage der engern Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn von den um ihre politische Existenz dort besorgten Magyaren mit aller Leidenschaftlichkeit aufgegriffen wurde, deren ihr heißes Blut fähig ist, da galt der Fortbestand der sächsischen Nation in Siebenbürgen mit eigen¬ artigen Rechtsverhältnissen für kein Hinderniß der Entwickelung Ungarns im Sinne des modernen Staatsrechtes. Die bedeutendsten magyarischen Redner auf dem Clausenburger Landtage jenes Jahres sprechen dieses offen aus und als der Präsident die Sitzung schloß, geschah es mit der Versicherung an die Sachsen bezüglich der Union: „Die sächsische Nation kann für sich keinen Nachtheil darin erblicken, wenn sie sich unter den unmittelbaren Schutz der ungarischen Krone begiebt, und wenn sie ihre Stellung nüchtern ins Auge faßt, so kann sie auch keine Ursache zu Besorgnissen haben, denn ihr Municipium bleibt auch bei der Union intact. Ja dadurch, daß ihr Recht von ganz Ungarn geschützt wird, wird sie jene glänzende Epoche ihrer Geschichte sich erneuern sehen, welche in die Zeit vor der Trennung unter den ungarischen Königen fällt, aus welcher Zeit ihre schönsten Privilegien und die festen Grundlagen ihres bürgerlichen Wohlstandes herrühren." In diesem Sinne wurde den Sachsen die Union Siebenbürgens mit Ungarn mundgerecht gemacht. Und wenn der Sinn eines Gesetzes nur aus den gleichzeitigen Verhältnissen authentisch und gerecht erklärt werden darf, so kann auch das über jene Vereinigung geschaffene Gesetz sich einer solchen Interpretation nicht entziehen. Damals galt der Bestand des sächsischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/467>, abgerufen am 13.05.2024.