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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Municipiums den Gesetzgebern als selbstverständlich; und Ihre Worte erklärten
sogar, in den Privilegien der sächsischen Nation keinen Widerspruch gegen das
moderne Staatsrecht Ungarns zu erblicken. Was aber seither geschehen von
Seiten der Regierung und der Gesetzgebung Ungarns, ist fast ohne Ausnahme
Schlag auf Schlag gegen jene Auffassung und nichts als Vergewaltigung des
Schwächern durch den Stärkern unter dem Schirme der parlamentarischen All¬
macht, die ihm ein klug ausgedachtes Wahlgesetz verleiht.

Ungarische Könige vor der Trennung Siebenbürgens von Ungarn hatten
den Sachsen das Recht gegeben, sich den obersten Municipalbeamten selbst zu
wählen. Es war eine der ersten Thaten des ungarischen Ministeriums nach
der Union, den gewählten "Grafen der sächsischen Nation" abzusetzen und
ihm einen reinen Regierungsbeamten zum Nachfolger zu bestimmen.

Der ungarische Gesetzartikel VII. von 1848 sagt in Z 5: " Ungarn ist
bereit, alle besonderen Gesetze und Freiheiten Siebenbürgens, welche nebst dem,
daß sie die vollständige Vereinigung nicht hindern, die Nationalfreiheit und
Rechtsgleichheit begünstigen, anzunehmen und aufrecht zu halten." Der
XI.III. Gesetzartikel desselben Reichstages von 1868 beließ die Gesammtver-
tretung der sächsischen Kreise in Siebenbürgen, die sogenannte Nations¬
universität, ausdrücklich in einem eigenen Paragraphen in ihrem bisherigen
Wirkungskreise mit alleiniger Ausnahme der Rechtspflege. Heute maßregelt
der Minister des Innern diese Körperschaft, weil sie. die unter den alten
Königen Ungarns um ihre Zustimmung zu hochwichtigen Staatsverträgen
angegangen wurde, sich erkühnt, Einsprache dagegen zu erheben, daß das säch¬
sische Municipium in Stücke zerschlagen und sogar über sein gemeinsames,
seit Jahrhunderten erworbenes und besessenes Vermögen die souveräne Ver¬
fügung dem Reichstage zugemuthet wird; und der Reichstag nimmt die un¬
würdige Antwort des über diese Rechtswidrigkeit interpellieren Ministers ein¬
fach zur Kenntniß.

Derselbe Reichstag trägt dem Minister wiederholt auf, in Betreff des
"autonomen Selbstregierungsrechtes der sächsischen Stühle und Districte" mit
Beachtung "der auf Gesetzen und Verträgen beruhenden Rechte derselben" einen
besondern Gesetzesentwurf vorzulegen. Der Minister befragt die sächsische
Nationsuniversität um ihre Anträge in Beziehung auf diesen Gesetzesentwurf.
Diese antwortet in zwei Vorlagen, betreibt wiederholt die Erledigung der
Sache. Der Minister erledigt sie nicht, oder richtiger, er umgeht die Erle¬
digung, indem er den Gesammtverband der sächsischen Nation aufzuheben
vorschlägt durch Zerschlagung ihres Territoriums. Und der Reichstag ver¬
setzt ihn nicht in Anklagestand!

Die Vorschläge, welche die Nationsuniversität für die Reorganisation
ihrer Kreisordnung macht, verlangen für die Zukunft mit Aufgebung alle


Municipiums den Gesetzgebern als selbstverständlich; und Ihre Worte erklärten
sogar, in den Privilegien der sächsischen Nation keinen Widerspruch gegen das
moderne Staatsrecht Ungarns zu erblicken. Was aber seither geschehen von
Seiten der Regierung und der Gesetzgebung Ungarns, ist fast ohne Ausnahme
Schlag auf Schlag gegen jene Auffassung und nichts als Vergewaltigung des
Schwächern durch den Stärkern unter dem Schirme der parlamentarischen All¬
macht, die ihm ein klug ausgedachtes Wahlgesetz verleiht.

Ungarische Könige vor der Trennung Siebenbürgens von Ungarn hatten
den Sachsen das Recht gegeben, sich den obersten Municipalbeamten selbst zu
wählen. Es war eine der ersten Thaten des ungarischen Ministeriums nach
der Union, den gewählten „Grafen der sächsischen Nation" abzusetzen und
ihm einen reinen Regierungsbeamten zum Nachfolger zu bestimmen.

Der ungarische Gesetzartikel VII. von 1848 sagt in Z 5: „ Ungarn ist
bereit, alle besonderen Gesetze und Freiheiten Siebenbürgens, welche nebst dem,
daß sie die vollständige Vereinigung nicht hindern, die Nationalfreiheit und
Rechtsgleichheit begünstigen, anzunehmen und aufrecht zu halten." Der
XI.III. Gesetzartikel desselben Reichstages von 1868 beließ die Gesammtver-
tretung der sächsischen Kreise in Siebenbürgen, die sogenannte Nations¬
universität, ausdrücklich in einem eigenen Paragraphen in ihrem bisherigen
Wirkungskreise mit alleiniger Ausnahme der Rechtspflege. Heute maßregelt
der Minister des Innern diese Körperschaft, weil sie. die unter den alten
Königen Ungarns um ihre Zustimmung zu hochwichtigen Staatsverträgen
angegangen wurde, sich erkühnt, Einsprache dagegen zu erheben, daß das säch¬
sische Municipium in Stücke zerschlagen und sogar über sein gemeinsames,
seit Jahrhunderten erworbenes und besessenes Vermögen die souveräne Ver¬
fügung dem Reichstage zugemuthet wird; und der Reichstag nimmt die un¬
würdige Antwort des über diese Rechtswidrigkeit interpellieren Ministers ein¬
fach zur Kenntniß.

Derselbe Reichstag trägt dem Minister wiederholt auf, in Betreff des
„autonomen Selbstregierungsrechtes der sächsischen Stühle und Districte" mit
Beachtung „der auf Gesetzen und Verträgen beruhenden Rechte derselben" einen
besondern Gesetzesentwurf vorzulegen. Der Minister befragt die sächsische
Nationsuniversität um ihre Anträge in Beziehung auf diesen Gesetzesentwurf.
Diese antwortet in zwei Vorlagen, betreibt wiederholt die Erledigung der
Sache. Der Minister erledigt sie nicht, oder richtiger, er umgeht die Erle¬
digung, indem er den Gesammtverband der sächsischen Nation aufzuheben
vorschlägt durch Zerschlagung ihres Territoriums. Und der Reichstag ver¬
setzt ihn nicht in Anklagestand!

Die Vorschläge, welche die Nationsuniversität für die Reorganisation
ihrer Kreisordnung macht, verlangen für die Zukunft mit Aufgebung alle


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[0468] Municipiums den Gesetzgebern als selbstverständlich; und Ihre Worte erklärten sogar, in den Privilegien der sächsischen Nation keinen Widerspruch gegen das moderne Staatsrecht Ungarns zu erblicken. Was aber seither geschehen von Seiten der Regierung und der Gesetzgebung Ungarns, ist fast ohne Ausnahme Schlag auf Schlag gegen jene Auffassung und nichts als Vergewaltigung des Schwächern durch den Stärkern unter dem Schirme der parlamentarischen All¬ macht, die ihm ein klug ausgedachtes Wahlgesetz verleiht. Ungarische Könige vor der Trennung Siebenbürgens von Ungarn hatten den Sachsen das Recht gegeben, sich den obersten Municipalbeamten selbst zu wählen. Es war eine der ersten Thaten des ungarischen Ministeriums nach der Union, den gewählten „Grafen der sächsischen Nation" abzusetzen und ihm einen reinen Regierungsbeamten zum Nachfolger zu bestimmen. Der ungarische Gesetzartikel VII. von 1848 sagt in Z 5: „ Ungarn ist bereit, alle besonderen Gesetze und Freiheiten Siebenbürgens, welche nebst dem, daß sie die vollständige Vereinigung nicht hindern, die Nationalfreiheit und Rechtsgleichheit begünstigen, anzunehmen und aufrecht zu halten." Der XI.III. Gesetzartikel desselben Reichstages von 1868 beließ die Gesammtver- tretung der sächsischen Kreise in Siebenbürgen, die sogenannte Nations¬ universität, ausdrücklich in einem eigenen Paragraphen in ihrem bisherigen Wirkungskreise mit alleiniger Ausnahme der Rechtspflege. Heute maßregelt der Minister des Innern diese Körperschaft, weil sie. die unter den alten Königen Ungarns um ihre Zustimmung zu hochwichtigen Staatsverträgen angegangen wurde, sich erkühnt, Einsprache dagegen zu erheben, daß das säch¬ sische Municipium in Stücke zerschlagen und sogar über sein gemeinsames, seit Jahrhunderten erworbenes und besessenes Vermögen die souveräne Ver¬ fügung dem Reichstage zugemuthet wird; und der Reichstag nimmt die un¬ würdige Antwort des über diese Rechtswidrigkeit interpellieren Ministers ein¬ fach zur Kenntniß. Derselbe Reichstag trägt dem Minister wiederholt auf, in Betreff des „autonomen Selbstregierungsrechtes der sächsischen Stühle und Districte" mit Beachtung „der auf Gesetzen und Verträgen beruhenden Rechte derselben" einen besondern Gesetzesentwurf vorzulegen. Der Minister befragt die sächsische Nationsuniversität um ihre Anträge in Beziehung auf diesen Gesetzesentwurf. Diese antwortet in zwei Vorlagen, betreibt wiederholt die Erledigung der Sache. Der Minister erledigt sie nicht, oder richtiger, er umgeht die Erle¬ digung, indem er den Gesammtverband der sächsischen Nation aufzuheben vorschlägt durch Zerschlagung ihres Territoriums. Und der Reichstag ver¬ setzt ihn nicht in Anklagestand! Die Vorschläge, welche die Nationsuniversität für die Reorganisation ihrer Kreisordnung macht, verlangen für die Zukunft mit Aufgebung alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/468>, abgerufen am 07.06.2024.