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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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8 Se. Man sieht, daß das theuerste an der Kleidung die Stoffe sind, wäh¬
rend das Arbeitslohn auffallend gering, oder vielmehr den Viktualienpreisen
entsprechend ist.

Unter der mit dem Laufe des sechzehnten Jahrhunderts über Deutschland
hereinbrechenden allgemeinen Verarmung *) haben natürlich auch die Maler
und sie gerade nicht zum mindesten zu leiden, da bei eintretendem Geldmangel
am Ueberflusse und Schmucke des Lebens am ehesten gekürzt wird. Es darf
uns also nicht überraschen, testimoriia Mupertatis bei Künstlern angeführt
zu finden, die einen bekannten Namen in der Kunstgeschichte haben. Georg
Penz hinterläßt seine Kinder in großer Armuth; ja der Rath bezahlt darum
60 si., die er einer Vormundschaft schuldig War. Die Wittwe, Malerin
Christiane Wolgemutin -- es ist zweifelhaft, ob die Wittwe des be¬
kannten Nürnberger Meisters -- wird durch den Rath "wegen großen Unver¬
mögens" bei einer Schuldforderung an den Markgrafen Casimir unterstützt.
Briefmaler Hans Guldenmund kommt mit der städtischen Censur in
Conflict; doch wird ihm wegen seiner Armuth freigegeben, die Holzstöcke ohne
Unterschrift drucken zu lassen, (s. u.) Man wird gut thun, diese Geldverhält¬
nisse in Betracht zu ziehen, wenn man im sechzehnten Jahrhundert so schnell Züge
einer verfallenden Kunst, so viele schlecht gezeichnete und lüderlich geschnittene
Holzschnitte, so viel Werke, die eher Fabrikwaare als Kunst genannt zu
werden verdienen, erblickt. Doch soll hierdurch nicht der bekannten welt¬
schmerzlichen Kunstnovellistik späterer Zeiten das Wort geredet werden, die,
wenn es ginge, alle Künstler im Elend sterben ließe, um die Kunst als eine
überirdische, von der Welt nie verstandene Sphäre zu preisen.

Nachdem wir nunmehr die künstlerische Thätigkeit -- genau gesagt die
malerische, da über Steinmetzen, Goldschmiede, Rothgießer und andere manches
Interessante noch beizubringen wäre -- von Seiten der Technik, der Preise,
Bestellungen und der häuslichen Verhältnisse beleuchtet haben, so bleibt übrig,
den Blick weiter auf eine Seite der mittelalterlichen Kunstthätigkeit zu richten,
dessen gerechte Würdigung einige Schwierigkeiten verursacht. Ich meine die
zünftigen Verhältnisse, in denen auch der Maler lebte und wirkte.

Wir leben unter Einfluß jener Theorie, welche dem persönlichen Be¬
lieben des Individuums einen so großen Raum verschaffen will, als sich mit
einem geordneten Zusammenleben irgend vertragen kann. Die Folge davon
ist eine atomistische Zertheilung des Gesellschaftskörpers, kaum daß gemeinsame
geistige Einflüsse und vorübergehender materieller Nutzen zu corporativen Neu¬
bildungen führen, von denen es sich erst noch zeigen muß. welche Kraft der
Beständigkeit sie haben. Von Corpsgeist, von wechselseitigen Einstehen des



') Siehe Grenzboten. 187Z II. E. 110.

8 Se. Man sieht, daß das theuerste an der Kleidung die Stoffe sind, wäh¬
rend das Arbeitslohn auffallend gering, oder vielmehr den Viktualienpreisen
entsprechend ist.

Unter der mit dem Laufe des sechzehnten Jahrhunderts über Deutschland
hereinbrechenden allgemeinen Verarmung *) haben natürlich auch die Maler
und sie gerade nicht zum mindesten zu leiden, da bei eintretendem Geldmangel
am Ueberflusse und Schmucke des Lebens am ehesten gekürzt wird. Es darf
uns also nicht überraschen, testimoriia Mupertatis bei Künstlern angeführt
zu finden, die einen bekannten Namen in der Kunstgeschichte haben. Georg
Penz hinterläßt seine Kinder in großer Armuth; ja der Rath bezahlt darum
60 si., die er einer Vormundschaft schuldig War. Die Wittwe, Malerin
Christiane Wolgemutin — es ist zweifelhaft, ob die Wittwe des be¬
kannten Nürnberger Meisters — wird durch den Rath „wegen großen Unver¬
mögens" bei einer Schuldforderung an den Markgrafen Casimir unterstützt.
Briefmaler Hans Guldenmund kommt mit der städtischen Censur in
Conflict; doch wird ihm wegen seiner Armuth freigegeben, die Holzstöcke ohne
Unterschrift drucken zu lassen, (s. u.) Man wird gut thun, diese Geldverhält¬
nisse in Betracht zu ziehen, wenn man im sechzehnten Jahrhundert so schnell Züge
einer verfallenden Kunst, so viele schlecht gezeichnete und lüderlich geschnittene
Holzschnitte, so viel Werke, die eher Fabrikwaare als Kunst genannt zu
werden verdienen, erblickt. Doch soll hierdurch nicht der bekannten welt¬
schmerzlichen Kunstnovellistik späterer Zeiten das Wort geredet werden, die,
wenn es ginge, alle Künstler im Elend sterben ließe, um die Kunst als eine
überirdische, von der Welt nie verstandene Sphäre zu preisen.

Nachdem wir nunmehr die künstlerische Thätigkeit — genau gesagt die
malerische, da über Steinmetzen, Goldschmiede, Rothgießer und andere manches
Interessante noch beizubringen wäre — von Seiten der Technik, der Preise,
Bestellungen und der häuslichen Verhältnisse beleuchtet haben, so bleibt übrig,
den Blick weiter auf eine Seite der mittelalterlichen Kunstthätigkeit zu richten,
dessen gerechte Würdigung einige Schwierigkeiten verursacht. Ich meine die
zünftigen Verhältnisse, in denen auch der Maler lebte und wirkte.

Wir leben unter Einfluß jener Theorie, welche dem persönlichen Be¬
lieben des Individuums einen so großen Raum verschaffen will, als sich mit
einem geordneten Zusammenleben irgend vertragen kann. Die Folge davon
ist eine atomistische Zertheilung des Gesellschaftskörpers, kaum daß gemeinsame
geistige Einflüsse und vorübergehender materieller Nutzen zu corporativen Neu¬
bildungen führen, von denen es sich erst noch zeigen muß. welche Kraft der
Beständigkeit sie haben. Von Corpsgeist, von wechselseitigen Einstehen des



') Siehe Grenzboten. 187Z II. E. 110.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/91>, abgerufen am 26.05.2024.